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June 22, 2022

PUREVIU – das neue Magazin für Fashion Changer

Susanne Barta

Wow. Dieses Wort verwende ich selten. Vor allem in Zusammenhang mit einem Magazin, das nachhaltige Mode zum Thema hat. Pureviu wurde vor kurzem in München gelauncht, gemacht wird es von den Journalistinnen Heike Littger und Mirjam Smend, in Zusammenarbeit mit der Grafikerin und Art Direktorin Yinin Got. Über Mirjam ist auf meinem Blog ja immer wieder zu lesen, sie ist die Gründerin der sustainable und fair fashion Plattform GREENSTYLE, Greenstyle firmiert auch als Verlegerin dieses neuen, ambitionierten Magazins. Pureviu stellt in jeder Ausgabe Fashion Changer einer Stadt vor, es liegt auf der Hand, dass München – die Heimatstadt der beiden –, den Anfang macht. pureviu_2+3 © Yinin Got + Sophie Wanninger„Pureviu ist Modemagazin, Peoplemagazin und Stadtmagazin in einem“, schreiben die Macherinnen. Was mich so beeindruckt? In einer Zeit, wo sich viel Publizistisches von Print verabschiedet und auf Online überwechselt, auf ein hochwertiges Printprodukt zu setzen. Auf 164 Seiten bietet das neue Fashion Change Magazin ausführlich recherchierte, inspirierende und angenehm zu lesende Stories über interessante Leute und ihre Projekte. Projekte, die einen Unterschied machen. Die Zugänge zu den Stories sind abwechslungsreich, dazu tolle Fotos, viele Infos. Schön und übersichtlich gestaltet, auf Recyclingpapier gedruckt und fadengeheftet. Und das im Eigenverlag! Mit Unterstützung von Freund*innen und einigen Sponsoren. „Wir wollten Leuten, die sich damit beschäftigen, Mode neu zu denken, neu zu gestalten, mehr Raum geben, als das in Modemagazinen üblich ist. Denn sie haben so viel mehr zu erzählen, als nur mit welchem Material sie arbeiten und wo sie produzieren lassen“, erzählt Heike.pureviu_4_ Nata+Y+Limón © Michael+BergerMirjam und Heike haben zugehört und sind so auf Geschichten gestoßen, die im schnell- und kurzlebigen Magazin-Business selten oder nie erzählt werden. Zum Beispiel über das Münchner Label Nata Y Limón. Marlene Walter und Anne Schneider arbeiten für ihre handgewebten Stoffe, Textilunikate, Taschen und Kissen mit Maya-Frauen zusammen. Die Sozialunternehmerinnen möchten indigene Gemeinschaften stärken, denn „Arbeit ist rar und Armut für rund 80 Prozent der indigenen Bevölkerung alltäglich“, sagt Anne Schneider. Thematisiert werden in der 15 Seiten langen Story nicht nur die Besonderheiten der uralten Maya-Webkunst – die von Mutter zu Tochter und Enkeltochter weitergegeben wird –, sondern auch die Arbeitsbedingungen vor Ort, der Ausverkauf dieser Handwerkstechniken, der Umgang mit kulturellem Wissen und natürlich auch der Anspruch und die Herangehensweise der Nata-Y-Limón-Gründerinnen. „Kulturelle Anerkennung bedeutet für uns, die Menschen hinter dem Kunsthandwerk zu sehen und das überlieferte Wissen zu ehren.“ pureviu_5 © Julie+MarchPureviu ist ein Modemagazin, aber nicht im klassischen Sinne. „Mode ist viel mehr als Optik und Mädchenkram, Mode ist politisch. Wir haben den Anspruch, Menschen abzubilden, die mit dem, was sie tun, versuchen am System etwas zu verändern“, sagt Mirjam. Bei Pureviu geht’s also nicht einfach um den nächsten neuen nachhaltigen Pulli oder die neue, fair produzierte Hose. Heike: „Wir sagen nicht, schaut euch diese Menschen an und kauft sofort ihre Sachen, es geht darum, ihre Geschichten zu erzählen, abseits von Konsum Dinge aufzudecken, in die Konzepte hineinzublicken und ihre Visionen zu vermitteln.“pureviu_6 © Danielle Grosch + Julie MarchAlle Protagonist*innen gehen dabei auf ihre ganz individuelle Art und Weise vor. Die Modeschöpferin und Materialdesignerin Jessica Dettinger etwa, die mit ihrem Label Form of Interest nur eine Kollektion pro Jahr produziert und sich nicht den scheinbar unvermeidlichen Regeln des Marktes des immer schneller, immer mehr, immer billiger unterwirft. 

Oder Carmen Jenny und Sonja Wunderlich. Die Gründerinnen von Clothesfriends haben eine App entwickelt, mit der man Mode mieten und vermieten kann und gleichzeitig Teil einer Community wird.pureviu_8 ©Sarah Willmeroth + Arda AytanOder die Journalistin und Auslandskorrespondentin Senada Sokollu, die mit verwitweten Frauen in der Türkei arbeitet. Sie stricken und nähen für Fitbuddha coole Pullover, Hoodies, Schals und Mäntel. „Ich verstehe Fitbudddha nicht als klassisches Modelabel, sondern in erster Linie als soziales Projekt“, sagt Senada im Interview mit Pureviu.   

Oder Arnold Gevers, der sich vom erfolgreichen Designer – Arnold hat für John Galliano und Bernhard Wilhelm gearbeitet – zum Zero-Waste-Experten entwickelte und mit seinem Label AA Gold edle Casual Wear entwirft.pureviu_10+11 © Carlos Montilla + Jonas BeckerOder Kiala Kanzi. Neben ihrem Schmucklabel „Kiala Kanzi Jewelry“ gründete sie das Modelabel Noh Nee Benin, das Streetwear aus afrikanischen Wax-Stoffen herstellt; darüber hinaus baut Kiala auch noch ein Schulungszentrum für Schneider*innen in Benin auf.

Oder der Textilexperte Philipp Langer, der nach einem Jahr kreativer Pause mit seiner Geschäftspartnerin Miranda Chen eine Textilmanufaktur in Jiecco, China gründete. Mit ihrer Brand LangerChen produzieren die beiden zeitlose Eco Outerwear und zeigen, dass „Made in China“ auch für eine nachhaltige und faire Produktion stehen kann.

Oder Anna Karsch und Michaela Wundert-Strojny. Die langjährigen Freundinnen haben 2012 ihr Label Akjumii gegründet und sich 2018 nochmals neu aufgestellt, mit der Quintessenz ihres Schaffens: einem einzigen Kleidungsstück, dem 3IN1 Coat. pureviu_12 © Kirsten BeckenOder Judith Hettlag, Meisterschneiderin und Kommunikationsdesignerin, die sich japanischen Flick- und Stickkünsten zuwandte und damit nicht nur viele Kleidungsstücke vor dem Müll rettet, sondern auch in wunderschöne Stücke verwandelt. 

Oder Rüdiger Fox, Geschäftsführer von Sympatex und Kim Scholze, Gründerin des Netzwerks Sympathy Lab, die sich gemeinsam gegen Greenwashing und die Verwendung giftiger Chemikalien einsetzen und den Aufbau eines Textil-zu-Textil-Recyclings vorantreiben. pureviu 13+14 © susanne bartaÜber die Münchner Gründer*innen und Designer*innen hinaus gibt’s ein spannendes Gastgespräch zur Standortbestimmung der (nachhaltigen) Modeindustrie zwischen den Nachhaltigkeitsexpertinnen Lisa Wagner und Marina Chahboune, eine Flick- und Stickanleitung für Denim, einen Gastbeitrag aus Berlin von Arianna Nicoletti, Expertin für Rewear, Repair, Repurpose und Recycle. Und eine sehr coole Modestrecke. pureviu_15+16 © susanne bartaHeike und Mirjam zeichnen also Geschichten von Menschen aus ihrer Stadt München auf, die sich auf den Weg gemacht haben. Beim Lesen wird klar: Da hat sich eine sehr lebendige Szene entwickelt. Mirjam: „Es war uns wichtig, zu zeigen, es ginge auch anders. Wir können nicht so weitermachen wie bisher und das tun diese Menschen auch nicht. Wer nicht auf diesen Zug aufspringt, hat nicht nur etwas verpasst, sondern trägt auch dazu bei, dass es weiterhin so katastrophal bleibt.“pureviu_17+18 © susanne bartaPUREVIU, herausgegeben von Mirjam Smend und Heike Littger, kostet 20 Euro (Print) und 16 Euro (eBook). Ich habe alle Geschichten mit großem Interesse und großem Vergnügen gelesen. Solltet ihr auch tun.  

PUREVIU  wird diese Woche auch auf der Frankfurt Fashion Week präsentiert im Rahmen von Neonyt Lab in Zusammenarbeit mit GREENSTYLE – von 24. bis 26. Juni in der Union Halle in Frankfurt. pureviu_19+20 © Julie March + susanne barta

Fotos: (1) © Pureviu; (2) © Yinin Got; (3) © Sophie Wanninger; (4) Marlene Walter und Anna Schneider © Michael Berger; (5, 7, 19) Modestrecke – Clothesfriends – Modestrecke © Julie March; (6) Jessica Dettinger © Danielle Grosch; (8) Arnold Gevers © Sarah Willmeroth; (9) Senada Sokollu © Arda Aytan; (10) Kiala Kanzi © Carlos Montilla; (11) © Jonas Becker; (12) Michaela Wunderl-Strojny und Anna Karsch © Kirsten Becken; (13–16) © Susanne Barta; (17) immer dabei, die „GREENSTYLE-Zwillinge“ Marlene und Pauline Smend © Susanne Barta; (18) Mit der Modejournalistin Gerlind Hector © Susanne Barta; (19) © Julie March; (20) Heike und Mirjam beim Feiern nach dem erfolgreichen Launch © Susanne Barta

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