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April 18, 2024

In der Pause der Hölle – Emine Sevgi Özdamar zu Gast bei Literatur Lana

Verena Spechtenhauser

Das Angebot an spannenden literarischen Events ist in Südtirol eher spärlich gesät. Eine erfreuliche Ausnahme bildet die Lesung der Georg-Büchner-Preisträgerin von 2022 Emine Sevgi Özdamar. Am 18. April 2024 um 20 Uhr liest sie in den Räumen von Literatur Lana aus ihrem aktuellen Buch Ein von Schatten begrenzter Raum (erschienen bei Suhrkamp), für das sie auch mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

„Wenn man von seinem eigenen Land einmal weggegangen ist, dann kommt man in keinem neuen Land mehr an. Dann werden nur manche besonderen Menschen dein Land.“
[Auszug aus „Ein von Schatten begrenzter Raum“, S. 103]

Als ich beginne Emine Sevgi Özdamars 762 Seiten starkes Buch zu lesen, ist die Autorin gerade mit ihrem Auto auf ihrem alljährlichen Weg von Berlin in die Türkei, wo sie seit den 1980er-Jahren ihre Sommer auf einer Insel zwischen Troja und Bergama (dem antiken Pergamon) verbringt. Zwischenstopp macht sie dieses Mal unter anderem in Wien und Rom und eben auch in Lana. An alle drei Orte wurde die 1946 in Istanbul geborene türkisch-deutsche Schriftstellerin, Schauspielerin und Theaterregisseurin eingeladen, um aus ihrem autofiktionalen Roman zu lesen. Leider, so erfahre ich von ihrem Verlag, steht sie während ihrer Reise nicht für Interviews zur Verfügung.ein-von-schatten-begrenzter-raum_9783518472880_cover (c) Suhrkamp Verlag

Damals, Anfang der Siebzigerjahre, hatte das türkische Militär geputscht und war in alle Träume der jungen oder nicht jungen Menschen mit seinen großen, schweren Flügeln aus Eisen geflogen, um sie in Stücke zu brechen. Unsere Generation und die zwei Generationen nach uns waren als Verlierer auf die Welt gekommen. Déjà perdu.
[Auszug aus „Ein von Schatten begrenzter Raum“, S. 38]

Während sich Özdamar langsam, aber kontinuierlich von Norden in Richtung Süden bewegt, begleite ich die namenlose Erzählerin auf ihrer Flucht in die entgegengesetzte Richtung: von Istanbul über das Meer nach Europa, Ost-Berlin und Paris. Gezwungen, die Heimat hinter sich zu lassen, sieht sich die junge Schauspielerin durch den Militärputsch im Jahre 1971, als Künstler*innen, Linke und Intellektuelle um ihre geistige und physische Existenz zu fürchten beginnen. In einem Gespräch mit der deutschen Literaturkritikerin Cornelia Zetsche beschrieb Özdamar ihre Gefühle von damals mit folgenden Worten „Die Wörter sind mir krank geworden und ich musst sie in ein Sanatorium bringen.“

Es würde zu weit führen, den gesamten Inhalt des Buches, und somit das intensive Leben Özdamars, in diese kurze Besprechung zu pressen. So viel aber sei gesagt: Im Buch erfahren wir, wie Özdamars Alter Ego ihren Wunsch, Schauspielerin zu werden, mit nach Europa nimmt. Ebenso wie die Hoffnung, den kulturellen Reichtum ihres Landes auch dort bekannt zu machen.
Und dies gelingt ihr. Sie wird Regieassistentin von Benno Besson an der Volksbühne Berlin, begleitet ihn „raus aus Draculas Grabmal“, wie sie Deutschland bezeichnet, nach Paris, wo sie schlussendlich Dramaturgie studiert. Arbeitet mit Ikonen des deutschen Theaters und Films wie Claus Peymann, Matthias Langhoff und Doris Dörrie, spielt in Theaterstücken und Filmen mit und schreibt ab 1982 selbst: Theaterstücke, Erzählungen und Romane. „Ein von Schatten begrenzter Raum“ ist das vierte Buch der Autorin. Davor war sie 18 Jahre lang literarisch verstummt. Warum genau, darüber wurde im deutschen Feuilleton viel gemunkelt.

Ich habe ja, während ich anfing zu schreiben, gar nicht daran gedacht, in welcher Sprache ich schreibe. Ich bin der deutschen Sprache an dem wunderbaren deutschen Theater begegnet, ich hatte wahrscheinlich dadurch ein körperliches Verhältnis zur deutschen Sprache.
Emine Sevgi Özdamar

Emine Oezdamar(c)Tulya Madra_SVFür ihr literarisches Schaffen wurde Emine Sevgi Özdamar immer wieder ausgezeichnet. 1991 etwa mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis, 2004 mit dem Kleist-Preis, 2012 mit dem Alice-Salomon-Poetik-Preis (wie zuletzt auch die Südtiroler Autorin Maxi Obexer) und jüngst mit dem Schiller-Preis der Stadt Mannheim und dem Georg-Büchner-Preis. Übrigens war es das erste Mal, dass dieser Preis an eine*n Schrifsteller*in ging, die nicht muttersprachlich deutsch aufgewachsen ist. Ihre Dankesrede, ein Meisterstück. 

Wer sich in das literarische Schaffen von Emine Sevgi Özdamar (weiter) vertiefen möchte, dem sei die autofiktionale Romantrilogie „Sonne auf halbem Weg. Die Istanbul-Berlin-Trilogie“ (Kiepenheuer und Witsch, 2006) sowie der Erzählband „Mutterzunge (neu aufgelegt bei Suhrkamp, 2022) empfohlen. Und natürlich die Lesung bei Literatur Lana.

Die Krähen schrien draußen auf den Dächern: „Wenn du gehst, werden die Liebesquellen austrocknen. […] In den fremden Gassen, vor den fremden Wörtern ohne Kindheit wirst du dich schämen, denn in einer fremden Sprache haben Wörter keine Kindheit.“ […]
„Sind denn die Gegangenen alle krank vor Scham, schamkrank, mit blassen Wangen, werden sie sich schämen bis ins Grab?“, fragte ich mich mit noch an die Wand gelehntem Kopf. Die Krähen sagten: „Ja, die Gegangenen werden sich schämen bis ins Grab. Sogar die Hiergebliebenen schämen sich für die, die nach Europa gegangen sind. […] Plötzlich schreibt   Europa unsere reduzierte Geschichte.“

Ich sagte: „Ich mach die Geschichte wieder groß, ich werde dort Schauspielerin.“

[Auszug aus „Ein von Schatten begrenzter Raum“, S. 56–57]

 Fotos: (1, 2) Ein von Schatten begrenzter Raum, Emine Sevgi Özdamar, Cover Detail, Cover (c) Suhrkamp Verlag (3) Emine Oezdamar (c) Tulya Madra.

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