Music

March 16, 2022

Manuela Kerers TOTEIS und wie heiße Luft zu Musik wird

Maria Oberrauch

Manuela Kerer ist Südtirols spannendste und erfolgreichste Komponistin. Ihre Arbeit ist vielfältig und mutig, opulent und zart, lokal inspiriert und weltgewandt. Heute, am 16. März 2022, und morgen, wird ihre Oper TOTEIS im Bozner Stadttheater uraufgeführt. 

Endlich wird deine Oper TOTEIS uraufgeführt. Wie geht’s dir damit? Warum Oper?

Ich bin unglaublich froh, dass wir endlich in Bozen spielen können. Wir hatten ja die Uraufführung einer reduzierten Fassung im September 2020 in Wien, aber nun – nach all diesen Corona-bedingten Verschiebungen – das ganze große Symphonieorchester und alle Sänger*innen und den Chor zu haben, ist schon eine große Erleichterung. Andererseits macht mich die Aktualität von TOTEIS und des Kriegs-Sujets schon sehr traurig.

Toteis_Haydn_Foto_Alessia_Santambrogio_Klavierhauptprobe__1_Auch wenn politische Themen durchaus dein Ding sind, die Figur der Viktoria Savs ist eine problematische und vermutlich war es nicht ganz einfach, sie in Musik zu hüllen. Wie hast du sie geschrieben bzw. vertont? 

Als erstes muss ich sagen, dass ich zunächst überhaupt nicht überzeugt war von diesem Opern-Thema. Als ich den Auftrag bekam, habe ich mir deshalb Bedenkzeit erbeten. Aber je länger ich darüber nachgedacht habe, desto überzeugter wurde ich, dass eine Figur wie Viktoria Savs unbedingt auf die Bühne gehört. Die Herausforderung war für mich, einer Hauptfigur, die mir unsympathisch und zuwider ist, meine Musik zu geben, die schönste Sprache, über die ich verfüge. Dafür habe ich dann aber verschiedene Lösungsansätze gefunden. Die große Besetzung mit Solisten, Chor und großem Symphonieorchester hat mir sehr geholfen, denn mit so vielen Stimmen kann man sehr gut horizontal-harmonisch arbeiten. Es gibt auch Teile, wo praktisch jede*r im Orchester eine eigene Stimme spielt, um die vielen Facetten der Viktoria aufzuzeigen, die man nicht einfach in eine Schublade wegpacken kann. Außerdem ist in jeder der vier anderen Hauptfiguren etwas von Viktoria vorhanden. Genauso schwingt im Orchester immer wieder sehr viel mit. Grundsätzlich habe ich in TOTEIS sehr viel mit Klangfarben gearbeitet. So gibt es sehr viele Luftgeräusche der Bläser, wenn es um Viktorias große Taten geht, also quasi nur „heiße Luft“ erzeugt wird. Hier zeigt sich mein Dilemma deutlich, denn ich finde diese Luft- und Atemgeräusche wunderschön. Dasselbe gilt für Kratzgeräusche der Streicher, die im ersten Moment fast in den Ohren schmerzen, aber für mich sehr ästhetisch klingen. Außerdem habe ich einen Teil im Volksmusik-Stil komponiert oder setze Zitate ein, beispielsweise einen langsamen Jodler meines Urgroßvaters, dem Komponisten Jepele Frontull, oder das Kinderlied „Maikäfer flieg“. 

Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg …?

Ja, wir kennen es als „Schlaf Kindlein schlaf“, die Musik ist unheimlich beruhigend, aber der Text? Wie oft habe ich mir als Kind die Frage gestellt, warum in aller Welt Pommerland abgebrannt ist? (Meine Eltern sangen es in dieser Version, heute gibt es auch viel „harmlosere“). Dazu muss man wissen, dass das Lied sehr alt ist, aber besonders im ersten Weltkrieg gesungen wurde, wo Maikäfer wie eine Währung gehandelt wurden, denn man konnte das Vieh damit füttern. Jedenfalls: Alle Zitate oder die Volksmusik, die ich komponiert habe, sind Musik, die ich liebe. Denn zum einen wollte ich zeigen, dass Musik nach wie vor für bestimmte Zwecke missbraucht wird. Zum anderen – und das ist noch viel wichtiger – siegt in meiner Musik die Hoffnung, weil ich an das Gute im Menschen glaube.

All das in einer Oper zu transportieren … eine große Herausforderung?

Von der Besetzung ist es eine ganz klassische Oper, was ich mir damals sehr gewünscht habe, vom Inhaltlichen aber, ist es durch diese Hauptfigur kein klassisches Opern-Sujet. Diese Reibung hat mich total interessiert. Für mich war die größte Herausforderung die permanente Frage, was ich wohl zu dieser Zeit gemacht hätte. Hätte ich weggesehen, verdrängt oder mich aktiv widersetzt? Das kann ich leider nicht beantworten, aber diese Frage ist wichtig für unsere Gesellschaft und ich will sie mir und dem Publikum stellen. 

Toteis_Haydn_Foto_Alessia_Santambrogio_Klavierhauptprobe__5_Librettist des Stücks war Martin Plattner … wie habt ihr zusammengearbeitet?

Wir kannten uns nicht, aber er war für mich ein extremer Glücksgriff. Martin hat mir Ideen und Entwürfe zugeworfen, ich habe darauf reagiert, das hat wiederum ihn inspiriert und so war es eine verschränkte Arbeit, auch wenn die endgültige Ausarbeitung meiner Partitur dann im zweiten Schritt kam, denn dazu brauchte ich die exakte Wortfolge, die Silben etc. Ich hoffe sehr, dass wir wieder zusammenarbeiten werden. 

In einem deiner Beiträge für „Kerers Saiten“ schreibst du darüber, dass untersucht wurde, wie Schimpansen auf Musik reagieren. Ergebnis: Sie konnten nicht zwischen Musik und digital verzerrten Geräuschen unterscheiden. Ist die Musik der Spezies Mensch vorbehalten? Was an ihr macht sie so wichtig für uns? 

Es gibt schon auch Studien, die zeigen, dass Tiere auf Musik reagieren, aber dass Kühe bei Mozart mehr Milch geben oder Reben mit Musik besser wachsen, ist natürlich Blödsinn. Ich würde also sagen, Musik ist nicht allein dem Mensch vorbehalten, wir rezipieren, erfahren und genießen sie aber auf sehr spezielle, uns eigene Art und Weise. Musik kann so wahnsinnig viel in uns auslösen und übt auch eine Macht auf uns aus. Deswegen schießen uns bei bestimmten Klängen Tränen in die Augen oder sie versetzen uns in eine bestimmte Situation unseres Lebens. Leider wird Musik auch immer wieder missbraucht. Die emotionale Ansteckungskraft von Musik hängt mit unseren Spiegelneuronen zusammen. Wichtig ist aber auch, dass Musik mit unseren Erwartungen spielt, das Gehirn legt schon nach den ersten Tönen los und fragt sich, wie das Stück wohl weiter geht. Entweder es fühlt sich dann bestätigt oder überrascht. Ob das der*m Einzelnen gefällt ist dann natürlich Geschmacksache. Jedenfalls wirkt Musik sehr unmittelbar auf unser Stammhirn, und das ist kulturunabhängig.

Für welches Instrument komponierst du am liebsten? 

Das kann ich so gar nicht sagen und hängt stark davon ab, was ich vorher gerade geschrieben habe. Ich denke, ich habe für alle klassischen Instrumente geschrieben, für sehr viele alpenländische Volksinstrumente, aber auch für einige chinesische Instrumente. Für TOTEIS war mir neben dem groß besetzten Symphonieorchester wichtig, dass es ein Raffele, also eine Scharrzither, und eine elektronische Zither gibt. Damit konnte ich gut diese Hüttenatmosphäre des Veteranentreffens vermitteln, aber eben noch viel mehr, wie ganz viele eisige, militärisch-harte, aber auch sehr emotionale Klänge.M.Kerer©RolandRenner

Was machst du sonst so gerade und wo gehst du um?

Ich komponiere sehr viel, ich mache gerade ein Hörspiel für Kids für das Bergwerk Villanders mit einem Text von Erich Meraner. Daneben schreibe ich Stücke für die Styriarte, ein Wiener und ein Münchner Ensemble. Das alles mache ich bei mir zu Hause in Brixen zwischen Lego-Spielen und Gute-Nacht-Lieder-Singen für meine zwei Mädchen.

Was birgt die Zukunft? 

Die Zukunft bleibt spannend, denn ich habe zwar viel zu tun, merke aber auch in Künstler*innen-Kolleg*innen-Kreisen, dass die Covid-19-Zeit nicht spurlos an der Kultur vorüber gegangen ist. Viele Veranstalter*innen trauen sich nach wie vor nicht, große Projekte zu programmieren. Außerdem haben wir einen Krieg vor unserer Haustür, das stellt eigentlich alles in den Hintergrund und es bleibt nur zu hoffen, dass der Schrecken bald ein Ende hat. Aber deshalb ist es wichtig, dass die Kultur und wir Kulturschaffenden weitermachen, denn Kunst und Kultur sind der Spiegel der Gesellschaft.

Fotos: (1) Manuela Kerer, (2,3)Alessia Santambrogio, (4) Roland Renner

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