Culture + Arts > Visual Arts
October 7, 2020
Der Defekteffekt: „Schöne Scherben“ im Lanserhaus in Eppan
Kunigunde Weissenegger
Ist es eine Kunst, Dinge so zu reparieren, dass man nicht sieht, dass sie „geflickt“ sind, und so zu tun, als ob nichts passiert wäre? … oder liegt die Kunst vielmehr darin, Bruchstellen durch Reparatur umso sichtbarer zu machen? Beim Japanischen „Kintsugi“ geht es genau darum: Beschädigte Töpferwaren werden offensichtlich und kunstvoll repariert. Dieses ausgefeilte Handwerk setzt zum „Kitten“ wertvolle Materialien wie Silber und Gold ein. In Europa ist es eher Brauch, Verschlissenes, zu Schaden Gekommenes handwerklich zu reparieren, zu flicken und auszubessern, als hätte es den Schaden nie gegeben. Dinge überdauern Generationen. Mittlerweile hat sich das auch verändert und sie werden eher durch neue ersetzt.
Was ist mir ein Ding wert? Schätze ich es noch, wenn es alt und verschlissen ist? Was unternehme ich, um es zu erhalten? In welcher Beziehung stehen Schaden und Wert zueinander? Mindert Schaden den Wert eines Dinges? Bewahre ich es auf? Repariere ich es?
Diesem reizvollen und umfangreichen Thema widmet die Gemeinde Eppan im Lanserhaus bis 15. November 2020 (Di–Fr 15:00–18:00, Sa–So 10:00–12:00 + 15:00–18:00, Eintritt frei) die Ausstellung „Schöne Scherben – Die Kunst der Reparatur“. Kuratiert wird sie von Hans-Jürgen Hafner, Kunstkritiker, Autor und Ausstellungsmacher.
Er zeigt die Positionen von 16 Künstlerinnen und Künstlern: Barbara Bloom, Revital Cohen & Tuur van Balen, Anna Franceschini, Paul Kindersley, Milan Knížák, Hubert Kostner, Claudia Kugler, MDMM, Kozan Makuzu, Walter Niedermayr, Siegfried Riegler, Alessandra Spranzi, By Walid und Jens Wolf. Zur Ausstellung ist auch eine Begleitbroschüre erschienen, die das Thema mit einführenden Worten des Kurators und Texten zu allen Künstlerinnen und Künstler vertieft.
Hans-Jürgen Hafner hat uns ein paar Fragen beantwortet:
Wie kommst du nach Südtirol?
Ganz banal, mit dem Auto aus Berlin über den Brenner. Ich fahre ja äußerst ungern, noch dazu in eine Weingegend, und würde üblicherweise die Bahn nehmen. Aber zum einen Corona bedingt und zum anderen aus praktischen Gründen – ich hatte einige der ausgestellten Arbeiten im Kofferraum – hat sich das diesmal angeboten.
Warum ich überhaupt nach Südtirol gekommen bin, liegt an Stephanie von Gelmini. Mit ihr habe ich früher schon in Düsseldorf gut zusammengearbeitet. Sie organisiert mittlerweile das Ausstellungsprogramm im Landserhaus und hat mich eingeladen, in Eppan eine Ausstellung zu kuratieren – gern mit thematischem Schwerpunkt. Da haben wir’s.
Wie passt das Thema der Ausstellung „Schöne Scherben“ in die Gegenwart?
Die Entscheidungsfrage ,Wegwerfen‘ oder ‚Reparieren‘ ist, denke ich, sehr aktuell in einer industriellen Überproduktion, zum Beispiel – aber längst nicht nur – der Bekleidungsindustrie. Recycling als Wiederverwertungskonzept ist mittlerweile ein ‚must‘ und Upcycling, also das Aufwerten von gebrauchten Dingen oder Rohstoffen, ein Kreativtrend, der durchaus originelle Ergebnisse zeigt. Zugleich lässt sich mit Nachhaltigkeit werben und ein Geschäft draus machen. Das möchte die Ausstellung thematisieren und ein wenig die Vielfalt der Beziehungen auffächern, die zwischen Schaden, Scherben und Wert besteht. Wie gern ich eine Tasse gemocht habe, fällt mir oft erst dann auf, wenn sie mir aus der Hand fällt und in die Brüche geht. Ein anderer Punkt hat mit dem Ausstellungsort, dem Lanserhaus, zu tun. Das beherbergt auch die archäologischen Sammlungen zur Orts- und Regionalgeschichte. Aus diesen Scherben rekonstruieren Historiker*innen das, was sich Geschichte nennt. Geschichte ist die Voraussetzung einer jeden Gegenwart und jede Gegenwart, auch die unsere, wird Geschichte, die für spätere Generationen – wenn wir die Erde nicht durch ökologische, politische und soziale Verantwortungslosigkeit demnächst aufgearbeitet haben werden – lehrreich sein kann. Aus Fehlern würde man klug, heißt es.
Was hältst du von Ausgleichsmasse und Reparaturknete? Reparieren oder ersetzen? Bringt das eine mehr als das andere?
Ich nutze Dinge eh gern und finde Reparieren gut. Freilich geht das nicht mit allem so gut, wie mit meinen Budapestern, die – neu besohlt – eben wirklich wie neu und zugleich eingelaufen sind. Im Kunstfeld gibt man sich ja gern radikal. Trotzdem finde ich Reformen aussichtsreicher als Revolutionen, besonders wenn Revolutionen ,von oben‘ kommen.
Nach welchen Kriterien hast du die Künstlerinnen und Künstler für die Ausstellung ausgewählt?
Keine strengen. Mit vielen der Teilnehmenden – Revital Cohen und Tuur van Balen, Anna Franceschini, Claudia Kugler und Jens Wolf – habe ich mehrfach zusammengearbeitet und es interessiert mich, ihre Arbeit in immer wieder in neuen Kontexten neu oder anders zu verstehen. Andere habe ich mit Rücksicht auf den Standort, Eppan, das Lanserhaus, Südtirol und mit Blick auf das Ausstellungsbudget ausgewählt – in der Hoffnung, dass eine Vielfalt entsteht, die nicht nur ich interessant und für zugänglich halte.
Kennst du die Südtiroler Kunstszene? Was hältst du von ihr?
Ich hatte in der Vergangenheit immer wieder mit Künstlerinnen und Künstlern aus Südtirol zu tun und würde sagen: Da waren sehr markante Vertreter*innen des Berufsstands dabei. Klaus Pobitzer hat mir zum Beispiel im Wiener Café „Sperl” gezeigt, wie das Kräfteverhältnis zwischen Kellnern und Gast performativ erarbeitet werden muss, um in einem typischen Wiener Kaffeehaus gesellschaftshierarchisch zu bestehen. Davor habe ich immer noch allergrößten Respekt und ein bisschen Angst vor Klaus.
Ansonsten: In Deutschland weiß man insgesamt schon nicht sehr viel von der italienischen Kunstszene, da würde es glatt zu engmaschig, wenn man eine so spezielle Region einschätzen wollte. Und Berlin ist sich allein schon aufgrund der Lage notorisch selbst genug.
Was ist für dich bei der Kuratierung einer Ausstellung und der Beschäftigung mit einem bestimmten Thema wichtig? Wie ist deine Herangehensweise?
Ich habe in letzter Zeit zusammen mit meinem Kollegen, dem Maler und Kunstkritiker Gunter Reski, eine Ausstellung zur „Zukunft der SPD“, der kriselnden sozialdemokratischen Partei Deutschlands, und ebenfalls mit Reski sowie mit Marcus Weber, einem weiteren, sehr guten Maler, eine mit knapp sechzig Beteiligten bestückte Ausstellung mit der Kunst in Campingzelten und unter freiem Himmel gemacht – als Reaktion auf die Ausstellungsbedingungen in Corona-Zeiten. Mit Katharina Sieverding habe ich im Stadtraum von Nürnberg, auch während des Lockdowns, eine Ausstellung auf Plakatwänden realisiert. Mich interessiert es, auf herrschende Bedingungen einzugehen und mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten, die sich auf die Gegenwart, die wir zusammen erleben und gestalten, mit einem gewissermaßen ‚kritischen‘ Bewusstsein einlassen. Das heißt nicht, dass ihre Kunst ‚kritisch‘ sein und davon handeln muss. Eher im Gegenteil: An Kunst gefällt mir, wenn sie nicht bloßes Gegenwartssymptom ist, weswegen mir Arbeiten, die man historisch nennen könnte, oft aktueller erscheinen als manches durchsetzungsfähige Gegenwartsprodukt. Außerdem interessiert mich Kunst als spezifischer Bereich von Kultur, der eine Lebenswirklichkeit – eben die Kunstszene – ermöglicht, als kulturelle Form im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang. Helmut Draxler, ein sehr scharfsinniger Kunsttheoretiker, hat „Zusammenhang“ übrigens sehr grundsätzlich mit „Gewalt“ in Verbindung gebracht. Das möchte ich im Rahmen von Ausstellungen – die ja sehr spezifische, raum-zeitliche Zusammenhänge stiften – ein Stück weit und in Hinblick auf die uns umgebende, zwangsläufig „herrschenden“ Verhältnisse reflektieren.
Fotos: (1) Hubert Kostner, brutta figura, 2011–2014, Courtesy Alessandro Casciaro Art Gallery; (2) Gruppenfoto v. l. n. r.: Claudia Kugler, Stephanie von Gelmini, Michael Meraner (MDMM), Hans-Jürgen Hafner, Walter Niedermayr mit Arbeiten von MDMM und Walter Niedermayr, Seehauser Foto, Courtesy Gemeinde Eppan an der Weinstraße
Comments