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November 23, 2020
Menschliche Emotionen sezieren: Sarah Scherer
Eva Rottensteiner
Man kann wohl guten Gewissens sagen, dass es nichts gibt, was sie nicht kann. Sarah Scherers Vita ist vier Seiten lang: Sie hat produziert, getanzt, geschauspielert, inszeniert, geschrieben, gesprochen und vor allem Regie geführt. Von Theater bis Videokunst für die Oper steht die 31-jährige Künstlerin sowohl vor, als auch hinter der Kameralinse. Ursprünglich aus Auer arbeitet Sarah Scherer seit ihrem Studium (Schauspiel und zeitgenössischer Tanz) in Wien. In den letzten Jahren hat sie vor allem als Schauspielerin und Regisseurin in Film und Theater ihre Ideen in die Welt gesetzt. Außerdem hat sie sich immer wieder als Videokünstlerin bei Opern, im Theater und auch bei den Salzburger Festspielen eingebracht. Nebenher ist sie als Sprecherin tätig.
Für den britischen Musiker Phil Gould, Gründer der Jazz- und Funk-Band aus den 80ern „Level 42“, hat sie kürzlich das Musikvideo „Beautiful Wounds“ visualisiert und als Regisseurin geleitet. Das Video wurde in einem historischen Wiener Gebäude des 19. Jahrhunderts gedreht und ist eine Zeitreise durch die Lebenserfahrungen eines Menschen und wie er durch Narben und Wunden wieder zu Kräften kommt.
Wofür stehen die vier älteren Menschen am Ende des Musikvideos?
Einige Ebenen im Film stehen für einen Zeitsprung. Die Personen am Ende finden sich in ihrem Lebensabend wider, während der Hauptdarsteller sich vom Sterbenden am Anfang zum kleinen Kind zurückentwickelt. Die älteren Menschen stehen regungslos da, wie ein Gemälde – ihre Falten reflektieren das Leben und ihre leuchtenden Augen blicken darauf zurück.
Musikvideos – damit hast du bisher vergleichsweise weniger Erfahrung gemacht. Worauf muss man da achten, anders als beim Film oder Theater? Was waren die größten Herausforderungen beim Dreh?
Ja, „Beautiful Wounds“ war mein erstes Musikvideo, vier weitere folgten. Konzeptuell ist natürlich alles möglich, aber der Song ist auch das Baby des Musikers, dafür sollte eine gewisse Sensibilität vorhanden sein. Der Rhythmus ist entscheidend, vor allem im Schnitt. Lässt man sich von der Musik treiben oder steuert man dagegen? Die Ästhetik darf experimenteller sein, man kann mehr wagen und verrückter werden. Ich bin immer ein Fan davon, wenn auch in einem Musikvideo eine Geschichte erzählt wird und nicht nur bunte Farben und schöne Menschen über den Bildschirm flackern.
Wie funktioniert dein kreativer Prozess? Mit Phil Gould warst du ja zur Vorbereitung im Museum, um dort Inspiration zu holen.
Jedes Projekt verlangt eine leicht modifizierte Herangehensweise, aber in der Regel fülle ich mich Schritt für Schritt mit Inhalt an: Via Recherche sammle ich Information, suche nach Bildern, Symbolen und Assoziationen, ich gehe spazieren, tausche mich mit anderen Menschen aus. Meine Wohnung ist bis dahin voll mit wirren Notizen auf bunten Post-Its. Dann starre ich lange ins Leere, bis mein Inneres irgendwann so voll ist, dass es sich in einem Guss auf das Papier entlädt. Und dann fängt die Arbeit an.
Welche Themen beschäftigen dich in deinen Filmen, Rollen, Videoprojekten, Drehbüchern immer wieder?
Das ist ganz unterschiedlich, aber wenn ich Bereiche herausfiltern müsste, die Neugier in mir wecken, würde ich sagen: Traum und Wirklichkeit, Lüge und Wahrheit, Surrealismus und Utopie. Durch den Schauspiel-Einfluss bin ich gerne nah am Menschen dran, seziere Emotionen und Handlungsmotive. Um es mir darin nicht zu gemütlich zu machen, versuche ich die Welt zu beobachten und sie in irgendeiner Form umzucodieren.
Deine Interpretation des Musikvideos war jene, dass der Mensch durch seine Narben an Stärke gewinnt. Man könne nur den eigenen Rückschlägen einen Sinn geben und sie mit offenen Armen empfangen. Ist das auch dein persönlicher Zugang zum Leben? Und wieviel davon steckt eigentlich in deinen künstlerischen Werken?
Mir persönlich bleibt nichts anderes übrig, ich bin unverbesserliche Optimistin und würde daran zugrunde gehen, wenn ich die Welt schwarz sähe. Kreatives Schaffen ist ein sehr intimer Prozess, einiges an persönlichen Themen vermischt sich immer mit dem Werk. Was zuerst da war, weiß man am Ende nie mehr so genau.
In einem anderen Interview meintest du, dass du jetzt während Corona Zeit hast, an deinen Ideen herumzufeilen. Die da wären?
Es gibt da eine Geschichte, die mir schon seit einiger Zeit im Kopf herumgeistert und mir keine Ruhe lässt. Neben der Vorbereitung auf einige Opernproduktionen für 2021 hoble und schleife ich zur Zeit an dieser verflixten Idee, die ich mir als mein Spielfilm-Debüt erträume.
––Dann wünschen wir viel Erfolg und kreative Ergüsse!––
Fotos: (1) Sarah Scherer; (2) Matthias Jakisic
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