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November 17, 2014
Epigonia: Eine ‘pataphysische Oper
Marco Russo
# Redensart – Erläuterung – Beispiel
Ein allseits bekanntes Sprichwort lautet: Aus der Not eine Tugend machen. Darunter wird verstanden, trotz allem Schlechten noch das Gute zu sehen, oder eine missliche und ungünstige Lage durch eine bestimmte Cleverness zu bewältigen. So oder ähnlich erging es Passagieren eines Schiffes, die nach tagelanger Fahrt auf hoher See urplötzlich mit der Tatsache konfrontiert wurden, dass der Schiffskoch verschwunden war. Er war nicht mehr aufzufinden – wie vom Erdboden verschluckt. Eine missliche Lage also, denn wer würde fortan für das leibliche Wohlbefinden der Passagiere aufkommen? In Ermangelung des kulinarischen Experten gelang es der Truppe regelrecht aus der Not eine Tugend zu machen, um sich aus der misslichen Lage bravourös zu befreien: Sie tanzten sich in die Kochrezepte ein.
# Epigonia
Epigonia ist die Nachgeborene. Sie ist die kleine Schwester von Akhtamar. Während Akhtamar eine 2tausendjährige Oper ist, ist Epigonia ebenfalls eine Oper – allerdings eine ‘pataphysische Oper. Eine ‘Patakartoffelwas? Ja, eine ‘pataphysische Oper, die am Dienstag, 18. November 2014 um H 20.00 im Innsbrucker Treibhaus im Rahmen des Freien Theaterfestivals Innsbruck ihre Premiere feiert.
# ‘Pataphysik
φύσις phýsis – als Terminus technicus – meint kurzerhand Natur. Während sich die Physik als Disziplin mit Naturphänomenen beschäftigt, die μετάφύσις (Metaphysik) seit Jahrtausenden bemüht ist, jenseits der Kulissen dieser Natur zu blicken, ist die ‘Πατάφύσις (‘Pataphysik) eine noch junge Wissenschaft der multiversalen Potentialität. Ihrem Selbstverständnis nach sind ‘pataphysische AkteurInnen jene wissenschaftlich interessierten Subjekte, die sich nicht regungslos der Passivität und Misere des Alltages hingeben, sondern im Gestus des Poetisch-Kreativen mit Mensch, Sein, Welt, Kosmos und deren möglichen Multitäten, Parallelitäten und Absurditäten interagieren.
Im Manifest des PIP (Pegasus Institut für ‘Pataphysik) wird die anthropologische Konstante auf den Punkt gebracht:
Der Mensch ist im ‘pataphysischen Sinn also in erster Linie ein poetisch kreatives Wesen und als solches Teil eines poetisch kreativen Kosmos. Der Mensch ist ein Wesen, das die Welt und sich selbst gestaltet, ein Wesen, das der Imagination fähig ist und das mit deren Hilfe die Welt und sich selbst hervorbringt. In diesem Sinn ist die ‘Pataphysik eine Wissenschaft, die sich mit dem Besonderen auseinandersetzt, mit dem besonderen Standpunkt der Welt.Epigonia © Christa Pertl
# Misere
Die Misere des Alltages äußert sich auf unterschiedliche Art und Weise. Beispiele hierfür gibt es zu Genüge: die permanente Krise des Kapitalismus, das Scheitern der Utopien, das An-die-Grenzen-des-Theaters-gestoßen-zu-Sein, die beständige Wiederholung des Vorhandenen – um nur einige Bespiele zu nennen. Selbst das diesjährige Thema des Theaterfestivals erweist sich in seiner Substanz als Gähnen eines bereits zum hundertsten Male durchgekauten Sujets: Provinzialität. Dem in einer solchen Weltordnung agierenden Menschen sind – neben dem endlosen Spiel der Resignation – kaum weitere Möglichkeit gegeben: Entweder wird das Spektakel entschleunigt oder das Ganze wird ins Immense beschleunigt, um endlich dem Ende – und somit einer potentiellen Erneuerung – entgegen zu steuern. Das Dritte jedoch, womöglich die friktionelle Kraft des Dazwischen, ist die Konstruktion eines Bezirkes als eigentliche und wahrhafte Abbildung des Realen, in der das Fundamentum Inconcussum, also das unerschütterliche Fundament, die absurde Komödie ist.
# Subversives Wissen
Wahrscheinlich sind die ‘Pataphysik und mit ihr die Oper Epigonia als eine Entäußerungsform die letzten Inseln einer Seligkeit, die in unseren Tagen abhanden gekommen zu sein scheint, nämlich das Erproben von demokratischen Prozessen. Denn die Arbeit an Epigonia erwies sich aus der Sicht der Regisseure Michaela Senn und Ekehardt Rainalter als Teamwork in einem kleinen Parlament: Ein/e jede/r bringt das ein, wo er/sie glaubt, sich einbringen zu können.
# DarstellerInnen: Elena Ledochowski / Daniela Bjelobradic / Tamara Burghart / Fabian Lanzmaier / Michaela Senn / Martin Fritz / Peter Mair / Eva Mueller / Ekehardt Rainalter. # Regie: Michaela Senn + Ekehardt Rainalter. # Tanz & Choreographie: Eva Mueller. # Musik: Donauwellenreiter: Thomas Castañeda / Maria Craffonara / Lukas Lauermann / Jörg Mikula. # Komposition: Thomas Castañeda. # Musikalische Koordination: Maz Lauterer. # Text + Dramaturgie: Peter Brandlmayr / Martin Fritz / Michaela Senn. # Produktion: Claudia Holzknecht. # Bühnenbild + Grafik: Ekehardt Rainalter. # ‘Pataphysische Beratung: Maurizio Nardo.
# Aufführungen: Di, 18.11.2014 (Premiere) / Mi, 19.11. / So, 23.11. / Mo, 24.11. / Di, 25.11. / Mi, 26.11. @ Treibhaus, Innsbruck
# Zusatzveranstaltung: Do, 22.11. Lukas Lauermann + Fluktuation8 / # Bar: Monomono @ p.m.k.
# Coming soon: Patagonia. Ausstellung zur Oper in der Hofburg. columbosnext + Peter Brandlmayr. All das, was in der Oper keinen Platz fand und einiges mehr.
# Postskript:
Keine Theorie sondern nur ‘Pata. // Suche nach dem Standpunkt // Es gibt keine übergeordnete Wissenschaft – nur ‘Pata // Das radikale am Stück ist der Text – der Rest macht das Andere verdaulicher // Interaktion => multimediales Stück // Es sind keine Rollen, keine Figuren mit abgeschlossenen Funktionen // ‘Pata ist Alltag und die Alltagsfrage lautet: Wie serviert man Essen? // Keine Show, keine Veranstaltung, sondern Oper // Das Gesamtprodukt ist wichtiger als seine Teile // Autoritäten werden natürlich gebildet // ‘Pata will Theorie alltagstauglich machen // Plattheit der Mediengeschichte als Ausdrucksmittel // Oper als Transportmedium // Charisma.
> C O O L <
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