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April 16, 2020
9_Isabelle Prinoth – Let’s think outside
of the box
Susanne Barta
Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. In einem zweiten Moment einige Monate später, werden sie ausführen, wie sich „Nach-Corona“ anfühlt und was sie nun beobachten. Begleitet werden die Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und dem für mich sehr passenden Zitat von Karl Valentin.
Isabelle Prinoth arbeitet im St. Ulricher Familienbetrieb Socrep GmbH. Das Unternehmen ist Vertriebspartner hochwertiger Mode-, Sport- und Outdoor-Brands wie Fred Perry, Canada Goose, Mammut und Hunter. Die junge Ladinerin hat in Standford und an der American University of Paris studiert und dort ihren Bachelor of Arts in International and Comparative Politics gemacht. Sie spricht sieben Sprachen und hat Ausbildungen im Water und Nitrox Diving absolviert. Ja, und sie fliegt auch. Ab Juli übernimmt Isabelle Prinoth als erste Frau die Präsidentschaft des Rotary Clubs Brixen.
Aufgezeichnet am 9. April 2020
Ich lebe in Mailand, wo wir vom Familienbetrieb aus Büros und Showrooms betreiben. Für die Modebranche ist das seit einigen Jahren ein Must-have. Seit dem 24. Februar bin ich wieder in Südtirol, denn als sich die Lage in der Lombardei zuspitzte, habe ich entschieden, die Büros in Mailand zu schließen. Bei meiner Flugausbildung habe ich gelernt, wenn es kritisch werden könnte, sind sofort Maßnahmen zu setzen. Ich bin nach Südtirol zurückgefahren und habe mich erst mal selbst aus Respekt gegenüber den anderen einige Tage in Quarantäne begeben.
Für mich ist diese Zeit überhaupt keine Last. Ich genieße es, endlich Dinge zu tun, für die nie Zeit war, weil es immer eine Ausrede gab, zu viel Stress, zu viel Arbeit. Ich nutze diese Wochen auch zum Ausruhen, für mich selbst und als große „opportunity“. Ich bin der Meinung, man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen. Wir können derzeit selber ja nicht wirklich etwas unternehmen, außer daheim zu bleiben. Es hat also keinen Sinn, sich darüber zu beschweren. Ich versuche, das Gute auch in schwierigen Zeiten zu sehen und das Beste aus meinen Tagen zu machen. Wir sind als Familie jetzt an die fünf Wochen zuhause, das geht eigentlich sehr gut. Die Tage in Mailand sind normalerweise eher hektisch, hier ist es ruhiger und ich kann alles etwas gelassener nehmen.
Man sagt ja, in schwierigen Zeiten zeigt sich der Charakter eines Menschen. Das kann man jetzt wirklich gut beobachten. In meinem Dorf sehe ich Leute, die sich streng an die Regeln halten, dann wieder andere, die es nicht tun. Man sieht Leute, die Angst haben, die frustriert sind, die Schwierigkeiten haben, weil sie es nicht mehr gewöhnt sind, daheim zu sein mit der Familie, in den eigenen vier Wänden, mit den Kindern. Ich glaube, es ist eine „opportunity“ mal etwas anderes zu erleben und sich Gedanken darüber zu machen, wie es anders gehen könnte.
Yuval Noah Harari schreibt in seinem Buch „Homo Sapiens“, dass das, was wir heute erleben, in der Geschichte schon einmal passiert ist. Dass wir aber als Gesellschaft die Vergangenheit gerne vergessen und auch die Lektionen, die wir daraus ziehen können. Ich hoffe sehr, dass wir Lehren aus dieser Zeit ziehen. Als Gesellschaft und als Einzelperson. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das auch durchgezogen wird. Ich hoffe nicht, dass man in ein, zwei Jahren zurückschaut und meint, jaja das war eine schwierige Zeit, aber wieder zurückgeht in die gleichen Rhythmen.
Ich bin ein Fan von Asien, vor allem von Japan. Viele Asiaten tragen häufig Mundschutz, wofür sie auch gerne belächelt werden. Aus Respekt den anderen gegenüber, zum Beispiel wenn sie erkältet sind. Diese Form von Respekt würde ich mir wünschen zu lernen. Die Masken werden sowieso unser neues Accessoire, denn wir werden sie vermutlich noch monatelang tragen müssen.
Die erste Lektion, die wir als Familie und im Betrieb gelernt haben, ist, dass die Zukunft unsicher ist, wir nicht genau wissen, was in der Zukunft passiert. Durch Corona erleben wir derzeit eine fast surreale Situation. Und auf solche Situationen kann man sich nur bedingt vorbereiten. Ich denke, dass es Veränderungen in den Beziehungen zu Kunden geben wird und wir Entscheidungen schneller treffen werden, die wir schon lange im Hinterkopf hatten, aber bisher nicht getroffen haben. Hier können sich neue Möglichkeiten eröffnen. Als Betrieb haben wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet und verspüren keinen ganz akuten Druck. Aber wir haben eine ethische Verantwortung gegenüber den Mitarbeiter_innen und ihren Familien. Da schauen wir natürlich, was wir machen und auch lernen können. Und aus wirtschaftlicher Sicht sollten wir daraus lernen, „let’s think outside of the box“. Wir wissen in Italien nicht, wie die Wirtschaft und vor allem wann sie sich erholen wird. Wie viele Kunden weiterarbeiten können. Das ist alles mit einem Fragzeichen versehen. Aber wenn es Fragezeichen gibt, kann man auch nach guten Antworten suchen.
Zeichnung: Gabriela Oberkofler
Fotos: (1–4) © Isabelle Prinoth
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