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April 19, 2023
Fashion For Future
Susanne Barta
Dass wir eine andere Modeindustrie und einen anderen Umgang mit unseren Kleidungsstücken brauchen, ist bereits bei vielen angekommen. Zu schwerwiegend ist der Impact auf Menschen und Umwelt und in Konsequenz auf unser Klima. Wie aber kann eine „Fashion for Future“ aussehen? Patentrezepte gibt es auch hier keine. Aber in der Zwischenzeit viele Initiativen, Plattformen, Manifeste, Vereinbarungen und Regelungen, die auf den Weg gebracht werden. Darüber hinaus Forschung, Materialinnovationen, neue Businessmodelle und mehr und mehr Designer*innen und Brands, die anders arbeiten (möchten). Und die Einsicht, dass man hier nicht nur Akzente setzen, sondern wirklich Grundlegendes verändern muss.
Über 60 Millionen Menschen weltweit (Quelle: deutsches Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit) arbeiten in der Textil- und Bekleidungsindustrie, über 80 % davon sind Frauen. Der überwiegende Teil der Produktion erfolgt in den Ländern des Globalen Südens. Aber auch in Ländern wie Türkei, Rumänien, Bulgarien oder Portugal wird viel produziert, ja, auch direkt vor unserer Haustür. Bis zum Unglück von Rana Plaza, der Textilfabrik ganz in der Nähe der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch, gelang es der Industrie ziemlich gut, unter dem Radar der Öffentlichkeit durchzuschlüpfen und die zum Teil katastrophalen Arbeitsbedingungen in den komplexen Lieferketten zu verstecken. Rana Plaza markiert in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur. Am 23. April 2013 brach die Fabrik wegen gravierender Sicherheitsmängel zusammen, 1.135 Menschen starben, 2.438 wurden verletzt. Nicht nur ging ein Aufschrei durch die internationalen Medien und wurde das Thema mit einem Schlag sichtbar und „newsworthy“, Rana Plaza war auch der Anlass für die Gründung der Plattform Fashion Revolution in London. Die Vision: gemeinsam an einer globalen Modeindustrie zu arbeiten, die die Umwelt schont, wiederherstellt und den Menschen Vorrang vor Wachstum und Profit gibt. Heute, zehn Jahre später, ist Fashion Revolution eine weltweite Bewegung, die erfolgreich und unermüdlich für eine bessere Fashion Industrie arbeitet. Jedes Jahr finden rund um das Datum des tragischen Unglücks Veranstaltungen und (Social-Media-) Kampagnen statt. Die bekannteste davon ist #whomademyclothes. Auf Rana Plaza folgten aber auch umfangreiche Versprechen verschiedener Unternehmen, in Zukunft besser produzieren zu wollen. Aus den meisten wurde nichts, aber immerhin gelang es, den „Bangladesh Accord“ für mehr Arbeitssicherheit auf den Weg zu bringen. Aus dieser Vereinbarung entwickelte sich der International Accord, der in Zukunft auch auf andere Länder ausgeweitet werden soll. Nach Bangladesch wurde im Dezember letzten Jahres der „Pakistan Accord“ vorgestellt, eine rechtsverbindliche Vereinbarung, die von 190 Marken und Fabriken unterzeichnet wurde, um bessere Sicherheitsstandards in Zulieferbetrieben zu gewährleisten. Mit dabei u.a. C&A, H&M, Inditex, Benetton, Otto Group und Tchibo.Fashion Revolution konzentriert sich in seiner Arbeit vor allem auf soziale Nachhaltigkeit, also auf faire Arbeitsbedingungen. Hier sind wir alle gefragt. Denn durch unser Konsumverhalten können wir erreichen, dass mehr umwelt- und sozialverträglich hergestellte Produkte auf den Markt kommen.
Letzten Juli hat Fashion Revolution in Zusammenarbeit mit der Clean Clothes Campaign die Kampagne Good Clothes Fair Pay gelauncht. Dabei geht’s darum, im Rahmen einer Sorgfaltspflicht für Unternehmen entlang der Lieferketten einen existenzsichernden Lohn für die Menschen, die unsere Kleidung produzieren, sicher zu stellen. Die Kampagne ist gestaltet als European Citizen Initiative, das heißt, es braucht 1.000.000 Unterschriften, um das Anliegen vor die Europäische Kommission zu bringen. Bislang schaut es leider eher mau aus, knapp über 130.000 Unterschriften sind bis jetzt zusammengekommen.Die Kampagne Good Clothes Fair Pay steht auch im Mittelpunkt der Südtiroler Fashion-Revolution-Veranstaltung, die vom 27. April bis 6. Mai 2023 in Bozen und Umgebung stattfindet. Dieses neue Format heißt Fashion For Future Bolzano. Unser Anliegen? Perspektiven und Zugänge aufzuzeigen, wie eine zukünftige Modeindustrie aussehen kann. Zum ersten Mal haben sich dazu verschiedene Player der lokalen Community zusammengetan: OEW – Organisation für Eine solidarische Welt, das Netzwerk der Südtiroler Weltläden, die Fakultät für Design und Künste der Universität Bozen und meine Wenigkeit. Herausgekommen ist ein umfangreiches Programm mit Konferenz, Open Studios, einer Ausstellung rund um Textiles, Workshops, Swap Party, Flash Mob und Filmvorführung. Tatkräftig unterstützt von einem engagierten Student*innen-Team der Uni Bozen. Mit dabei auch lokale Brands und Geschäfte wie CORA happywear, Grenz/gang, Kauri Store, Artelier, Dama Studio, Violeta Nevenova, Blauer Schnipsel, Ahoi, Officine Vispa … Fashion for Future Bolzano, davon bin ich überzeugt, hat das Potential sich als neue Plattform zu formieren. Herzstück der Veranstaltung ist der 27. April mit Open Studios am Vormittag im Zentrum von Bozen, der Eröffnung der Ausstellung – auch mit vielen internationalen Beiträgen – um 15 Uhr und der Konferenz von 16 bis 18 Uhr an der Uni Bozen. Nach einer Keynote von Marina Spadafora, Country Coordinator Fashion Revolution Italia, spreche ich am Podium u. a. mit Deborah Lucchetti, Verantwortliche der Clean Clothes Campaign Italien und Alexandra Letts, Sustainablity Managerin der Oberalp Gruppe über die verschiedenen Aspekte zum Thema Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie und wie eine Fashion for Future aussehen kann. Danach gibt’s einen Aperitif.Das detaillierte Programm von Fashion for Future Bolzano findet ihr hier, Updates dazu gibt’s bis knapp vor Veranstaltungsbeginn am 27. April. Für die Konferenz müsst ihr euch bitte registrieren. Alle Infos dazu findet ihr auf der Website. Wir, das Organisationsteam, Aart van Bezooijen/unibz, Verena Dariz/OEW, Brigitte Gritsch/Netzwerk der Südtiroler Weltläden, das Student*innen-Team und ich freuen uns auf euch! See u there.
Und? Habt ihr die Kampagne Good Clothes Fair Pay schon unterschrieben?Frühere Artikel zur Kampagne und zu Fashion Revolution findet ihr hier, hier, hier und hier. Zum Artikel über Marina Spadafora geht’s hier, und zum Interview mit Fashion Revolution Co-Gründerin Orsola de Castro hier.
Fotos: (1) © Fashion Revolution/Samiull Alam; (2) © Fashion For Future – Marielle, Susanne, Brigitte, Verena, Aart und Maiella bei einem unserer Arbeitstreffen in der Luna Bar; (3) © Susanne Barta – Es gibt auch gute Beispiele: in der Produktionshalle von Oscalito, ein traditionsreiches Turiner Label, das auf eine transparente und faire Lieferkette und ein ehrliches „Made in Italy“ setzt; (4) © Fashion For Future – Brigitte Gritsch/Netzwerk Weltläden, Verena Dariz/OEW, Susanne, Art van Bezooijen/unibz; (5) © Susanne Barta; (6, 7) © Fashion For Future: Vorbereitung und Workshop für Fashion For Future T-Shirts, natürlich aus alten T-Shirts; (8) © Fashion Revolution/Organic Clothing ASIE; (9) © Susanne Barta – mit Maike Thalmeier, Frankfurt Fashion Movement und GREENSTYLE Gründerin Mirjam Smend, Fashion Revolution München; (10) © Susanne Barta.
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