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April 30, 2021
Teil 2: 16_Nachwort zum zweiten Teil der Lockdown Aufzeichnungen
Susanne Barta
Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.
Schön, dass alle 15 Leute, die bei Teil 1 mit dabei waren, auch in der zweiten Runde ihre Beobachtungen und Erfahrungen mit uns geteilt haben. Interessant zu beobachten war, dass sich die Grundstimmung nach einem Jahr überwiegend verändert hat. Der anfängliche Optimismus, der aus den meisten Aufzeichnungen herausklang, die Freude über eine neu erwachte Solidarität, die Möglichkeiten aus dieser Erfahrung kollektiv und individuell zu lernen, sind einer gewissen Ernüchterung, Sorge und auch Müdigkeit gewichen. Aber nicht nur.
Auch ich hatte nicht damit gerechnet, dass uns Corona so lange und so intensiv begleiten wird. Es fällt mir auch zusehends schwerer, darüber nachzudenken und zu schreiben, ist nicht eh schon alles gesagt? Die Fronten haben sich verhärtet, jede oder jeder weiß seit langem, auf welcher Seite der Corona-Diskussion sie oder er steht. Dennoch denke ich, dass diese Pandemie zu einem Zeitpunkt gekommen ist, wo in Bezug auf die großen Fragen unserer Zeit, noch nicht aller Tage Abend ist. Corona hat uns vieles gelehrt, wenn wir uns darauf einlassen konnten und wollten. Auch wenn das Ende der Pandemie noch nicht wirklich in Sicht ist, zeichnen sich doch deutlich helle Streifen am Horizont ab. Gerade scheint das Bedürfnis bei vielen besonders groß zu sein, die ersten Lockerungen, nach einer langen Zeit der Einschränkungen, in vollen Zügen auszukosten, als gäbe es kein Morgen. Verständlich, aber ich hoffe sehr, dass die Vernunft wieder die Oberhand gewinnt, sonst geht’s wohl wieder zurück an den Start.
Die Gedanken und Erfahrungen meiner Gesprächspartner*innen haben viel dazu beigetragen, diese Zeit aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen. Verleugner*innen und Verharmloser*innen der Pandemie waren keine dabei, da bin ich sehr froh. Diese Lehre habe ich für mich, neben etlichen anderen, auch aus Corona gezogen: Nicht jeder Dialog muss geführt werden, zumindest nicht von mir, wenn jegliche Grundlage für einen vernünftigen Austausch fehlt. Umso mehr freut es mich, dass die Aufzeichnungen, vielfältige Einsichten, Erfahrungen, Gedanken und Inspirationen bieten, die uns den Weg auch nach Corona weisen können.
Für die Künstlerin Gabriela Oberkofler ist es wichtig, ins Tun zu kommen, aber im Tun brauche es Tiefgang, sagt sie. „Mit Oberflächlichkeit werden wir nicht weiterkommen. Es geht darum, tief zu graben und da etwas zu finden, das existentiell ist.“ Der Evolutionsbiologe Kurt Kotrschal plädiert dafür, die Gelassenheit nicht zu verlieren und uns zu fragen, was in unserer im Wesentlichen neoliberalen Gesellschaft falsch läuft. Coach Carmel Lee Paul stellt kurz und bündig fest: „Where the focus goes the energy flows“ und die junge Unternehmerin Isabelle Prinoth meint, dass wir jetzt Zeit hätten, über einige unserer Verhaltensweisen, unser Leben nachzudenken und uns Fragen zu stellen, wie „War es richtig, wie wir bisher gelebt haben? War das gut für uns?“. Der Arzt Martin Langer hofft, dass wir uns nicht zu sehr an die Einsamkeit gewöhnt haben, die Gastwirtin Petra Oberkofler fühlt sich bestärkt auf dem Weg, Qualität, Bodenständigkeit, natürlich Gewachsenes und lokale Kreisläufe in den Mittelpunkt zu stellen und der Klimaforscher Georg Kaser spricht uns ins Gewissen, den Klimawandel endlich ernst zu nehmen und sagt: „Entweder wir gehen es jetzt an, oder es wird von alleine passieren.“ Der Rektor der Universität Bozen Paolo Lugli konstatiert als Wissenschaftler nüchtern: „Der erste Schritt ist immer, Dinge zu lernen und zu verstehen.“
Für die Verwaltungschefin der OG Laurin Birgit Gostner hat Corona gezeigt, wie anpassungsfähig und flexibel wir sein können, die Philosophin Marie-Luisa Frick hat Zweifel, dass die Kompetenz in relevanten Funktionen da ist, um das zu tun, was zu tun ist, nämlich in kurzer Zeit Probleme zu analysieren und in alternativen Möglichkeiten Lösungsvorschläge zu evaluieren. Der Journalist Andreas Pfeifer beobachtet, dass die Empörungs-Bewirtschaftung sehr stark geworden ist: „Da gibt’s zu viele Monologe von Menschen, die so tun, als hätten sie Gewissheit, und in Wirklichkeit haben sie keine.“ Südtirols Landesbäuerin Antonia Egger Mair macht sich Sorgen um das Ehrenamt und glaubt daran, dass uns diese Zeit menschlich stärkt. Der Unternehmer Heiner Oberrauch lädt dazu ein, in größeren Zusammenhängen zu denken, der Soziologe Heinz Bude fordert uns auf, an Orte zurückzukehren, wo wir noch nie waren und der Architekt Peter Zumthor glaubt, dass die Periode der offenen Gesellschaft vorbei ist und wir uns neu darauf besinnen müssen, was Demokratie bedeutet.
Ich bedanke mich bei allen, die bei diesem Projekt mit dabei waren aufs Herzlichste: Bei allen Gesprächspartner*innen, bei Gabriela Oberkofler für die wunderbaren Zeichnungen und bei Kunigunde Weissenegger für die immer freundliche und kompetente Zusammenarbeit und Umsetzung auf franzmagazine. In diesem Sinne, nicht schlapp machen bitte auf den letzten Metern und alles Gute!
Zeichnungen: Gabriela Oberkofler
Foto: Susanne Barta
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