Fashion + Design > Fashion
March 18, 2020
Von Corona, Klimawandel und nachhaltiger Mode
Susanne Barta
Corona hat uns alle fest im Griff. Kein Gespräch, das sich nicht darum dreht. In der Zwischenzeit fast nur mehr telefonisch und online. In der Einschätzung dieses Virus habe ich einen längeren Weg hinter mir. Ich kam mir vor wie ein Pendel, das von einer Seite auf die andere schwingt. Zweifel an der Radikalität der Maßnahmen, als Tirolerin tendiere ich dazu, anderen schnell Wehleidigkeit zu unterstellen, dann wieder Unverständnis, wieso manche so lange brauchen, Maßnahmen zu setzen … Ich lese viel (Medien, die ich als seriös einschätze), habe aus der Nähe mitverfolgt, wie schwer man sich in Österreich und Deutschland mit der Einschätzung tat, und tausche mich mit einigen Leuten intensiv aus. Vor allem interessiert mich, wieso ein kleines Virus eine solche Systemstörung auslösen kann, wie das vor dem Hintergrund des großen Themas „Klimawandel“ zu verstehen ist und was wir vielleicht auch daraus lernen können. Ich habe ein Skype-Gespräch mit dem renommierten Glaziologen und Klimaforscher Georg Kaser dazu geführt, das mir sehr geholfen hat, einiges für mich klarer zu sehen. Die wichtigsten Aussagen zeichne ich hier auf. Für die Bebilderung dieses Textes habe ich ein paar nachhaltige, bequeme Home-Outfits zusammengestellt.
„In meinen Augen geschieht gerade das Richtige. Es geht darum, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ansteckung hinauszuzögern und unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Vieles ist derzeit widersprüchlich. Der Klimawandel ist ja ein viel größeres, globales Problem als Corona, die Auswirkungen, die Störungen werden größer sein und länger anhaltend. Der Klimawandel steht vor der Tür. Und natürlich stelle ich mir die Frage, warum reagiert man jetzt bei Corona mit scharfen Maßnahmen, auch gegen Widerstände, und warum beim anderen nicht? Man sieht den Klimawandel sogar besser als ein unsichtbares Virus. Auch die Unmittelbarkeit ist gegeben. Ganz ist das für mich nicht nachzuvollziehen.“
„Hier passiert etwas, was uns zeigt, wie verletzbar unsere Gesellschaft ist, wie hoch vulnerabel. Ein „kleiner Schmetterling“ in China löst weltweit riesige Schwierigkeiten aus. Unsere Gesellschaft ist instabil als System. Wir leben und wirtschaften nicht nachhaltig, sodass es nur einen marginalen Auslöser braucht, um ins Wanken zu geraten. Wir sind immens verletzbar. Wenn es in der Weltgeschichte so verletzbare Systeme gegeben hat, dann waren sie relativ schnell weg. Das, was gerade geschieht, ist zu vergleichen mit einem gesellschaftlichen Burn-Out. Seit langem haben wir tausend Signale bekommen, dass wir hyperventilieren, dass wir heiß gelaufen sind, in allen Skalen, von der Einzelperson bis zu großen Teilen der globalen Gesellschaft. Wir sind schon überspannt und jetzt kommt die Störung Corona-Virus dazu und Vieles bricht zusammen.“
„Die Emissionen der Stickoxyde (NOx) über China sind fast auf Null gesunken. Das tut dem Klima gut, wenn es so bliebe. Man sieht also eine Entschleunigung, aus der man Dinge ableiten könnte. Wenn die Leute ein wenig Vernunft haben, dann werden sie einen Schritt zurücktreten und sich fragen, waren wir einigermaßen nachhaltig mit unseren Betrieben? Oder haben wir sie überhitzt? Jedes Jahr mehr? Keine Steuern zahlen, alles investieren, Schulden aufnehmen? Vielleicht sagt der eine oder andere, dass man es auch anders machen könnte.“
Auf meine Frage, für wie lernfähig hältst du uns, sagt Georg Kaser:
„Ich bin kein Psychologe. Ich sehe nur die Möglichkeiten. Und die Möglichkeit, das zu sehen, ist da. Sehr deutlich. Die Leute könnten jetzt. Ich nehme auch wahr, dass die meisten Entscheidungsträger und Unternehmer besonnen reagieren, vernünftig. Und ich beobachte, dass unsere waidwunden Demokratien gerade wieder funktionieren. Die gewählten Verantwortungsträger lassen sich nicht von populistischem Basisgeschrei vor sich her treiben. Sie lassen sich von Fachleuten beraten, informieren sich und entscheiden. Das stimmt mich optimistisch. Die politisch Verantwortlichen treffen gerade durchwegs gute Entscheidungen. Und da gilt es, persönlich zurückstecken.“
„Ich wünsche mir von uns ein nachhaltiges Lernen und alles daranzusetzen, dass die repräsentative Demokratie wieder erstarkt und nicht weiter zerfressen wird. Wir haben uns in unserem Wahn in eine Verletzbarkeit als Gesamtgesellschaft und auch als Einzelpersonen hineinmanövriert. Wir sind am Anschlag, das wird uns jetzt gezeigt. Dabei haben wir in den nächsten Jahren ungleich größere Herausforderungen vor uns und dazu brauchen wir funktionierende politische Systeme. Diese Systemvulnerabilität hat für mich zu tun mit der Art und Weise, wie wir wirtschaften. Mit der nicht erfolgten Entkoppelung von Wirtschaften und dem hemmungslosen Verbrennen fossiler Brennstoffe. Diese Entkoppelung muss gelingen.“
In dieser Kolumne geht es ja immer um nachhaltige Mode und die Veränderung der Textilindustrie. Vieles, was hier gerade passiert, hat zu diesem Thema Schnittstellen. Eingeschränkte Produktion, weniger Emissionen, eingeschränkter Konsum, Neubewertung von dem, was wichtig ist … Mode ist definitiv kein Grundbedürfnis. Sich kleiden schon. Dennoch macht es wenig Freude, mir zumindest, wenn diese Form des Ausdrucks wegfallen würde. Aber vielleicht sickert die Erkenntnis durch, dass bei den meisten von uns der Kleiderschrank soviel hergibt, dass wir sogar eine mehrjährige Quarantäne überstehen würden und immer noch gut gekleidet wären.
Die nachhaltige Modemesse und Konferenz GREENSTYLE in München, von der ich hier immer wieder schreibe und wo ich moderiert hätte, zuletzt via Video, wurde abgesagt. Die verantwortliche Behörde hat es den Veranstaltern überlassen, die Verantwortung zu übernehmen. Für kleine Veranstalter kann das auch das Ende bedeuten. Ich hoffe sehr, dass Politik und Verwaltung zumindest nachher ihre (Mit-)Verantwortung wahrnehmen.
Und wer mehr von Georg Kaser über unser Klima, den Wandel und das, was zu tun ist, hören möchte, der kann das hier tun. Wir haben im Februar 2020 für meine Radiosendung „Wie geht Zukunft?“ auf Rai Südtirol ein Gespräch geführt.
Bleibt gesund und macht es gut. Bis nächste Woche. #istayathome #solidarität #bettertogether #change
Fotos:
(1) Leggings > CORA happywear; Langarm T-Shirt > Organic Basics, Pullover > Arket; Socken > Pringle; Schlappen > Birkenstock.
(2) Selfie: Georg Kaser und Susanne, aufgenommen im Dezember 2019.
(3) Jacke > Secondhand, Humana Wien; Jeans > Dawn; Langarm T-Shirt > Organic Basics; Socken > Pringle; Schlappen > Birkenstock.
(4+5) Pullover > Hess natur; Jogginghose > American Giant/American Cotton; Socken > Arket.
Comments