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October 24, 2023
Wenn die Literatur mit der Wissenschaft …
Kunigunde Weissenegger
Lascia davert l’üsc de la stala, sciöche sëgn de prestic,
cernü danter mile lizënzes de suraviënza.
Tò pice lüch, curnisc istruida de chël bacan
che â n iade impradi reconescënza
y espresciun de ći che é assà.
Lass die Stalltür offen als ein Zeichen des Ansehens,
deines Anrechts zu überleben unter tausend anderen.
Dein kleiner Hof, erfahrene Begrenzung jenes Bauern,
der seine Zuwendung einst zu einer Wiese machte,
zum Ausdruck dessen, was ausreicht.
Roberta Dapunt, „Nauz“
Beeinflussen Romane, Gedichte oder Erzählungen unser Wissen und Denken? Inwiefern lassen Autor*innen die Wissenschaft in ihre Texte einfließen? Wie recherchieren sie und bedienen sie sich wissenschaftlicher Erkenntnisse? Lassen sich im Gegenzug Wissenschaftler*innen von literarischen Texten inspirieren?
Eine Fragestellung, der gründlicher auf den Grund gegangen werden sollte, meint Thomas Streifeneder, Leiter des Instituts für Regionalentwicklung an der Eurac Research Bozen. Aus diesem Anlass hat er am 26. und 27. Oktober den internationalen Workshop „Literatur & Wissen(schaft)“ initiiert und die großen Südtiroler Literaturplayer Literatur Lana und SAAV mit ins Boot geholt.
An zwei Tagen werden Autor*innen und Wissenschaftler*innen verschiedenster Couleur aufeinandertreffen und den Südtiroler Geschichtsroman, die narrativen Landschaftsräume der Berge, der Dolomiten und Ladiniens sowie den Dorf- und Landroman bzw. die Transformation ländlicher Lebensräume diskutieren und deren Wechselwirkung erörtern. Zum detaillierten Programm geht’s hier. Thomas Streifeneder haben wir vorab ein paar Fragen gestellt.
Welche Bücher hast du zuletzt gelesen?
Ich habe in Vorbereitung auf den Workshop die letzten Werke der teilnehmenden Autor*innen ganz oder in Auszügen gelesen, also Sepp Mall, Roberta Dapunt, Oswald Egger, Ivan Senoner und Robert Prosser. Auch andere Südtiroler Werke wie „Fö“, das letzte Buch von Selma Mahlknecht, oder jene, die sich mit der Südtiroler Realität auseinandersetzen, wie Jarka Kubsovas „Bergland“. Die letzten drei Bücher waren aber das neue Buch von Esther Kinsky „Weiter Sehen“, Birgit Birnbachers „Wovon wir leben“ und „Dezemberföhn“ von Alexander Heimann, weil ich versuche, mit den aktuellen Land- und Dorfromanen, die mich besonders interessieren, auf dem Laufenden zu bleiben. Ich freue mich dann aber wieder auf meine Wilhelm-Raabe- und Nature-Writing-Lektüren.
L’ultima frasa de Christopher McCandless, l
jëun mort ani dant jan a fé la vita da eremit tl’Alaska, fova
unida tëuta massa ala parola dal popul dla rë: “La cuntentëza
ie mé reéla sce la vën spartida.” Nëine Carlo auzova suvënz
ora che la natura salvera ova plu zevilta che la umanità
deventeda a si maniera salviera.
Ivan Senoner, „L Testamënt dl Lëuf“
Du bist Wissenschaftler, genauer gesagt Wirtschaftsgeograf, und leitest das Institut für Regionalentwicklung an der Eurac Bozen: Was ist dir in der Wissenschaft wichtig?
Neben der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Problemen und Herausforderungen und der Suche nach innovativen umsetzbaren Lösungen ist mir vor allem der Kontakt zu denjenigen wichtig, die von den wissenschaftlichen Ergebnissen profitieren sollen, also den betroffenen Akteur*innen. Deshalb ist für mich immer die Frage im Mittelpunkt: Cui bono? Wer sind die Zielgruppen? Für wen und zu welchem Zweck machen wir Wissenschaft? Wie können wir die Akteur*innen, die genau wissen, was Sache ist, von Anbeginn einbinden?
Du beschäftigst dich in deiner Forschung mit soioökonomischen Transformationsprozessen im ländlichen Raum: Was fasziniert dich daran so?
Die Komplexität. Die Überzeugung, dass die Zukunft des ländlichen Raums über die Zukunft der Menschheit entscheidet (Stichworte u. a. Ernährungssicherheit, Energiewende, Klimawandelfolgen) und diesem aber leider nach wie vor generell zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. (Deshalb haben viel gelesene Dorf- und Landromane und was sie wie schildern so eine Relevanz.) Gleichzeitig passiert und verändert sich sehr viel, existieren enorme Interessenskonflikte. Und es gibt unglaublich gute Projekte und spannende Initiativen, die nachhaltige Ideen entwickeln und Hoffnung auf eine sozial-ökologische Transformation machen, die so dringend notwendig ist.
Wenn meine Mutter nicht gewesen wäre, dann hätte
ich vielleicht bei den Sportnachmittagen des Jungvolkes
dabei sein können. Oder bei den Kampfübungen, von
denen Siegfried mir immer erzählte. Nach einer Uniform
traute ich mich zu Hause gar nicht zu fragen, weil
ich Mamas Antwort, dass wir kein Geld hatten, schon
kannte.
Sepp Mall, „Ein Hund kam in die Küche“
Wie entstand die Idee für den Internationalen Workshop „Literatur und Wissen(schaft)“?
Ausgangspunkt war die Zusammenarbeit in den letzten Jahren mit der Schweizer Sachbuchautorin und Kulturvermittlerin Barbara Piatti. Wir haben uns gefragt, welche „Land-Themen“ wie in zeitgenössischen Romanen und Erzählungen behandelt werden. Das mündete in das Konzept des „Rural Criticism“, der sich an den „Ecocriticism“ anlehnt, der sich wiederum mit der medialen und vor allem literarischen Darstellung der Umwelt und ökologischer Themen beschäftigt. Beim Rural Criticism beschäftigt uns die Frage, wer kann über das, was im ländlichen Raum passiert an Veränderungen und Transformationen, erkenntnisreich und gelungen schreiben? Wir wird das Land literarisch wahrgenommen? Wer erzählt plausible kohärente Geschichten hinter den Zahlen und den wissenschaftlichen Fakten? Von hier war es nur ein Schritt einen Workshop zu entwickeln, der sich mit der Schnittstelle Literatur und Wissenschaft, auch mit anderen Themen, auseinandersetzt. Außerdem scheint das Thema, das eigentlich ein uraltes ist und in der Literaturwissenschaft sehr kontrovers diskutiert wird, in den letzten Jahren wieder stärker zu interessieren. Das hängt auch mit dem Aufkommen von Climate Fiction zusammen, ein weiteres Thema, das wir in Zukunft erörtern wollen.
Der Aussetzer war ihr peinlich, er merkte
es daran, wie besorgt sie sich nun gab.
Sie trugen Kanthölzer nach draußen und ein
Ledertasche mit Schlachtmessern. Um sauber zu
machen. Und für eine Art Bilanz. Eine Eisenschere,
verklebte Tuben mit Schuhcreme. Die Zither. Ein
Sonnenhut mit angesengter Krempe.
Robert Prosser, „Verschwinden in Lawinen“
Warum findest du den Workshop so wichtig? Was könnte er bewirken?
Der Workshop verfolgt mehrere Ziele: Erstens eine fachübergreifende und interdisziplinäre Diskussion darüber, welche Wechselwirkungen es zwischen literarisch-fiktiven Werken und dem darin behandelten Fachwissen gibt. Des weiteren soll der kulturwissenschaftliche Austausch zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen in sowie außerhalb von Südtirol gefördert werden – aus so ganz unterschiedlichen Bereichen wie Literatur-, Natur- und Sozialwissenschaft, Literatur-, Kultur- und Verlagswesen. Deshalb war es uns wichtig, sämtliche relevanten Akteur*innen und Interessierte in und außerhalb der Eurac zusammenzubringen, die dann hoffentlich auch in Zukunft bei einer Zusammenarbeit und Weiterführung der Thematik beteiligt sind. Darum haben mehrere Institutionen an der Organisation mitgemacht und sind Mitveranstalter, neben Eurac Research mit unserem Institut für Regionalentwicklung und dem Center for Autonomy Experience, vertreten durch Josef Prackwieser, auch Literatur Lana mit der Mitkuratorin Christine Vescoli, Leiterin der Literaturtage Lana, die Freie Universität Bozen mit Elisabeth Tauber, das Naturmuseum Südtirol mit Johanna Platzgummer und das Romanische Seminar der Universität Zürich mit Rico Valär. Sehr wichtig ist und dankbar bin ich für die große Unterstützung von Seiten der Südtiroler Autoren- und Autorinnenvereinigung (SAAV) und der Geschäftsführerin Joanna Voss, dem Amt für Kultur und der Stiftung Südtiroler Sparkasse. Außerdem: Stilistisch gelungene und erkenntnisreiche Literatur, die Wissenschaftler*innen in den Mittelpunkt stellen und wissenschaftliche Erkenntnisse ansprechend vermitteln, sind publikumswirksam und erreichen viele Menschen. Das unterscheidet Literatur von wissenschaftlichen Medien wie Fachartikel, Sachbücher, Essays usw. Das kann Interesse an Forschungsthemen wecken und diese, ganz im Sinn guter Wissenschaftskommunikation, über ihren Fachkreis hinaus bekannt machen.
Ich öffne die Augen, ach ja? Die Hänge sind von riffeligen Spülfurchen zerbändert,
durchsiebt von tonigen, oft kegeligen Knoten. Und zwar: In stets spitzhäufig
zulaufenden, abbröckelnden Runsen. Und wo die Kruste fehlt, da rissen Narben
Sporne schartig zugespitzt nach oben, schroff aufgehäufte zu Kogeln, scheckig davon.
Oswald Egger, „Val di Non“
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