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March 9, 2021

Teil 2: 11_Andreas Pfeifer – Die Relativität gibt den Ton an und nicht die Gewissheit

Susanne Barta

Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer. 

Der Bozner Andreas Pfeifer war viele Jahre lang Italien-Korrespondent des ORF, er hat aus Washington und Rom berichtet und ist seit 2007 außenpolitischer Ressortleiter im aktuellen Dienst des ORF-Fernsehens. Ich schätze seine journalistische Arbeit sehr. Eine gewisse Gelassenheit, genaue Analyse und fein abgestimmter Humor zeichnen seine Berichterstattung aus. Andreas Pfeifer franz1Aufgezeichnet am 2. März 2021

Wir waren anfangs alle ein wenig beseelt von diesem Ausnahmezustand und haben geglaubt, dass wir uns mit dieser Pandemie auch von all unseren gesellschaftlichen Missständen gleich mitkurieren und eine warmherzigere und solidarischere Gesellschaft werden, im Sinne einer großen, breiten pandemischen Entschlackungskur. Daraus ist wohl nichts geworden. Wir haben gesehen, dass es einen langen Atem braucht und dass es Langzeitfolgen gibt. Das Gefühl, „wenn wir fest zusammenhalten, ist diese Katastrophe bald wieder vorüber“, hat sich nicht bewahrheitet. Die Krise zieht sich jetzt schon einige Zeit hin und viele von diesen Krisenphänomenen, die wir gleich mitkurieren wollten, sind immer noch da: die Schwächeanfälle der Demokratie, der Eigensinn von Individuen und auch von Nationalstaaten. Wir reden nicht mehr davon, wie wir besser miteinander umgehen können in einer gewünschten post-pandemischen, post-kapitalistischen Welt, sondern reden jetzt über Impfegoismus und von Nationalstaaten, die den solidarischen Weg eigentlich gar nicht mehr gehen wollen. 

Das, was ich auf der Ebene der Pandemie sehe, erlebe ich auch in meinem Job. Ich arbeite gerade an einem Kommentar zur Renaissance von Donald Trump, der ja vor kurzem in Florida gesagt hat, er sei die Zukunft der republikanischen Partei, und ich mir dachte: „Was muss jemand noch tun, um zu beweisen, dass er politisch unfähig ist, dass er ein demokratisches System an den Rand des Absturzes bringt?“ Und diese Plage ist noch immer nicht vorbei, Trump besteigt gerade wieder die politische Bühne und die republikanische Partei hat immer noch nicht entschieden, ob sie einen moderaten konservativen Weg weitergehen wird oder das Virus des Populismus, das dieser Mann in die Welt gesetzt hat, mit in die nächsten Wahlen nimmt. Das empfinde ich im Kontext der Pandemie als eine ziemlich ernüchternde Bestandsaufnahme.Andreas Pfeifer franz2Es gibt diesen redundanten Satz, den wir alle tausendfach ausgesprochen haben im letzten Jahr, wenn wir unsere Skype- und Zoom-Verbindungen aufgebaut haben: „Hörst du mich, hörst du mich?“ Die Frage ist nicht nur aus technischen Gründen berechtigt, da zwischen uns ja eine Membran der Kommunikation dazu gekommen ist, sondern auch in Bezug auf das Zuhören. „Hörst du mich“ ist wirklich in eine Krise geraten. Mittlerweile führen wir alle nur noch Monologe. Die Politik mit ihrem Programm, die Bürger mit ihren individuellen Einrichtungen in die Not der Pandemie, und auch in den Medien ist der Laustärkenpegel des Gebrülls deutlich angewachsen. Mir scheint, diese Pandemie hat uns gezeigt, wie schwierig es geworden ist, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, sich noch über etwas gemeinsam zu verständigen. Ganz egal, ob es jetzt darum geht, welchen Impfstoff wir nehmen, welche Maßnahmen wir treffen oder wie wir gemeinsam weitergehen, alles wird seziert, zerlegt, angefeindet, so dass es am Ende ein großes Grundrauschen von Relativität gibt und niemand mehr eine klare Orientierung hat. Das macht die Sache schwer. Jetzt könnte man sagen, „naja soviel Relativität sollte man aushalten, wenn man in einer Demokratie lebt, weil Demokratie ja davon lebt, dass manche mächtig sind und dann wieder nicht, dass Positionen Wichtigkeit haben und dann wieder verblassen“. Aber mittlerweile ist es so, dass die Grundfesten der Demokratie miterschüttert sind. Natürlich haben es Demokratien derzeit wirklich schwer, denn ein Virus ist nicht demokratisch, nicht gerecht und orientiert sich nicht an politischen Systemen, sondern verlangt von den Menschen und Regierungen rasche Reaktionen. Und in einer Demokratie, die so organisiert ist wie die unsere, ist rasche Reaktionsgeschwindigkeit ein rares Gut. Die Prozesse waren zu langwierig, das hat das Ausmaß der Unsicherheit noch erhöht und das Gefühl bestärkt, dass unsere demokratischen Entscheidungsprozesse dysfunktional werden, auch weil sie von allen Seiten befehdet werden, nicht zuletzt von politischen Systemen, die autokratisch regieren, wie China oder Russland, die schneller entscheiden, weil sie undemokratisch entscheiden und Entscheidungen in die Welt setzen, mit denen der Rest der Welt dann leben muss. 

Auch bei den Medien habe ich das Gefühl, dass die Eleganz der Argumente an Glanz verliert und das Pamphlet gewinnt, das Geschrei, die wechselseitige Anfeindung. Ich habe mich in diesem Jahr viel auf Twitter bewegt und gemerkt, dass diese Empörungs-Bewirtschaftung sehr stark geworden ist. Da gibt’s zu viele Monologe von Menschen, die so tun, als hätten sie Gewissheit und in Wirklichkeit haben sie keine. Insofern war dieses Jahr für mich so etwas wie ein Einrichten im Relativen. Die Relativität gibt den Ton an und nicht die Gewissheit.Andreas Pfeifer franz3Ein Begriff, der immer wieder ins Spiel gebracht wird und der auch mich überzeugt, ist der Begriff der Eigenverantwortung, ein Synonym für Mündigkeit im Sinne der Aufklärung. Ich glaube schon, dass wir gelernt haben, dass wir die Lösungen unserer Probleme nicht ständig auslagern können, an Politiker, Ärzte, Wissenschaftler. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Relativität der Wissenschaft, die ich sehr begrüße, weil Wissenschaft von der Selbstkorrektur, vom Erfahrungsfortschritt lebt, und wir auch dort nicht die unumstößlichen Gewissheiten vorfinden. Wenn man von solchen Relativitäten umgeben ist, wird der Begriff der Eigenverantwortung sehr wichtig. Daher versuche ich als Individuum, das wie alle anderen überfordert ist, bestimmte Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen, und sehe das als Zuwachs der Mündigkeit im Kleinen. Auch zuhause im Homeoffice kann man ein paar Fortschritte machen. Ich beschäftige mich zum Beispiel gerade intensiv mit zweistimmigen Inventionen von Johann Sebastian Bach und versuche endlich die Verzierungstechnik bei Trillern zu lernen oder meine Behauptung zu verifizieren, dass ich wirklich einen guten Risotto alla Milanese kochen kann. So eine kleine Stärkung durch Eigenverantwortung kann sich jeder verschaffen, auch wenn die ganz großen Fragen dieser Pandemie nach wie vor nicht eindeutig beantwortet sind.Andreas Pfeifer franz4Das Zitat von Harald Welzer ist ein wichtiger Appell in einer Zeit, in der wir viel ertragen müssen: Krankheit, Destabilisierung der Demokratie, Donald Trump in meinem Fall, da könnte man schon sehr fatalistisch werden. Dazu fällt mir ein Beispiel ein: Ich habe letztes Jahr für eine Dokumentation über den Prager Frühling Daniel Kohn-Bendit interviewt, einen sehr bekannten Protagonisten der 68er-Zeit, der die Welt unbedingt verändern wollte. Meine letzte Frage war, welche Lehren er aus dieser Zeit ziehe, auch angesichts dessen, dass wir in neokonservativen Zeiten leben, unsere Demokratien wieder autoritärer geworden sind und wir uns mit Populisten herumschlagen müssen? Er antwortete, aus dieser Zeit eigentlich gar nichts mitzunehmen, außer einer Einsicht: „Die Welt ist tatsächlich veränderbar.“ Deshalb finde ich, sollte man sich im Homeoffice nicht nur zurücklehnen, sondern zumindest eine zweistimmige Invention von Bach üben oder einen Risotto kochen.  

Zeichnung: “Insektenschwarm” von Gabriela Oberkofler 
Fotos: Andreas Pfeifer

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