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January 19, 2021
Teil 2: 1_Gabriela Oberkofler – Meine Arbeit ist meine Rettung
Susanne Barta
Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.
Die Südtiroler Künstlerin Gabriela Oberkofler ist in Jenesien in einem Gastbetrieb aufgewachsen. Sie lebt und arbeitet in Stuttgart. Herkunft, Tradition und eine große Naturverbundenheit spielen eine große Rolle in ihren Arbeiten, die in einen zeitgenössischen Kontext gesetzt, ganz neue Perspektiven auf vermeintlich Vertrautes eröffnen. Ihre Kunst hat etwas Spielerisches an sich, wer sich darauf einlässt, entdeckt eine vielschichtige, tiefgründige und manchmal auch abgründige Welt. Gabrielas künstlerische Medien sind vielfältig, aber es ist vor allem die Zeichnung, der ihre große Aufmerksamkeit und Hingabe gilt. Gerade arbeitet sie an einem groß angelegten Projekt – „Api Étoilé – ein wachsendes Archiv“ –, in dem sie sich mit alten Sorten, Samen und alternativen Formen in der Landwirtschaft beschäftigt.
Aufgezeichnet am 9. Januar 2021, an Gabrielas Geburtstag
Ich erlebe mich emotional in einem Zwischenzustand. Wir haben bereits einiges in Bezug auf Corona erlebt, gleichzeitig aber ist das Ende dieser Krise noch nicht in Sicht. Ich schaue mir zu, in einer Ecke stehend, mit weit aufgerissenen Augen und Mund, staunend, was da passiert und versuche zu begreifen. Es fühlt sich an, wie wenn ein Zug vorbeifährt, ich bin erstarrt und kann nicht absehen, was diese Zeit für uns bedeutet, welche Konsequenzen diese Zeit haben wird.
Ich arbeite vor allem mit öffentlichen Institutionen. Vermutlich wird man erst in zwei, drei Jahren die Auswirkungen dieser Krise richtig erfassen können. Noch gibt es einen bestimmten Spielraum, im Jahr 2020 habe ich kaum Veränderungen gespürt. Meine Ausstellung „Api Étoilé – ein wachsendes Archiv“ wird jedenfalls im Mai in der Villa Merkel in Esslingen gezeigt. Api Étoilé ist eine alte französische Apfelsorte. In diesem Projekt geht es um alte Sorten, alternative Landwirtschaft, um verloren gegangene Samen, die gesammelt, wiederverwendet und in einem wachsenden Archiv aufbewahrt werden sollen. Auch für die dazu gehörende Katalogproduktion gibt es bisher keine Einschränkungen, im Gegenteil, das fördernde Ministerium ist sehr froh, dass wir das Projekt nicht verschieben.
Dieser Zwischenzustand bedeutet für mich Abwarten, Beobachten, was passiert und sehr wachsam sein, auch mit mir selber. Wenn ich Veränderungen wirklich möchte, muss ich bei mir anfangen.
Es gibt natürlich große Unterschiede, wie man diese Zeit erlebt. Wenn ich mich in meiner Ateliergemeinschaft in Stuttgart bewege, dann merke ich, dass die Mühlen langsam mahlen. Für uns bildende Künstler geht’s irgendwie. Viele sind erleichtert, endlich mal in Ruhe arbeiten zu können. Ich höre auch kaum finanzielle Klagen. Anders schaut das für Musiker-Kollegen aus, für sie ist die Situation dramatisch. Künstler, glaube ich, haben gelernt, mit Krisen umzugehen und mit sehr wenig zu leben. Bis Ende 2020 war die Stimmung in meiner Ateliergemeinschaft überwiegend gut. Vor Weihnachten bin ich dann nach Südtirol gekommen und mir ist aufgefallen, dass die Stimmung hier anders ist. Vielleicht weil sich alles viel mehr um wirtschaftliche Themen dreht. Das macht mir Angst, weil ich merke, dass es in meinem Umfeld beginnt, Menschen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Viele sind Unternehmer, es geht nicht weiter, das Ende der Krise ist nicht absehbar. Gleichzeitig habe ich nicht das Gefühl, dass die Unternehmer die Krise zum Nachdenken nutzen. Es ist viel Bedauern zu spüren, dass es nicht so weitergeht wie zuvor.
Die Realität hat mich sehr stark eingeholt, als meine Mutter vor zehn Tagen ins Krankenhaus kam. Noch nie habe ich die Auswirkungen von Corona so direkt erlebt wie jetzt, auch wenn meine Mutter nicht wegen Corona im Krankenhaus ist. Wir dürfen sie nicht besuchen, alles geht nur über Telefon, wir können nie unter vier Augen mit den Ärzten sprechen, das ist eine riesengroße Belastung für uns. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, was diese Krise für das Gesundheitssystem bedeutet, es ist eine Katastrophe.
Alle diese unterschiedlichen Bereiche zusammenzukriegen ist für mich schwierig. Gerade heute habe ich mir gedacht, wie dankbar ich dafür bin, dass ich meine Arbeit habe. Meine Arbeit ist meine Rettung. In diesen Tagen fahre ich wieder nach Deutschland, in mein Atelier. Was mich persönlich anbelangt als Künstlerin, bin ich zuversichtlich und sehr froh, diesen Anker zu haben. Was aber um mich herum passiert, da mache ich mir große Sorgen. Ich glaube, es geht jetzt mehr denn je darum, menschlich und ehrlich zu sein. Es geht um Aufrichtigkeit. Wir werden nicht darum herumkommen, dass jeder Einzelne hinterfragt, was ist mir wichtig, was nicht. Ich bin kein sehr materiell eingestellter Mensch, ich bin sehr genügsam. Wirklich wichtig ist mir, dass wir in der Lage sind, aufeinander zuzugehen, Kompromisse zu schließen und darüber nachzudenken, was wir da eigentlich tun. Wenn ich es richtig spüre, dann geht es in dieser Krise darum, zu sich zu kommen, für Mensch, Natur, Tiere und Objekte Mitgefühl zu empfinden und sich zu fragen, mit welcher Haltung ich das Umfeld, in dem ich mich bewege, behandle.
Auf das Zitat von Harald Welzer Bezug nehmend: Etwas zu ertragen, ist für mich nur möglich, wenn ich etwas tue. Im Tun aber braucht es Tiefgang. Mit Oberflächlichkeit werden wir nicht weiterkommen. Es geht darum, tief zu graben und da etwas zu finden, das existentiell ist.
Zeichnung „Tränenteppich“ von Gabriela Oberkofler
Fotos: Jihye Park
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