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December 3, 2015
Betörend und verstörend: Valerie Fritsch, Schriftstellerin
Petra Götsch
Einmal kam ich im Sommer nachmittags von einer Bergtour zurück und meine Großmutter döste im Garten vor sich hin. Als ich an ihr vorbeiging, murmelte sie etwas von wegen, wie schön es wäre, einen jungen Körper und eine alte Seele zu haben. Ich schenkte dem Satz damals kaum Beachtung, glaube aber nach dem Treffen mit der Schriftstellerin Valerie Fritsch, dass meine Großmutter an ihr wahrscheinlich viel Freude gehabt hätte. Ihre Bücher sind vollgestopft mit Bildern und Sätzen, die wie aus einer anderen Zeit scheinen. Und wer der erst 26-Jährigen – stets schwarz gekleidet und eine eigenartige Mischung von Interesse und Distanz im Blick – zuhört, denkt sich: “Woher weiß die das alles?!”
Nach drei Büchern ist Valerie Fritsch mit dem schmalen Büchlein “Winters Garten” nun endgültig der Durchbruch gelungen. Selten war sich die Kritik so einig wie in diesem Fall. Im Innsbrucker Literaturhaus am Inn stellte Fritsch Anfang November den Roman persönlich vor, der von den letzten Tagen der Menschheit erzählt und davon, dass es vielleicht doch die Liebe ist, die die Erde zu einem bewohnbaren Ort macht.
Fast schon sezierend beschreibt die Grazerin eine Gesellschaft, die in sich zusammenfällt, in Formaldehyd eingelegte Föten, Zerfall und Verwesung und ausgemergelte, fleischlose Körper, die zwar noch Muskeln haben, aber keine Kraft mehr, sie anzuspannen. Nein, verstören wolle sie mit diesen Bildern nicht, winkt sie ab, zumindest nicht bewusst. “Aber wenn es helfe, dadurch aus Denkrillen auszubrechen, neue Perspektiven einzunehmen und über vorgegebene Muster und Rahmen zu reflektieren, könne sich die Verstörung in etwas Positives umkehren und sei dann vielleicht sogar zu begrüßen.” Sie denkt kurz nach und nickt dann nachdrücklich.Es sind gerade diese bildhaften Beschreibungen und eine hochmusikalische Sprache, die den Roman so beeindruckend machen. Während der Lesung im Innsbrucker Literaturhaus merkt man einmal mehr, wie Fritsch mit Klang und Rhythmus arbeitet, mal verschämt, mal knallt es in den Ohren. “Dahinter steckt knüppelharte Arbeit”, betont sie, “ich lasse den Satz erst dann stehen, wenn er laut gelesen gut klingt.” Wenn sich die Sprache allerdings wie ein Walzer hauptsächlich um sich selbst dreht, leidet darunter meistens der Inhalt. So erklärt es sich vielleicht, dass genau dieser am Ende von “Winters Garten”, trotz oder gerade wegen der großen Menschheitsthemen wie Kindheit, Leben, Liebe und Tod, eher dünn bleibt.
Dass Valerie Fritsch die Gabe zu Großem hat, kann an diesem Abend wohl keiner abstreiten. Und doch ist das Schreiben nur ein Teil ihrer Beschäftigung. Wenn sie nicht gerade den Weltuntergang evoziert, ist sie mit Erfolg fotografisch unterwegs, vor allem ihre Reisebilder und die dazugehörenden Berichte imponieren. Sechs Monate im Jahr reist sie um die Welt, manchmal in Begleitung, gerne alleine. Myanmar, Moldawien, Russland, Äthiopien, Togo und Benin, selbst für heutige Begriffe abenteuerliche Ziele. Während sie an der Zigarette zieht, die verschränkten Arme nur öffnet, um sich durch die Haare zu fahren, und mit Reibeisenstimme von ihren nächsten Plänen erzählt, wirkt sie ruhig und getrieben gleichermaßen. Aber passt das nicht zu einem Künstler? Wer in sich ruht, schreibt wohl kein Buch und malt auch kein Bild. Wohin sie ihre nächste Reise führen wird, frage ich. Finnland, Estland, sie zieht an der Zigarette, Deutschland, eine lange Reise im nächsten Jahr. Und Eritrea. Wie bitte? Sie will wissen, was das für ein Land ist, aus dem die Menschen in Scharen fliehen und dem selbst die eigene Fußballnationalmannschaft davonläuft. Noch einmal leuchtet die Glut der Zigarette hell auf. Eigentlich ist Leichtsinn ein sehr schönes Wort. Valerie Fritsch, geboren 1989, aufgewachsen in Graz und Kärnten. Studium an der Akademie für Angewandte Photographie. Bisher vier Romane, daneben Publikationen in Anthologien und Zeitschriften, außerdem Arbeiten für Film und Theater. Zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen, u. a. Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb 2015. Lebt mit einem Fuß in Graz, mit dem anderen irgendwo auf der Welt. 2015 ist ihr Roman “Winters Garten” bei Suhrkamp erschienen.
Fotos: Valerie Fritsch
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