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September 27, 2023

Aktivistin für eine bessere Modeindustrie – Mirjam Smend im Interview

Susanne Barta

Mich mit Slow/Sustainable/Fair Fashion zu beschäftigen, hat vieles verändert in meinem Leben. Nicht nur, dass sich meine Aufmerksamkeit thematisch verschoben hat, die Arbeit macht mir auch sehr große Freude. Vor allem auch, weil ich neue Leute kennenlerne, die in einem Feld arbeiten, das ich vorher kaum kannte. Leute, die sehr viel zu erzählen haben, tolle Projekte auf den Weg bringen, begeistert sind von dem, was sie tun, und sich für eine bessere (Mode-)Welt engagieren – auch wenn der Weg meist sehr herausfordernd ist. Mirjam Smend greenstyle_1 (c) greenstyleMitentscheidend dafür, mich diesem Thema mehr als nur nebenbei zu widmen, war die Begegnung mit GREENSTYLE-Gründerin Mirjam Smend. Ich erinnere mich noch gut, als ich im Frühling 2019 gemeinsam mit meinem Mann Urban auf die GREENSTYLE Conference and Fair nach München kam. Durch Recherchen bin ich auf die Veranstaltung gestoßen. Und war begeistert. Von der Atmosphäre, den interessanten Konferenzgästen, Mirjams Engagement, den spannenden Brands, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, soziale und ökologische Gesichtspunkte in der Produktion zu berücksichtigen, und dabei ästhetisch zeitgemäß und cool waren. Begeistert auch von der Vielfältigkeit des Themas. Ebenso klar geworden ist mir die Dringlichkeit des Veränderungsbedarfs der Modeindustrie. Mirjam Smend greenstyle_2+3 (c) susanne bartaSeit damals ist viel passiert: ein halbes Jahr später habe ich begonnen, meinen Sustainable Fashion Blog (jetzt Slow Fashion Blog) auf franzmagazine zu schreiben, GREENSTYLE war dreimal zu Gast in Bozen auf der Biolife und hat nachhaltige Mode in Südtirol ein Stück weit sichtbarer gemacht, ich habe bei GREENSTYLE-Messen mitgearbeitet, das ein oder andere Podium moderiert, gemeinsam haben wir andere Messen besucht, Veranstaltungen organisiert, Vorträge gehalten und einiges mehr. Die Pandemie hat auch GREENSTYLE hart getroffen. Aber Aufgeben ist kein Thema und so geht das Engagement für eine bessere Mode unvermindert weiter. Beim Durchschauen der Fotos wurde mir so richtig bewusst, wie viel wir in diesen Jahren auch gemeinsam gemacht haben, trotz Pandemie.Mirjam Smend greenstyle_4 (c) greenstyleMirjam arbeitete viele Jahre für Hochglanz-Modemagazine und wollte irgendwann nicht mehr Teil des konventionellen Modewahnsinns sein. Sie hat begonnen einen Blog zu schreiben und bald darauf GREENSTYLE, home of sustainable fashion, gegründet. Gemeinsam mit ihrem Mann Florens entwickelt sie die Plattform analog und online fortwährend weiter. 

Mirjam hat in diesem Jahr viele Messen und Events besucht, sie kennt die deutsche nachhaltige Modeszene besser als die meisten. Die Pandemie war, wie gesagt, ein herber Rückschlag für die Community, nicht wenige kleine Brands sind verschwunden. Auch wenn viele Unternehmen Nachhaltigkeit in ihrer Kommunikation groß hinausschreien, hinter den Kulissen ist noch sehr, sehr viel zu tun. Mich hat interessiert, wie Mirjam den Status Quo einschätzt und was sie auf den einschlägigen Messen erlebt und erfahren hat. 

Mimi, du hast einen (nachhaltigen) Messe-Marathon hinter dir. Funktionieren die Messen wieder wie vor der Pandemie? Sind sie wieder Treffpunkt der Szene und auch Orte, wo Weichenstellungen vorangetrieben werden?

Wie vorher funktioniert tatsächlich nichts mehr. Messen sind wieder zurück und meiner Meinung nach ein wichtiger Ort des Austausches, des Netzwerkens, aber auch hier gibt es Veränderungen. Viele Marken können sich eine Messeteilnahme aktuell nicht leisten. Krisen, Krieg und Inflation wirken sich auf eine verhaltene Kauflaune bei Konsument*innen aus. Bei gleichzeitig gestiegenen Kosten für Materialien und Produktion führt das aktuell zu weniger gut besuchten Veranstaltungen, was Aussteller genauso wie Besucher betrifft. „Die Zeiten der dicht gedrängten Messegänger sind vorbei“, sagt auch Sebastian Klinder, Managing Director Munich Fabric Start. Masse ist nicht das Kriterium. Wir brauchen neue (Messe-) Konzepte, um den Bedarf an physischen Orten für Austausch einen zeitgemäßen Sinn zu geben. Mirjam Smend greenstyle_5 (c) greenstyleGibt es spannende Entwicklungen? Auch Brands, die zukunftsweisende Business-Modelle präsentierten?

Ich finde alles immer spannend, weil jeder Schritt ein Teil der Entwicklung ist. Aktuell stehen alle Zeichen auf Zirkularität, auf innovative (zirkuläre) Materialien und Digitalisierung. 

Nachhaltigkeit ist ja vor allem in den letzten zwei Jahren zu DEM Buzz-Word geworden. Wird das Greenwashing-Problem eher größer als kleiner?

Manchmal habe ich das Gefühl, dass inzwischen mehr über Greenwashing als über Nachhaltigkeit gesprochen wird. Das ist eine wenig positive Entwicklung, die sich retardierend auf die nachhaltige Entwicklung auswirkt. Tatsächlich habe ich große Hoffnungen in gesetzliche Regelungen wie u. a. die EU-Green-Claims-Richtlinie, die dazu führen soll, dass Greenwashing reduziert wird und sich Konsument*innen besser orientieren können.Mirjam Smend greenstyle_7+8 (c) susanne bartaGeshoppt wird weiterhin als gäbe es kein Morgen. Überproduktion und Überkonsum sind die großen Themen. Ist da eine Umkehr in deinen Augen in Sicht?

Das sehe ich bei allem Optimismus gerade leider nicht. Was die Produktionszahlen in der Textilindustrie betrifft, wird bis 2030 eine Verdoppelung prognostiziert. Von einer Umkehr kann also kaum gesprochen werden. Eine Verlangsamung, auch wenn das viel zu wenig ist, wäre schon mal schön. Hoffen wir das Beste.

In einem meiner letzten Blog-Artikel geht es unter anderem darum, dass wir (sehr viel) weniger neu kaufen müssen, wenn das mit den Klimazielen noch halbwegs was werden soll. In etwa 5 neue Kleidungsstücke pro Jahr ist die Latte – egal ob konventionell oder nachhaltig(er) produziert. Brauchen auch nachhaltige Brands neue Geschäftsmodelle? Im Sinne von: mehr mit dem zu arbeiten, was bereits da ist?

Hier muss ich ein bisschen ausholen. Die Neuware nachhaltiger Marken ist meiner Meinung nach nicht das Problem. Hier sind die Stückzahlen viel zu gering, um einen spürbaren Schaden anzurichten. Zur Erinnerung: Ca. fünf Prozent der Modekäufe sind in Deutschland nachhaltig. Die ständig steigenden Stückzahlen der Fast Fashion und Ultra Fast Fashion mit der damit einhergehenden Überproduktion und dem daraus resultierenden Altkleiderberg sehe ich da eher in der Verantwortung. Konsumiert wird weiterhin. Daran hat sich der Mensch gewöhnt. Und daran wird sich leider so leicht nicht genug ändern. Deshalb muss man ihm Möglichkeiten anbieten, die in Hinblick auf die Klimaziele Sinn machen. Dazu zählen auch respektvoll und ressourcenschonend produzierte Kleidungsstücke nachhaltiger Labels. Aber ich spüre dennoch ein steigendes Interesse an Upcycling unter nachhaltigen Labels.
Langfristig geht es meiner Meinung nach zum einen darum, Kleidungsstücke so lange wie möglich im Kreislauf zu halten und so oft wie möglich zu tragen. Auf Kund*innenseite ist das Secondhand. Auf Markenseite Recommerce. Ein sehr wichtiger und sinnvoller Ansatz, der gerade verstärkt eingesetzt wird. Nachhaltige sowie konventionelle Modemarken nehmen ihre eigene Ware zurück und verkaufen sie über eine entsprechende Plattform als Preloved Fashion.
Auch spannend ist das Thema Langlebigkeit. Sprich: Qualität. Hier wird gerade viel investiert und auch an entsprechenden Siegeln gearbeitet. Ein zukunftsweisender Ansatz, um die Mode zu entschleunigen. Gute Dinge lange tragen? Macht total Sinn.Mirjam Smend greenstyle_9 (c) susanne bartaDie Rental-Konzepte haben ja leider nicht so gut funktioniert – dafür scheinen die Konsument*innen noch nicht bereit zu sein. Und hier sind wir auch wieder bei den five pieces: Mit Gesetzen lässt sich (hoffentlich!) die Art und Weise der Produktion von Kleidung verbessern. Unseren Konsumdruck als Konsument*innen – egal ob Secondhand oder neu – können aber nur wir selber in Eigenverantwortung verändern.

Wo siehst du zukunftsfähige Wege?

Wirkliche Veränderung funktioniert leider nur durch gesetzliche Vorgaben. Selbstverpflichtung hat nicht funktioniert. Aktuell befinden wir uns ja – trotz allen Wissens um die Dringlichkeit des Themas – in einer Verschlimmerung der Situation. Statt Entschleunigung sehe ich, dass immer mehr Fahrt aufgenommen wird. Zwei Bereiche wachsen gerade: der Luxusmarkt, der durch den Preis limitiert ist; und die Ultra Fast Fashion, die den Cheap Shit (sorry dafür) für die breite Masse schnell und massenhaft zugänglich macht. Meiner Meinung bedarf es einer Veränderung der medialen Berichterstattung. Die spielen bei dem ganzen Thema nämlich keine so kleine Rolle. FASHN ROOMS und Neonyt DüsseldorfWas noch?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir können alle einen Beitrag leisten.Mirjam Smend greenstyle_11+12 (c) susanne bartaFotos: (1) Textiltiger München; (2) Mirjam mit dem deutschen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir © GREENSTYLE; (3) Auf der zweiten Ausgabe der GREENSTYLE im April 2019 in München © Susanne Barta; (4) Auf der dritten Ausgabe der GREENSTYLE im Oktober 2019 © Susanne Barta; (5) GREENSTYLE x Neonyt Lab/Frankfurt © GREENSTYLE; (6) mit Theo Grassl/Fashion Council Germany; (7, 8) auf der Future Fashion x GREENSTYLE in Stuttgart © GREENSTYLE; (9) Miet-Kapselkollektion GREENSTYLE x Fairnica; (10) Moderation „Knowledge is key“ Panel auf der Neonyt Stage in Düsseldorf © GREENSTYLE; (11) Radiogespräch für „Wie geht Zukunft“ © Susanne Barta Oktober 2020; (12) GREENSTYLE x Biolife © GREENSTYLE November 2019.

>> Supported by CORA happywear (M), Kauri Store (M), Oberalp Group (XL), Oscalito (L) und meiner Freundin Kristin << 

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There are 2 comments for this article.
  • Mirjam Smend · 

    Liebe Susanne, großartig, dass du nachhaltiger Mode hier auf franzmagazine genauso wie im echten Leben Sichtbarkeit gibst. Fein auch, dass sich unsere Wege gekreuzt haben #bettertogether

    • Susanne Maria Barta · 

      Irgendwann, so hoffe ich, erreichen wir die kritische Masse, sozusagen, den Kipppunkt. Bis dahin ist noch viel zu tun. Wie du sagst #bettertogether.

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