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August 6, 2024
Zwischen Quantenphysik und Kunst – Nathanael Noir
Manuel Pichler
Da stand er … Neben dem DJ hatte er sein kleines Plätzchen mit Laptop. Fokussiert starrte er auf den Bildschirm, aber ließ sich von den 100 Dezibel im Raum kaum ablenken – ganz im Gegenteil. Ich wusste, dass er für die Visuals verantwortlich war. Was ich aber nicht wusste: Er hat die Visuals live vor Ort programmiert. Animierte Figuren, Muster, Formen … mal bunt, mal schwarz-weiß. Er passte sich immer an die Songs und Genres an. Nathanael Noir nennt er sich und ab und zu sieht man ihn im Südtiroler Nachtleben in Aktion. Ich weiß nicht viel über Nathanael Noir und als neugieriger Mensch plagt mich das Unwissen … und deswegen habe ich nachgefragt.
In deiner Insta-Bio steht folgendes: „Quantum gravity physicist turned AI researcher @noi.techpark Experimenting with sound and visual art.“ Erzähl mir etwas zum „Quantum gravity physicist turned Al reasearcher“-Part!
Während meines Studiums der theoretischen Physik in Wien und meiner anschließenden Tätigkeit als Wissenschaftler in der Forschungsgruppe für mathematische Physik beschäftigte ich mich intensiv mit der mathematischen Struktur fundamentaler Wechselwirkungen und mit verschiedenen Ansätzen zur Quantengravitation. Obwohl meine Leidenschaft für die Stringtheorie bis heute anhält, wollte ich meine Fähigkeiten in einem Bereich einsetzen, in dem ich Menschen unmittelbar helfen kann. Angesichts der drohenden Klimakatastrophe wurde mir klar, dass ich nicht nur hinter wissenschaftlichen Arbeiten stehen kann. Ich wollte auch wieder in meiner alten Heimat leben, weil ich Onkel wurde, und habe hier in Bozen im NOI Techpark die Möglichkeit gefunden, mein Wissen über Physik und Künstliche Intelligenz in spannende Forschungsprojekte einzubringen, die der Umwelt und den Menschen zugutekommen. In kleineren Strukturen kann man oft mehr bewirken und diese Chance wollte ich nutzen.Du programmierst Visuals für musikalische Performances direkt vor Ort. Erklär mal kurz, wie das funktioniert!
Das war eigentlich Zufall. Freunde fragten mich, ob ich für eine Techno-Veranstaltung Visuals machen könnte. Ich hatte jedoch absolut keine Ahnung, wie VJs das angehen, und wollte mich nicht mit komplizierter Software beschäftigen. Da ich aber ein guter Programmierer bin und oft physikalische oder mathematische Dinge visualisieren musste, begann ich, mein eigenes Framework zu entwickeln. Es basiert vollständig auf reinem Code und ändert sich ständig, indem ich immer wieder neue Funktionen hinzufüge oder alte überarbeite. Mittels sogenannter Fourier-Transformationen, die ich in Echtzeit durchführe, habe ich die volle Freiheit, die Musik der Künstler*innen zu nutzen und sie einfließen zu lassen.
Was sind für dich die ersten Gemeinsamkeiten zwischen dem Visuellen und dem Hörbaren, die dir einfallen?
Seit ich mich erinnern kann, sehe ich Zahlen, Buchstaben und Noten in Farben. Musik war deshalb für mich schon immer ein extremer Katalysator, der meine Gedanken wortwörtlich einfärbt. Allerdings war dies immer etwas, das ich mit niemandem teilen konnte. Durch das Live-Coden kann ich diese Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen und andere daran teilhaben lassen. Aus diesem Grund sind meine Shows größtenteils improvisiert.Welche Art von Musik begleitest du am liebsten mit deinen Visuals und warum?
Am liebsten arbeite ich mit experimenteller Musik und noch lieber, wenn sie vor Ort entsteht … Ich finde, das trifft den Charakter des Live-Codens am besten. Es würde mich aber auch reizen, mit einer Band zu arbeiten und die verschiedenen Inputs der Instrumente zu nutzen.
Wie integrierst du die Musik eines Artists in dein Live-Coding? Welche Rolle spielt für dich dabei die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Künstler*innen?
Wenn ich live zu dem Sound eines Artists code, versuche ich, eine Symbiose mit seinem*ihren Charakter und seiner Musik einzugehen. Ich glaube, der*die andere Artist ist die wichtigste Zutat in meinem Endergebnis. Für den Moment versuche ich, meine und seine*ihre Welt zu verschmelzen. Ich habe das große Glück, dass es unglaublich viele tolle lokale Künstler*innen gibt. Meine Highlights waren Davide Piras, MENSCH, Lois Lane, ALPI und Willa Wonka. Alle gehören dem Genre Techno an, könnten aber nicht unterschiedlicher sein.
Kannst du uns schon ein Datum für deine nächste Performance als Live Visual Coder geben oder müssen wir verzweifelt auf eine Ankündigung warten?
In den kommenden Monaten stehen sicherlich einige spannende Dinge an. Dennoch freue ich mich besonders auf die Momente, in denen ich in meiner kleinen Werkstatt an neuen Ideen arbeiten kann.
Fotos: (1) Nathanael Noir with Lois Lane (c) by Sarah Mair; (2) Nathanael Noir, Coded Installation Franzenfeste (c) by Inge Ibu Sader; (3) Nathanael Noir, Coded Installation Franzenfeste (c) by Inge Ibu Sader.
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