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April 26, 2023
GREENSTYLE goes Stuttgart
Susanne Barta
Die Frühlingsmessen in Stuttgart sind eine große Sache. In verschiedenen Hallen wird zu verschiedenen Themen – von Slow Food und Fair Handeln über Yoga und Kunst bis zu Auto und Sport-i-Mobility – Neues und Bewährtes aus den jeweiligen Bereichen für Verbraucher*innen angeboten. Seit 2017 hat auch die nachhaltige Mode ihren festen Platz im Rahmen der Messe „Fair handeln“. Bespielt wird das Thema von Future Fashion (nicht zu verwechseln mit unserem neuen Format Fashion For Future), heuer erstmals in Partnerschaft mit GREENSTYLE. Eine gelungene Mischung aus Labels mit unterschiedlichsten Zugängen, Initiativen der nachhaltigen Modebranche, Kampagnen, Aktionen, Upcycling-Projekten, Secondhand Angeboten, Vorträgen, Modenschau und Ausstellungen war von 13. bis 16. April 2023 in Stuttgart vor Ort zu entdecken. Raquel Dischinger von Future Fashion: „Wir wünschen uns, dass nachhaltige Mode Mainstream, dass sie Standard wird. Future Fashion möchte auf der Messe zeigen, wie vielfältig nachhaltige Mode sein kann und dass es Anknüpfungspunkte für jeden und jede gibt.“ Mit GREENSTYLE hat Future Fashion nochmals einen Schub nach vorne bekommen. Mit neuen Marken und neuen Ansätzen, auch mit mehr Fokus auf Style. Mirjam Smend und ich haben zwei der vier GREENSTYLE Lounge Talks bestritten – zum Thema Greenwashing und zu Alternativen Konsummodellen. Schön an einem solchen Rahmen ist, dass es nicht nur beim Reden bleibt, sondern sich Interessierte gleich über die unterschiedlichen Zugänge bei den Brands vor Ort informieren und entsprechende Produkte finden können. Sich aber auch über die Komplexität des Themas – was es konkret heißt, besser und nachhaltiger zu produzieren – persönlich mit den Austeller*innen auszutauschen. Für mich war die Messe spannend und inspirierend. Zwei Projekte möchte ich herausgreifen: Eines beschäftigt sich mit Hanf, ein Material, das mich schon länger sehr interessiert und dem auch meine nächste Ausgabe der Radiosendung „Forum Zukunft“ gewidmet ist (Ausstrahlung 9. Mai 2023, Podcast dazu folgt), das andere ist im Bereich Social Sustainability angesiedelt.
Zunächst zum Hanf: Charlie Stein hat sein Label Organicforce 2016 gegründet. Anlass sei gewesen, erzählt er, dass er das Video des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza gesehen habe. „Diese Ignoranz der Großkonzerne und ihre mangelnde Bereitschaft den Schaden zu kompensieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, fand ich so schrecklich, dass ich begann mich mit Alternativen zu beschäftigen. Ganz befriedigt hat mich aber kaum was und so habe ich mich hingesetzt, um selber etwas zu machen.“Der Hanf, den Charlie verwendet, kommt aus Deutschland. Bisher produziert er einen Pullover aus Baumwolle (50 %), Hanf (25 %) und Brennnessel (25 %). Zwei weitere Prototypen, eine Jacke und einen Kurzarm-Pulli, hat er auf der Messe ausgestellt. Der Pullover enthält keine Farbstoffe, ist sehr schön geschnitten, ein wirklich tolles Stück. Den Pullover gibt’s bisher online, versendet wird er in einem Stoffbeutel. Wichtig ist Charlie, dass Lieferketten möglichst nah an den Käufer*innen bleiben, also nicht über verschiedene Kontinente verteilt sind und dass nicht nur auf den Profit geachtet wird, sondern auch auf Menschen und Umwelt. Derzeit arbeitet er an der Sichtbarkeit seines Labels. Das sei nicht einfach, sagt er, da er bisher kein Budget für Marketing habe. Dranbleiben an seinem Projekt aber möchte er. Besonders ans Herz legen möchte ich euch [eyd] Clothing. Vor allem, da gerade eine Crowdfunding-Kampagne läuft, die unbedingt ihr Ziel erreichen soll. Worum es geht? Gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation IJM, die weltweit gegen Sklaverei und Gewalt gegen Menschen in Armut kämpft, hat [eyd] eine Kollektion entwickelt, die (sexuell) ausgebeuteten Frauen in Indien einen sicheren Arbeitsplatz und somit eine realistische Zukunft bieten soll. [eyd] steht für „empower your dressmaker“, das kleine Unternehmen beschäftigt sich seit seiner Gründung mit diesen Themen und hat gemeinsam mit der CHAIIM Foundation in Mumbai ein sehr ambitioniertes Projekt entwickelt. Frauen in der Nachbetreuung von moderner Sklaverei (Zwangsprostitution, Menschenhandel …) werden therapeutisch betreut, lernen dabei auch nähen und produzieren Kleidungsstücke für das Label. Das Rehabilitationsprogramm dauert drei Jahre. Die aktuelle Kampagne heißt „Light your Fire“ und möchte „Hoffnungsgeschichten“ schreiben.„Unser Ziel ist es, diesen Frauen ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit zu ermöglichen. Das ist ein langwieriger Prozess“, sagt [eyd]-Geschäftsführerin Friedrike Leitlein. [eyd]-Gründerin Nathalie Schaller habe auf ihren Asien-Reisen vor allem gesehen, wie viele sehr junge Frauen, zum Teil Kinder, davon betroffen sind. Dazu hat sie auch ein Buch geschrieben: In „Der Stoff, aus dem die Freiheit ist“ (adeo Verlag) erzählt sie die Geschichte ihres humanitären Modelabels. Friedrike Leitlein: „Auch wenn diese Frauen befreit werden und in Schutzhäuser kommen, gibt es kaum eine Perspektive für die Zukunft. Funktionieren kann so ein Projekt nur, wenn es mit Arbeit verbunden ist. Und darum haben wir versucht, ein Arbeitsintegrationsprojekt zu entwickeln, damit die Frauen finanzielle Unabhängigkeit erreichen und so auch besser heilen können. Die meisten sind schwer traumatisiert.“ Wichtig sei vor allem die psychologische Betreuung, betont Friederike, aber auch Basics wie Alltagsgestaltung. „Eine Frau, die überlebt hat, muss vieles erst (wieder) lernen. Meist waren sie Kinder, als sie verkauft wurden, und wurden jahrelang missbraucht.“
Die Mode, die [eyd] produziert und verkauft, finanziert den Arbeitsplatz der Frauen. Die Produkte werden auch dem angepasst, was in der Werkstatt gemacht werden kann. Sehr schön finde ich, dass es in jedem Kleidungsstück ein Imprint gibt, das einer der Näherinnen zugeordnet werden kann und die Träger*innen so mehr über die Frau erfahren können. Die Therapie, Schul- und Berufsausbildung werden über Spenden organisiert, einige Frauen entscheiden sich zum Beispiel auch Krankenschwester, Programmiererin oder Polizistin zu werden, nicht alle bleiben in der Textilproduktion.Schaut rein bei [eyd] und, wenn möglich, unterstützt die Crowdfunding Kampagne der Light your Fire-Kollektion – ein eigenes Pattern wurde dazu mit der indischen Künstlerin Mehek Malhotra entwickelt, das die Wünsche und Träume der Frauen zeichnerisch abbildet. Friederike: „Das Schlimme ist, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution auch in unserer Nähe stattfinden und wir es kaum wahrnehmen. Wir sehen diese Frauen nicht. Aber alle träumen von einem anderen Leben. Manche träumen nur davon, ein Handtuch zu haben oder mal ein kleines Geschenk zu bekommen. Das, was uns Menschen alle verbindet, sind Hoffnung, Wünsche und Träume. Und das möchten wir mit dieser Kampagne in die Welt tragen.“
Über das Buch von Nathalie Schaller und den Aufbau ihres sozialen Modelabels möchte ich in den nächsten Wochen noch einen eigenen Artikel machen.
Was mich überrascht hat: wie gut die Messe besucht war und wie groß das Interesse der Besucher*innen an Produkten ist, die besser und nachhaltiger produziert werden. So wie es aussieht, wird GREENSTYLE x Future Fashion in einem Jahr wieder stattfinden. „Future Fashion ist bereits eine gelernte Marke, da sind wir mit unseren Marken in einem super Kontext aufgehoben. Die Leute, die auf die Messe kommen, suchen auch nach Mode und sind offen für das Thema“, sagt Mirjam. Tut sich also was? Für Mirjam viel zu langsam. „Vor Ort fühlt es sich immer so an, dass jede Menge passiert, da wir natürlich in unserer Bubble sitzen. Aber wenn man einen Schritt raus macht, stellt man doch fest, dass da noch ganz, ganz viel Luft nach oben ist.“Nicht vergessen: Es ist Fashion Revolution Weekund in Bozen findet in diesem Rahmen von 27. April bis 6. Mai 2023 die Veranstaltung Fashion For Future Bolzano statt. Eröffnung ist am 27. April mit Open Studios, einer Ausstellung mit vielen sehr spannenden lokalen und internationalen textilen Projekten und von 16:00 bis 18:00 Uhr Keynote und Panel mit Fashion Revolution Coordinator Italia Marina Spadafora, Clean Clothes Italia Präsidentin Deborah Lucchetti, Fashion Revolution Iran Teammitglied Mahya Hashemi und Oberalp Sustainablity Managerin Alexandra Letts. Für die Konferenz könnt ihr euch hier anmelden. Alle Infos findet ihr auf der Website.
Fotos: (1) © Susanne Barta; (2) Mirjam Smend und Raquel Dischinger © GREENSTYLE; (3–6) © Susanne Barta; (7, 8) © Atis Studio; (9–14) © Susanne Barta.
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