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January 20, 2023
Wie würde ein 1,5-Grad-Lebensstil aussehen?
Susanne Barta
Schon vor einem Jahr habe ich darüber mit den Klimawissenschaftler*innen Viktoria Cologna und Georg Kaser gesprochen. Das Thema sollte in einem der nächsten GREENSTYLE-Panels diskutiert werden, daraus wurde dann aber erstmal nichts. In der Zwischenzeit ist der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC vollständig erschienen, hat die (enttäuschende) COP 27, die UN-Weltklimakonferenz, stattgefunden und sind verschiedene Berichte erschienen, u. a. dazu, dass Erderwärmung und Gletscherabschmelze schneller vorangingen, als erwartet. Basis des 1,5-Grad-Ziels ist ja, dass wir bis spätestens 2050 die CO2-Emissionen auf Netto 0 bringen und keine fossilen Energiequellen mehr benützen. Immer öfter hört man jedoch von Wissenschaftler*innen, dass es ehrlicher wäre, sich vom 1,5 Grad Ziel zu verabschieden, da es keinerlei Hinweise darauf gäbe, dass wir es auch einhalten können. Dafür aber alles dafür tun sollten, dass sich die Spirale nicht immer schneller nach oben schraubt.
Die global aufgestellte Textil- und Bekleidungsindustrie hat einen gewichtigen Impact auf diese Entwicklungen. Das größte Problem der Modeindustrie lässt sich dabei auf eine einfache Formel herunterbrechen: Es gibt von allem zu viel. Und obwohl es schon zu viel ist, wird es immer schneller mehr. Die Zahlen variieren etwas, aber man geht aktuell von 100 bis 150 Milliarden Kleidungsstücken aus, die jährlich produziert werden. Bis 2030 wird erwartet, dass sich diese Zahl verdoppelt. Bis heute funktioniert die Industrie fast ausschließlich linear. Waren werden neu produziert, gekauft, genutzt und anschließend weggeworfen. Auch wenn Kreislaufmodelle, wir sprechen dann von Circular Fashion, zunehmen, ist das bisher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Vor kurzem habe ich in meinen Unterlagen digital geblättert und mir die Interviews, die ich mit Georg und Viktoria im Dezember 2021 geführt habe, wieder durchgelesen und eine Interview-Collage zusammengestellt mit ihren wichtigsten Aussagen. Ich schätze beide und ihre Arbeit sehr und bedanke mich auch auf diesem Wege, dass sie immer wieder für meine Fragen zur Verfügung stehen. Wie würde ein so genannter 1,5-Grad-Lebensstil aussehen?
Georg Kaser: Das würde bedeuten, den Konsum zu stoppen, nichts mehr einzukaufen und das aufzubrauchen, was wir haben – und dann schauen, wie wir in einen völlig neuen Kreislauf kommen, in Bezug auf Produktion und Verbrauch. Wir müssen den Energiekonsum massiv reduzieren. Die Chance auf 1,5 Grad zu bleiben ist gering. Erst kürzlich hat der deutsche Klimaforscher John Schellnhuber gesagt, diese Chance beträgt noch 5 % und dass wir 2 Grad halten beträgt noch 20 %. Aber um die gilt es zu kämpfen.
Viktoria Cologna: Wir müssen uns eine viel suffizientere Gesellschaft vorstellen. Das ist eine Gesellschaft, die weniger produziert und weniger konsumiert. Ich bin skeptisch, dass wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen werden. Aber wenn wir es erreichen wollen, müssen wir die CO2-Emissionen bis 2030 um die Hälfte reduzieren, dann suffizienter leben und weniger konsumieren.
Niemand verzichtet gerne auf Wohlstand …
Georg Kaser: Unser Lebensstil ist nicht haltbar. Natürlich wollen viele Länder diesen Lebensstil, das haben wir ihnen auch lange genug suggeriert und vorgelebt. Aber da muss man leider sagen, „Pech gehabt“, denn diesen Lebensstil werden sie nie bekommen. Das System wird vorher kollabieren. Für viele ist es ein Ziel ein großes Auto, einen Fernseher zu haben, in Shoppingcenter zu gehen, alles zu bekommen, was man haben will. Die globalen Mittelschichten, die entstehen, machen das ja bereits. Aber das wird sich nicht ausgehen.
Viktoria Cologna: Wichtig ist, das Bild von Suffizienz nicht als Einschränkung, als Verlust zu sehen, sondern positiver darzustellen. Indem man zum Beispiel aufzeigt, wie gut suffiziente Lebensstile für die Gesundheit der Menschen sind – vegetarische Diäten haben ja einen Mehrwert für die Gesundheit. Wir müssen die Assoziationen zu Verzicht und Einschränkung verändern, damit es überhaupt möglich wird, Verhalten im großen Stil zu verändern. Das heißt, dass wir diesen Lebensstil als Möglichkeit, als Gewinn sehen.
Georg Kaser: Es ist natürlich eine persönliche Wahrnehmung, ob ich glücklicher bin, wenn ich weniger habe, oder ob ich glücklicher bin, wenn ich gar nicht mehr weiß, was ich alles habe. Da haben wir bereits ein Bias drin, weil wir von einer Luxussituation ausgehen, auch Luxus im intellektuellen Sinn. Aber wenn man sich zum Beispiel die ganze Woche abrackert an einem Fließband und dann mit den paar Stunden Freizeit am Wochenende nicht weiß, was tun, weil einem alles um die Ohren fliegt, dann ist oft die einzige Lösung, in eine Shopping Mall zu gehen und sich zu belohnen und zu betäuben. Eine Mehrheit der Menschen ist in einem solchen Rad drinnen. Ich verwende den Begriff Verzicht eigentlich nicht, denn es geht nicht darum, auf etwas zu verzichten, es geht um die Frage, haben wir das Recht, das zu tun, was wir tun? Haben wir das Recht gegenüber Menschen der dritten Welt, gegenüber all jenen, die gerade ihre Lebensgrundlage verlieren, die in sozial dramatischen Situationen leben? Das müssen wir uns fragen. Haben wir das Recht unseren Nachkommen gegenüber? Es betrifft ja schon unsere Kinder, von den Enkeln gar nicht zu reden. Unsere Kinder, die um die 30 sind, kriegen das schon voll mit. Haben wir das Recht ihre Umwelt so zu zerstören, dass sie eigentlich nichts mehr haben? Wir leben auf Kosten von allen.Was braucht es?
Georg Kaser: Es braucht zwei Dinge: Eine radikale Veränderung unseres gesellschaftlichen Systems, zuallererst in der ersten Welt, dann aber auch global. Und dann braucht es natürlich neben Geldtransfers von den reichen zu den armen Ländern, auch Wissenstransfer. Was sie nicht brauchen sind irgendwelche Produkte. Wenn Produkte, dann welche, die sie auf eine nachhaltige Lebensweise bringen und die ihnen helfen, sich vor den schlimmsten Katastrophen zu schützen. Diese 1,2-Grad-Welt ist ja schon dramatisch und da verhandeln wir um 1,5 oder vielleicht doch zwei Grad. Das ist ja kaum auszuhalten.
Was können wir als einzelne tun?
Georg Kaser: Ich glaube, wir müssen es von der anderen Seite her anschauen, was brauchen wir dringend, um zu überleben. Der Rest kann dann zunehmend wieder kommen, wenn man neue Technologien findet, die emissionsfrei und ressourcenneutral sind. Mit diesen Gedanken müssen wir uns beschäftigen und zwar nicht langsam, sondern sehr schnell. Taugt der Begriff des 1,5-Grad-Lebensstils etwas?
Viktoria Cologna: In meiner Forschung arbeite ich bisher nicht mit dem Begriff, wobei ich natürlich auch untersuche, was Leute dazu bringt zum Beispiel weniger Fleisch zu konsumieren, weniger zu fliegen. Gerade kürzlich haben wir herausgefunden, dass die Leute ein sehr schlechtes Verständnis darüber haben, welches Verhalten klimaschädlich ist und welches nicht. Hier ist es sehr wichtig, dass man aufklärt und informiert. Also: Was heißt es überhaupt in einer Netto-0-Gesellschaft zu leben, was sind die Verhaltensweisen, die jede und jeder durchführen kann? Wir können heute nicht auf Technologien setzen, die es noch nicht gibt.
Georg Kaser: Der Verdacht ist groß, dass ein 1,5-Grad-Lebensstil ein Greenwashing-Begriff ist, so wie er verwendet wird. Auf der anderen Seite kann man ihn schon verwenden, muss ihn dann aber von der anderen Seite aufspulen und sagen, „Wie muss ein Lebensstil sein, dass man 1,5 Grad erreichen und einhalten kann?“. Wir müssen es zunächst einmal erreichen und das wird massive Einschnitte in unsere Lebensbereiche und Pläne bedeuten. Erst dann können wir uns überlegen, wie ein solcher 1,5-Grad-Lebensstil aussieht und wie wir dort leben können, denn das wird auch nicht so einfach sein.„2050 ist viel zu spät, wir müssen viel schneller sein“, sagt Georg Kaser klipp und klar. Ich gestehe, dass ich nicht daran glaube, dass wir von heute auf morgen unsere Art zu leben umstellen können. Und auch bereit dazu sind. Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte. Dass wir aber alles daransetzen müssen, dass politisch die entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt werden, die dann konsequent und von uns allen gemeinsam getragen werden, daran arbeite ich mit. Wie viele andere auch.
Fotos: (1) © Mika Baumeister/unsplash; (2) Georg Kaser © Daniela Brugger; (3) © Viktoria Cologna; (4, 5) © Markus Spiske/unsplash; (6) © Susanne Barta
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