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February 11, 2021

Teil 2: 5_Martin Langer – Ich hoffe, wir gewöhnen uns nicht zu sehr an die Einsamkeit

Susanne Barta

Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.

Martin Langer war bis 2017 Primar für Anästhesie und Intensivtherapie in Mailand. Ebenso ordentlicher Universitätsprofessor an der Universität Mailand. Martin Langer ist in Bozen zur Schule gegangen und hat in Innsbruck Medizin studiert. Er lebt seit langem in Mailand. Und er ist der Bruder von Alexander Langer, Südtirols großem politischen Vordenker. 

Martin Langer 1Aufgezeichnet am 2. Februar 2021

Dass diese Pandemie lange dauern wird, war mir klar. Ich dachte sogar, dass sie noch länger dauern wird, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass man die Impfstoffe so schnell entwickeln würde. Ein Ende kann nur durch die Impfung erfolgen. Was den Zeitpunkt betrifft, könnte es durchaus noch zu größeren Streitereien kommen, jede Alters- und Berufskategorie hat gute Gründe zu glauben, sie sollte zuerst drankommen. Ich bin froh, dass ich das nicht entscheiden muss.

Als Arzt kann ich nicht nachvollziehen, dass man sich nicht impfen lassen möchte. Gerade jetzt, wo Südtirol wieder sehr schlechte Zahlen hat. Sich dagegenzustellen und das Virus zu bagatellisieren hat sich, wie man sieht, offensichtlich nicht ausgezahlt. Ob alle Vorschriften dann auch sinnvoll waren, ist schwierig zu beurteilen. Man muss sich das im Nachhinein anschauen, nicht nur aus gesundheitlicher, sondern auch aus sozialer und wirtschaftlicher Perspektive. Ich bin zwar sicher, dass die Lockdown-Politik Kontakte und damit die Ansteckungen reduziert, aber welche Folgen das für die anderen Bereiche unseres Lebens hat, wird man erst sehen. Ein europäischer Plan wäre für die vielen nationalen Pläne eine wichtige Hilfe gewesen. Aber das wollten die Nationalstaaten nicht, weil sie das als Einschränkung ihrer Souveränität empfunden hätten. So dumm sind wir.

Martin Langer 2+3

Italien hat in dieser Krise einiges gut und einiges schlecht gemacht, ich schwanke da immer wieder hin und her. Im Vergleich zu Deutschland oder auch Österreich hat Italien aber allein durch den schlechten Zustand der Infrastrukturen mehr Schaden erlitten. Zum Teil ist ja Homeoffice deshalb nicht möglich, weil es keine oder nur sehr schlechte Verbindungen gibt. 40 bis 60 Prozent der Prozesse wurden zum Beispiel nach hinten verschoben, weil zuhause arbeiten nicht funktionierte und es keine digitalen Archive gibt. Das Land hat also an der eigenen nicht vollzogenen Reformpolitik sehr gelitten. Das Gesundheitssystem, das von der ersten Welle zum Teil überrollt wurde, hat die weiteren Phasen dann besser überstanden. Die Einteilung der Regionen in Farben finde ich gut. Das Problem ist nur, dass die Leute nicht mehr mitmachen. Praktisch kann man kaum mehr erwarten, dass Empfehlungen noch ankommen, es funktioniert nur noch mit strengen Regeln und Strafen und das ist natürlich nicht erfreulich.

Veränderungen in eine positive Richtung fallen mir keine ein. In der ersten Phase gab es eine große Hilfsbereitschaft, aber jetzt spüre ich diesbezüglich große Müdigkeit. Ich glaube, wir müssen das Erlebte nachher vor allem verdauen, mehr als etwas daraus gelernt zu haben. Längerfristige Veränderungen sehe ich eher in eine andere Richtung. Mir fällt zum Beispiel auf, wenn man am Berg unterwegs ist, hat man sich früher freundlich gegrüßt, fast als wäre man miteinander bekannt. Jetzt schaut man auf die andere Seite und versucht auszuweichen und grüßt sich nicht. Und das am Berg! Ein weiteres Problem sehe ich bei den Kindern. Sie werden gedrillt darauf, Distanz halten und ich weiß nicht wie schnell sie wieder zutraulich werden, zueinander und zu anderen Leuten. Mein dreieinhalbjähriger Enkel, zum Beispiel, hat gelernt Abstand zu halten, aber wann und wie wird er das überwinden? Das Misstrauen voreinander wird uns noch lange begleiten.

Martin Langer 4+5

Das Virus hat sich ja vor allem ältere Leute wie mich und Menschen mit Vorerkrankungen ausgesucht, warum, das ist aus immunologischer Sicht noch nicht genau geklärt. Deswegen wird es für viele ältere Leute wohl länger dauern aus der Isolation herauszukommen. Ich glaube, dass sich die alten Menschen vom Psychologischen her gesehen, nicht leicht erholen werden. Ich hoffe wirklich, dass wir uns nicht zu sehr an die Einsamkeit gewöhnen. 

Das Zitat von Harald Welzer ist schön, nur ist das Ertragen in meinen Augen die Voraussetzung für Veränderung. Wenn ich etwas nicht ertragen kann, kann ich es auch nicht verändern. Ich glaube, wie gesagt, nicht, dass diese Krise etwas zum Positiven verändert. Vor allem wenn ich an die sozialen Folgen denke, bin ich wenig optimistisch. Diese Pandemie hat sehr viele Menschen hart getroffen. Besser weg kommen die, die ein fixes Gehalt haben oder eine Pension. Das ist für mich eine der Ungerechtigkeiten dieser Situation. Der italienische Staat hat es nicht geschafft, den hohen Pensionen etwas abzuzwacken, da gab es statt Bereitschaft gleich Proteste. Das wäre eine vernünftige Sache gewesen, vor allem eine symbolische Geste der Solidarität. 

Zeichnung: Gabriela Oberkofler 
Fotos: Urban von Klebelsberg 

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