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April 7, 2023

Luft und Liebe

Sarah Caliciotti

Atmen hilft. Es hilft beim Denken, beim Sprechen, bei körperlicher Anstrengung, beim Treffen von Entscheidungen und nicht zuletzt beim Überleben. Alles wichtige Dinge. Dinge, um die sich auch die beiden Protagonist*innen im Stück „Atmen“, geschrieben von Duncan Macmillan, bemühen. Sollen wir ein Kind bekommen? Darf man das heute noch? Muss man sogar? Was passiert, wenn? Was, wenn nicht? Das sind die Fragen, die sich die Figuren immer und immer wieder stellen, in einem nicht enden wollenden Abwägen von Vor- und Nachteilen – ganz nach dem Motto: Wenn es eine einfache Antwort gibt, ist die Frage falsch.

Letztlich geht es aber um nichts Geringeres, als um die Fragen nach Sein oder Nichtsein, nach Gut und Böse, nach der Liebe und nach dem Sinn im Leben. Um alles also. Julia Jenewein bringt „Atmen“ im Innsbrucker Kellertheater mit Tamara Burghart als „Frau“ und Peter Mair als „Mann“ auf die Bühne (noch bis 5. Mai 2023). 

Das Stück dreht sich um die Frage, ob man angesichts der globalen Probleme noch guten Gewissens ein Kind in die Welt setzen kann. Ist diese Entscheidung deiner Meinung nach eine, die rational getroffen werden sollte oder ist das im Gegenteil zutiefst privat und muss von jedem Menschen für sich entschieden werden?

Julia Jenewein: Das kommt sehr darauf an, wo man als Mensch Prioritäten setzt – wir befinden uns ja, auch verständlicherweise, in einer Zeit „extremer“ Formen von Klimaschutz, wo zum Beispiel der freiwillige Verzicht auf Kinder dazugezählt wird. Und man spart tatsächlich immerhin 58,6 Tonnen CO2 auf ein Menschenleben gesehen. Rational gesehen macht es also durchaus Sinn, aber ich persönlich finde, es ist eine individuelle und sehr emotionale Entscheidung.

Wo liegt der Unterschied zu anderen Themen, bei denen eher ein gesellschaftlich vernünftiges Handeln erwartet werden würde, wie zum Beispiel unser Konsumverhalten? Wo machst du die Grenze fest?

Jeder Mensch soll seinen Beitrag leisten, in welcher Form auch immer er das möchte. Aber die wirkliche Verantwortung sehe ich bei den Konzernen, bei den „Big Bosses“, den reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung bzw. den Entscheidungsträger*innen – bei denen also, die wirklich im großen Stil etwas bewirken können. Natürlich können wir als Konsument*innen auch etwas tun, jeder Beitrag ist wichtig. Aber für mich ist das kein Wettbewerb, weil wir alle nicht aus dem System aussteigen können. Damit spielt auch das Stück, weil auch die Figuren sich immer wieder die Frage stellen: „Sind wir gute Menschen?“
„Die Frau“ sagt, das Wichtigste überhaupt, was man machen kann auf der Welt, sei einen anderen Menschen großzuziehen. Es sei die größte Aufgabe, die man in seinem Leben eingehen kann.
Damit verbundene Sorgen und Ängste kommen auf: „Kann ich es mir leisten? Was macht es mit meiner Karriere? Sehe ich mich darüber hinaus? Ist das ethisch zu verantworten?“ Viele Strukturen bieten nicht die besten Voraussetzungen für die Familiengründung.
Ein Zitat aus dem Stück trifft es besonders, finde ich: Vielleicht ist es ein Überlebensmechanismus, irgendwas in unserm System, weil, wenn man darüber nachdenken würde, wirklich gründlich darüber nachdenken würde, bevor man es macht, dann würde man es nie machen.“

Gibt es deiner Meinung nach denn gute und schlechte Menschen?

Ich persönlich glaube an Dualität. Ich denke, wir haben Gut und Böse in uns und beides kann greifen. „Gut“ ist wohl am ehesten jemand, der sich selbst und anderen nicht vorsätzlich schadet. Das Stück stellt die Frage, ob nicht alle von sich glauben, dass sie gut sind, auch Hitler oder Putin …Atmen (c) Gabriele GrießenböckWas hat es mit dem Stücktitel „Atmen“ auf sich?

Auf Englisch heißt das Stück „lungs“, was ich sehr interessant finde. Im Grund meint der Autor den „Lebensatem“ – von Atemübungen bei der Geburt bis zum letzten Atemzug. Wenn wir alles verpesten und unser Ökosystem zerstören, geht uns „die Luft aus“. Du bist ein lebendes Ökosystem, wenn du schwanger bist, die Erde ist auch eines, um das man sich kümmern muss. Atmen ist Symbol für das Leben. 

Ist es denn eine existenzielle Frage, ob man ein Kind bekommen möchte oder ist es vielmehr eine Wohlstandsfrage?

Ich finde sie zutiefst existenziell, weil wir andernfalls alle nicht da wären, wir müssen alle geboren werden. Ob man sich überhaupt die Frage stellen kann, kommt aber natürlich schon auf die individuelle Lebensrealität an. In benachteiligten Ländern gibt es diese Überlegung wohl nicht in der Form, das hat mit Privilegien zu tun, aber auch mit Religion, Kultur etc.

Was war die größte Herausforderung bei der Inszenierung für dich?

Die Art, wie der Text geschrieben ist. Dass er ein ganzes Menschenleben im Schnelldurchlauf abhandelt und dass er oft aus angefangenen, halben Sätzen besteht. Es gibt ständige Raum- und Zeitwechsel, keine Szenen, man erfährt nur über das Gesagte, wo in ihrem Leben sich die beiden gerade befinden. Die Zeitsprünge werden immer größer im Lauf des Stücks.
Die Anforderung von Duncan Macmillan ist zudem eigentlich eine leere Bühne, keine Lichtwechsel, keine Musik, keine Requisiten. Ich hab mich aber nicht ganz daran gehalten, bei Licht und Ton haben die Ausstatterin Salha Fraidl und ich uns beispielsweise schon ausgetobt, das wäre ja sonst fad.

Und was hat dich am Stück besonders gereizt?

Dass uns diese Frage im Grund alle betrifft – jeder Mensch muss sich irgendwann mal für oder gegen ein eigenes Kind entscheiden und verbindet damit die unterschiedlichsten emotionalen Erfahrungen. Deshalb können alle das in irgendeiner Form nachempfinden.

Fotos: Atmen (c) Gabriele Grießenböck

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