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March 13, 2021
Teil 2: 12_Antonia Egger Mair – Es ist wichtig, weiterzugehen
Susanne Barta
Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.
Antonia Egger Mair ist seit 2019 Südtirols Landesbäuerin. Das heißt, sie leitet die Interessenvertretung der Südtiroler Bäuerinnen und Frauen am Land. Antonia Egger Mair, sie selbst nennt sich gerne „die Tona“, betreibt in Jenesien gemeinsam mit ihrem Mann einen Landwirtschaftsbetrieb, der auf Gemüse spezialisiert ist. Regelmäßig verkauft sie ihr Gemüse auf dem Markt. Ihr Motto, so liest man auf der Website der Bäuerinnen, ist: „Lebe nicht, um zu arbeiten, sondern arbeite, um zu leben, und genieße jeden Tag, so wie er kommt.“
Aufgezeichnet am 5. März 2021
Seit Weihnachten dürfen wir wieder auf dem Markt stehen, da Bauernmärkte nun zur Kategorie Lebensmittelverkauf zählen. Das macht es leichter. Im Herbst noch war es schwieriger, da wir die Keller voll hatten und alles, was länger lagert, gewinnt ja auch nicht an Qualität. Das Ausliefern hat relativ gut funktioniert, dennoch ist es kein Vergleich zum Markt. Im November 2020 als ich meine Auslieferungsrunden gemacht habe, ist mir aufgefallen, dass die Leute besser mit der Situation zurechtkommen, mir scheint, sie haben sich der Situation, so gut es geht, angepasst. Fast jedes Mal wurden persönliche Worte ausgetauscht, das hat mir gutgetan, aber auch den Kunden.
Die entsprechenden Maßnahmen einzuhalten – wie regelmäßiges Testen, wenn man auf den Markt fährt –, ist schon eine zusätzliche Belastung, aber mehr oder weniger passt es derzeit so. Die Kunden halten die Abstände ein und haben sich daran gewöhnt, dass sie das Gemüse nicht selbst aussuchen dürfen. Es kommen weniger Leute, ich weiß nicht genau, ob das nun mit der Jahreszeit zusammenhängt oder weil es einigen Leuten finanziell nicht gut geht. Ich glaube aber, dass es schon einige gibt, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen. Das tut mir leid.
Mir fällt auf, dass manche Menschen sehr aggressiv geworden sind und auf die Politiker schimpfen. Zu entscheiden, wann auf- und wann wieder zugesperrt wird, ist für die Politik sicher schwierig. Diese Balance zu halten zwischen Gesundheit und Wirtschaft ist nicht einfach. Schwierig ist es natürlich für die Sparten, die es besonders erwischt, wie die Hotellerie und den Handel. Aber am schlimmsten erwischt es die Jugendlichen, die seit einem Jahr die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren mussten. Als Erwachsener kann man von der Familie zehren, aber Jugendliche brauchen andere soziale Kontakte. Die Kollegen, die Freunde sind sehr wichtig, ebenso unterwegs zu sein, sein Leben zu formen und die Erfahrungen zu machen, die ein Jugendlicher machen sollte. Wenn das noch länger geht, frage ich mich, wie wir das abfangen können? Das macht mir fast noch mehr Sorgen als die Wirtschaft.
Ein Bereich, der mir auch Sorgen macht, ist das Ehrenamt. Das Ehrenamt ist ein wichtiger Teil des Lebens in Südtirol, vor allem kulturelle Veranstaltungen gestalten das Leben, für die, die es organisieren und für die, die es erleben können. Meine ehrenamtliche Arbeit spielt sich in dieser Zeit vor allem vor dem Computer ab, mir fehlt der direkte Kontakt und bei einigen sehe ich auch, dass sie denken, es geht auch ohne ehrenamtliches Engagement. Bis das wieder aufgebaut ist, wird es einige Zeit dauern. Auch bei mir hat sich der Tagesrhythmus verändert. Wenn ich weiß, dass ich gehen muss, stehe ich früher auf und richte mich her, jetzt ist das alles laxer. Es geht vielen ähnlich, glaube ich, man hat einen langsameren Rhythmus durch die Pandemie, die Begeisterung kommt einem etwas abhanden. Ich bemerke auch, dass ich nicht so viel schaffe wie zu anderen Zeiten. In einigem ist das positiv, denn nicht alles muss immer schnell und gleich gehen, aber es ist auch negativ, denn Forderung tut auch gut. Ich bin mit Druck produktiver und freue mich am Abend, wenn ich etwas geleistet habe.
Die Landwirtschaft ist von dieser Pandemie unterschiedlich betroffen, je nach Bereich. Die Weinwirtschaft hat große Absatzeinbußen, die Apfelwirtschaft läuft vom Absatz her gut, einige Betriebe haben aber das Problem, dass sie nicht alle Arbeitskräfte bekommen haben, was aber den Vorteil hat, dass die Familie wieder mehr mitarbeitet. Auch die Milchwirtschaft bekommt durch den Wegfall des Tourismus zunehmend Absatzprobleme. Im Supermarkt ist mir aufgefallen, dass jetzt auch einheimische Produkte wie Joghurt und Butter im Angebot sind. Gerade in der Berglandwirtschaft ergeben sich da einige Probleme. Wir haben viele kleine Betriebe, die sich nur halten können, weil die Bauern nebenbei im Tourismus, bei den Skiliften arbeiten und das fällt jetzt weg. Auch Betrieben, die kurz vorher eine Investition gemacht haben, fehlen die Einnahmen. Die Bauern haben zwar gelernt, Reserven auf die Seite zu tun, weil man immer damit rechnen muss, dass es im Stall eine Krankheit gibt oder Hagel die Ernte vernichtet, aber diese Krise geht schon lange und da sind einige auf Nadeln.
Es ist wichtig, weiterzugehen, sich zu bewegen. Auch wenn sie eine Herausforderung ist, kann uns diese Zeit menschlich stärken. Ich hoffe sehr, dass die Leute die Lebensfreude nicht zu sehr verlieren. Denn es gibt immer noch schöne Momente, man muss sie sich einfach suchen und diese Momente auch nutzen, zum Beispiel auf dem Dorfplatz – natürlich mit Abstand – miteinander reden, nur digital reicht nicht. Oder in die Kirche gehen, damit die Woche auch eine Struktur hat und man merkt, es ist Sonntag. Beim ersten Lockdown wusste ich oft gar nicht mehr, welcher Wochentag ist. Irgendwann aber, glaube ich, wird unsere Welt schon wieder ähnlich werden, gleich wird sie nicht, denn die Welt verändert sich immer.
Zeichnung: Gabriela Oberkofler
Fotos: SBO/Armin Huber
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