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December 16, 2023

Angelus Loci: Die schwebenden Lichtwesen von Michael Fliri

Maria Oberrauch
Zum zweiten Mal erhellt 2023 das Kunstprojekt „Angelus Loci“, initiiert von der Gemeinde Bozen und dem Verkehrsamt Bozen und kuratiert von franzLAB, von 23. November 2023 bis 6. Jänner 2024 die Plätze und Straßen von Bozen. „Angelo Rosa“ von Carla Cardinaletti ist an der Kreuzung Laurinstraße/Raingasse zu sehen, „Still With Earthly Desires“ und „Aspirant“ von Michael Fliri in der Handelskammer Bozen, „VEHUIAH“ von Elisa Grezzani an der Dominikanerkirche und „L U C I“ von Hubert Kostner bei der eurac research.*

 

Über einen Bildschirm schwebt ein Flugdrache. Auf das filigrane Gestell sind Flügel gelegt, engelsgleiche, parallele Federarrangements, und wie bei dem Kinderspielzeug ist das Bild der Feder nicht Funktion, sondern Idee. Ein zweiter Drache kommt dazu, irgendwann noch ein dritter, mehr und mehr bauen sie sich auf, überlagern sich und schieben sich zwischen das Licht und den Blick. Fast blendet es, dieses Gegenlicht und die Flugobjekte dunkeln es wohltuend ab. Für das weihnachtliche Kunstprojekt „Angelus Loci“ von franzLAB in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsamt Bozen für die Stadt Bozen hat Michael Fliri als einer von vier Künstler*innen den Engel in Bozen verortet. Seine Seraphim schweben und stehen in der Handelskammer Bozen in der Südtirolerstraße.

Wie bist du das Thema „Engel“ angegangen? Wie hast du diese doch nicht ganz leichte thematische Aufgabe aufgefasst?

Engel sind Lichtbringer. Sie sind verkörpertes Licht und so Inbegriff von Himmel und Unendlichkeit. So kommt es es in der Bibel vor. Den figurativen Engel mit Flügeln gibt es in der Bibel gar nicht. Er ist die Erfindung eines Künstlers um 400 n. Chr. sowie vermutlich auch vom griechischen Hermes inspiriert – und damit eine Erfindung zwischen monotheistischen und polytheistischen Kulturen. Das finde ich spannend. Licht und Flügel sind also zentrale Themen.michael fliri angelus_loci_vcasalini_Wie arbeitet das Kunstwerk, wie soll es bestenfalls betrachtet werden? 

Die vier großformatigen Bilder mit jeweils drei sehr abstrahiert dargestellten Flügelpaaren zitieren die Seraphim, also sechsflügelige, fast körperlose Engel. Über einen Arm gehängt, steht der Flügel in zwei weiteren großformatigen Fotografien für den Traum vom Fliegen, für die Verbindung und Metamorphose von Mensch und Tier. Das Tier beseelt den fliegenden Körper und diesen animistischen Aspekt finde ich anregend. In dem Video mit den Flugdrachen ist das Fliegen ein Kinderspielzeug, es ist menschengesteuert, theatralisch inszeniert. Durch die aufgelegten Flügel werden auch die Drachen beseelt und schweben wie Vögel – oder eben auch Engel – durch die Luft und vor das Licht. Es fließen also das Magische und das Fiktionale, das Animalische und das Anthropomorphe in dieser Arbeit zusammen.

Gibt es einen konkreten Bezug zu Bozen?

In der Stadt Bozen und in ganz Südtirol finden wir in sakralen Fresken immer wieder wunderbare Beispiele von den Seraphim, den vielflügligen Engelswesen. Von diesen lokalen, eindrücklichen Kunstwerken bin ich seit meiner frühen Kindheit visuell geprägt.MyPrivateFog5Das Transzendentale liegt dir. In welchem Bezug steht das Projekt Angelus Loci zum eigenen künstlerischen Zu- und Werdegang? 

Transzendental ist genau das richtige Wort. Es prägt zutiefst meine Arbeitsweise: Mit Gips oder anderen Materialien beginne ich meist skulptural. Ich baue auf, um dann von diesen Objekten transparente Oberflächen abzunehmen. Diese Oberflächen werden dann durch den Einsatz von Licht zu Schattenspielen, von denen bis zum Schluss nur ein Foto oder ein Video bleibt. Die Arbeit entwickelt sich also von der Materie, vom schmutzigen Gips, zu etwas ganz ephemeren, zu einer Momentaufnahme. Der Körper wird transzendental, er überwindet die Materie und geht ins Geistige. In der Bibel sind Engel etwas komplett Immaterielles. Sie sind das Licht, ein Blenden und zugleich ein Hingezogenwerden. Bei dieser Arbeit für Angelus Loci  handelt es sich nicht direkt um ein Schattenspiel, aber dadurch, dass wir alles mit Gegenlicht aufgenommen haben, ist die Wirkung ähnlich. 

Welche technischen Herausforderungen gab es in der Produktion des Kunstwerks?

Die Messehalle, in der die Arbeit ausgestellt wird, ist sehr groß, es war also eine Herausforderung, sie so zu füllen, dass die Arbeit nicht untergeht. Deshalb auch die verschiedenen, großformatigen Arbeiten und der Soundtrack: Sound schafft es, den Raum zu füllen und die Besucher*in einzunehmen, ohne materiell sein zu müssen. Die klanglichen Komponenten meiner Arbeiten entstehen in Zusammenarbeit mit dem belgischen Musiker Koen Vermeulen.Angelus Loci - Still With Earthly Desires - Michael Fliri (c) Martina FerrarettoWoran arbeitest du sonst gerade? Welche Materialien, Themen, Ideen „beflügeln“ deine Arbeit?

Die Maske ist immer aktuell. Auch sie erlaubt Transformation, Metamorphose. An der Wand wirkt eine Maske vielleicht skulptural und tot, sie ist es aber nicht. Die Maske hat ein extremes Potential für Verwandlung, sobald sie in Kontakt mit dem Maskenträger kommt. 
Prinzipiell wird meine Arbeit immer immaterieller. Früher habe ich sehr viel mit videodokumentierter Performance gearbeitet. Diese Arbeitsweise war sehr stark mit meinem Körper verbunden, über die Jahre hat sich der Körper immer mehr zurückgezogen. 
Es passiert jetzt immer häufiger, dass die Leute meinen, meine Arbeiten wären digital konstruiert. Dabei ist meine Arbeitstechnik sehr archaisch, weil alles nur über Licht, Schatten und Transparenzen aufgenommen wird. Vielleicht hat dieser Zugang anachronistische Ansätze, aber ich brauche im Vorfeld einen starken Ausgangsträger, eine Materie, die sich transformieren und auflösen kann und nicht nur in der digitalen Welt bleibt.

Was birgt die Zukunft?

Die wird vermutlich noch immaterieller werden und sich noch mehr auflösen. Konkret hat sich meine Arbeit im Lockdown nur mehr in neuen Fotografien geäußert, also in diesen ganz kurzen festgehaltenen, ephemeren Momenten. Ganz langfristig wird mit dem eigenen Körper ja genau das gleiche passieren. 

Michael Fliri - Aspirant 1 courtesy Rafael Kroetz*Das Kunstprojekt „Angelus Loci fand erstmals 2021 statt und ist nun in seiner zweiten Auflage von 23. November 2023 bis 6. Jänner 2024 Teil der diesjährigen Bozner Weihnacht. „L U C I“ von Hubert Kostner wurde auch Dank XAL GmbH, Alma Light der Natalie Tschigg und Von Lutz verwirklicht. 
Wörtlich übersetzt bedeutet der lateinische Begriff Genius Loci „Geist des Ortes“. In der römischen Mythologie war mit Genius ein Schutzgeist gemeint, der einen bestimmten Ort in der Natur oder Stadt einerseits beschützt und andererseits dessen besondere Merkmale definiert. In der Weihnachtszeit hat auch „Bozen – Stadt der Engel“ einen ebensolchen Schutzgeist: Mit dem Konzept des Angelus Loci – Engel des Ortes – haben sich vier Südtiroler Künstler*innen auseinandergesetzt und für vier verschiedene Orte temporär vier Kunstwerke geschaffen – im Sinne vieler weiterer Stadtorte: Carla Cardinaletti „Angelo Rosa“, Kreuzung Laurinstraße/Raingasse; Michael Fliri „Still With Earthly Desires“ + „Aspirant“  Handelskammer; Elisa Grezzani „VEHUIAH“, Dominikanerkirche; Hubert Kostner „L U C I“, eurac research, Drususallee. 

Fotos: (1, 5) Aspirant, Michael Fliri, courtesy Rafael Kroetz; (2) Aspirant, Michael Fliri (c) Valentina Casalini; (3) Michael Fliri; (4) Still With Earthly Desires, Michael Fliri (c) Martina Ferraretto.

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