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September 16, 2024

wars in words: hört hin (wenn ihr könnt)!

Verena Spechtenhauser

Ich kann mir nur bedingt vorstellen, wie schwierig es sein muss, Erfahrungen aus und rund um den Krieg in Worte zu fassen. Wenn ich es zulasse, spielt Krieg auch in meinem Leben eine Rolle und das nahezu täglich. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass ich den Krieg einfach aus meinem Leben ausklammern darf, wenn ich keine „Lust“ mehr darauf habe. Ich schalte die Nachrichten aus, scrolle bei Instagram weiter, überblättere beim Lesen der Zeitung die entsprechenden Nachrichten, greife nicht zu Büchern, die davon berichten. Es ist ein Privileg.

Es gab eine Zeit in meinem Leben, da sah dies anders aus. Da habe ich mit unbändigem Interesse alle Nachrichten rund um die zahlreichen Konflikte in dieser Welt förmlich aufgesaugt, habe mich während meines Geschichtestudiums fast schon zwanghaft mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, mit Holocaust und Vertreibung, mit seiner Vorgeschichte und den Nachwehen auseinandergesetzt. Ich habe jahrelang alle Bücher zum Thema Krieg gelesen und meine Freund*innen und Familie regelmäßig in Gespräche über aktuelle politische Ereignisse verwickelt – und ja, wohl auch gelangweilt. Ich fand nichts schlimmer und nichts weniger nachvollziehbar, als die Tatsache, dass meinem Gegenüber sowohl das Wissen als auch das Interesse an unserer Vergangenheit und dem aktuellen Zeitgeschehen fehlte, es ignoriert und ausgeblendet wurde. „Ich schaue keine Nachrichten. Ich möchte das nicht hören. Das ist doch alles längst vorbei.“ Wie oft habe ich diese Sätze gehört, wie unverständlich war diese Denkweise für mich, wie oberflächlich empfand ich diese Aussagen. Bis ich irgendwann verstanden habe, dass diese mutmaßliche Ignoranz wohl meist eine gesunde Form des Selbstschutzes ist, weil das Leid in anderen Teilen der Erde für viele nicht zu ertragen war und ist – auch wenn wir das Glück haben, es aus einem großen Abstand heraus betrachten zu können.

Nun erscheint Ende des Jahres im hauseigenen franzLAB Verlag, in der Reihe Cento, herausgegeben von ZeLT (Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung), eine Publikation, auf die ich all jene Leser*innen gerne Aufmerksam machen möchte, die es sich zutrauen wollen, sich mit der Thematik Krieg auseinanderzusetzen: wars in words. Krieg und Poesie. Scrivere la guerra heißt das Buch, das sich mit ausgewählten Texten und Redebeiträgen dem Thema Krieg und dessen Auswirkungen auf Kunst und Kultur widmen wird. Was und wie vermag Literatur über Krieg, Gewalt, Flucht und Exil zu berichten? Kann Literatur das Schreckliche begreiflicher und von daher umgänglicher machen? Die auf 100 Stück limitierte Publikation wird am 30. November 2024 in der BASIS Vinschgau Venosta im Rahmen des Workshops „Tsamisdat RISO-Druckwerkstatt und Gespräch“ von den Teilnehmer*innen in Handarbeit hergestellt.wars in words Katrin Gruber - Bernhard Fuchs - Riso BASIS © Kunigunde Weissenegger„Gestartet ist eigentlich alles, als ich im Februar 2023 von ZeLT die digitale Nachlese zu Sabine Grubers Benefizmatinée ,Nacht und Dunkel bis zum Halse/Con la notte il buio alla gola’ zugeschickt bekommen und mir gedacht habe, es wäre doch schön, durch diese beeindruckenden Seiten auch blättern und diese Worte auch auf Papier lesen zu können. Das war der Beginn einer Reise hin zur dann mit Jahresende 2024 erscheinenden Publikation, die sich aufgrund verschiedener Entwicklungen als herausfordernder, aber gleichzeitig auch spannender als gedacht, entfaltet hat. Das haben sich Alma Vallazza und Greta Maria Pichler vom Programmteam von ZeLT auch nicht erwartet. Für die Grafik konnten wir Katrin Gruber gewinnen. Sie wird zusammen mit Bernhard Fuchs aka burn bjoern von Soybot in Wien in der Werkstatt von BASIS Vinschgau Venosta den Workshop, bei dem die Publikation mit der Technik des Risodrucks entstehen wird, leiten und koordinieren,“ erklärt Kunigunde Weissenegger, Gründerin von franzLAb.

Tamisdat – russisch für Dortverlag, so erfahre ich, bezeichnete in ironischer Analogie zu dem bereits bestehenden Wort Samisdat (Selbstverlag) Texte, die aus dem ehemaligen Ostblock in den Westen geschmuggelt und dort gedruckt wurden. Mit Samisdat werden jene zwischen 1960 und 1980 in den sozialistischen Staaten Ost(mittel)europas in Handarbeit gestalteten und vervielfältigten Druckwerke bezeichnet, die ohne offizielle Druckgenehmigung an den staatlichen Zensurbehörden vorbei in Umlauf kamen. Der Samisdat war neben privaten Lesungen oft der einzige Weg, nichtkonforme Texte einem breiteren Publikum im eigenen Land zugänglich zu machen. „Beim Workshop werden wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir uns aus ,westlicher’ Perspektive kulturpolitisch zum Krieg in der Ukraine und zu anderen aktuellen Kriegsschauplätzen verhalten können und welche Art der Öffentlichkeit (Publikation) wir dafür als geeignet erachten. Unser Workshop richtet sich an alle, die einen Einblick in das Drucken mit dem Risographen erhalten, aktiv an der Entstehung einer Publikation mitwirken möchten und offen sind für das politische Gespräch“, erklären Greta Maria Pichler und Alma Vallazza von ZeLT.

Publikation und Workshop voraus geht die gleichnamige, von den beiden kuratierte, performative Lesung, welche am Freitag, 20. September 2024 ab 19 Uhr in der OASIE von Transart in der Dantestraße 32 in Bozen über die Bühne geht. Zu hören sind die Gedichte des in Charkiw in der Ukraine geborenen, deutsch schreibenden Dichters Yevgeniy Breyger und der aus Syrien stammenden Dichterin Kholoud Charaf. Beide werden ihre Gedichte in der jeweiligen Originalsprache (Deutsch und Arabisch) vortragen, parallel werden die Übersetzungen der Texte ins Deutsche, Italienische und Englische zum Mitlesen auf einen Bildschirm projiziert. Besonders schön: Die Gedichte von Kholoud Charaf wurden 2023 im Rahmen des Poesiefestivals Berlin von der Gruppe buntklang vertont und werden den Vortrag der Autorin begleiten. Anknüpfend an die Lesung diskutiert eine Expert*innenrunde, bestehend aus den beiden Dichter*innen sowie dem österreichisch-afghanischen Journalisten, Kriegsreporter und Autor Emran Feroz und der in Südtirol geborenen und in Kyjiv (Kiew) als freie Journalistin tätigen Daniela Prugger. Moderiert wird die Runde vom deutschen Schriftsteller und Übersetzer José F. A. Oliver. Die Gedichte, Statements und das transkribierte Gespräch der Veranstaltung stellen die Textvorlage für die Publikation dar.

„Die Geschichte ist rund, ich kann es kaum erwarten, diese Cento-Serie in den Händen zu halten“, erklärt mir Kunigunde am Ende unseres Gesprächs. Was soll ich sagen? Mir geht es auch so. Ich freu mich drauf. 

Habt ihr auch Lust dabei zu sein? Das Ticket zur performativen Lesung „wars in words“ kostet 5 Euro. Reservieren könnt ihr hier. Für den Workshop „Tsamisdat. Riso-Druckwerkstatt und Gespräch könnt ihr euch bis 22.11.2024 hier anmelden – den Kostenbeitrag zwischen 20 Euro und 50 Euro könnt ihr, euren Möglichkeiten entsprechend, selbst bestimmen. Als Dankeschön darf jede*r Teilnehmer*in ein Exemplar mit nach Hause nehmen. 

Fotos: (1) Kholoud Charaf, writers in exile © Maximilian Goedecke; (2) Katrin Gruber und Bernhard Fuchs in der Riso-Druckwerkstatt in der BASIS © Kunigunde Weissenegger

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