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April 10, 2024

Unter Tieren. Das neue Buch von Maxi Obexer

Verena Spechtenhauser

Dass Jakob besoffen war, als er kam, um sie [die Sau] zu töten, dass er die Heugabel nach ihr warf, dass er ihr torkelnd hinterherfluchte; dass sie nicht mehr sahen, wen sie vor sich hatten. Es stank nach Verrat, der ganze Hof stank danach, bis zur Brücke, auf der sie zurückgelassen worden war, im Blut und im Dreck. Und ich. 

[Auszug aus „Unter Tieren“, S. 140, Maxi Obexer]

Nach der Buch-Premiere im Literarischen Colloquium Berlin in der vergangenen Woche stellt die Schriftstellerin und Theaterautorin Maxi Obexer am Mittwoch, 10. April 2024 um 20 Uhr ihren jüngsten Roman „Unter Tieren“ (erschienen 2024 im Verlag Weissbooks) in der Landesbibliothek Tessmann in Bozen vor. Wir haben uns vorab mit ihr über das oftmals widersprüchliche Miteinander von Tier und Mensch unterhalten.

In deinem neuesten Roman „Unter Tieren“ stellst du die Beziehung zwischen Tier und Mensch im alpin-bäuerlichen Umfeld in den Mittelpunkt. Du beschreibst dabei sowohl harmonische, fast liebevolle Szenen zwischen Mensch und Tier als auch explizite Gewalttaten, die Menschen an Tieren verüben. Warum hast du dich für diese „Darstellung in aller Deutlichkeit“ entschieden?  

Ich folge meinen Erfahrungen und Beobachtungen und möchte einen Winkel öffnen für das, was Tiere uns geben, eine Wahrnehmung für die Tiere selbst, die sich auf uns eingelassen haben. Die im Zusammenspiel mit uns geworden sind, was sie sind, Tiere, die mit uns in einer etwa zwölftausendjährigen Ko-Existenz leben. Bei Hunden sprechen Verhaltensforscher sogar von einer Ko-Evolution, die seit siebzehn Tausend Jahren besteht. Tiere kennen uns, sie sehen uns, sie erinnern uns an uns. Sie wissen, wer wir sind, sie sind, wie wir auch, Lebewesen und soziale Wesen. Zur Geschichte dieser gemeinsamen Existenz gehört auch die einer menschlichen Zivilisierung, in der die Verbindungen zu den Tieren radikal durchtrennt wurden. Einer der Gründe für eine Praxis der Gewalt, die daherkommt, als wäre sie ganz selbstverständlich, ganz „natürlich“. Diese Normalität breche ich auf, indem ich die Fähigkeiten der Tiere herauslöse und sichtbar mache.Maxi Obexer Unter Tieren Weissbooks Cover_Du hast dich bereits in früheren Arbeiten intensiv mit der oftmals ambivalenten Beziehung zwischen Tier und Mensch beschäftigt, so etwa unter anderem im Essay „Über Tiere schreiben – Über Tiere sprechen“ sowie im philosophischen Hörspiel „Mit Tieren gehen“. Was verdankst du selbst den Tieren?

Was wir gerne „ambivalent“ oder „widersprüchlich“ nennen, ist in meinen Augen ein Verrat an Lebewesen, die uns vertrauen. Und ich hoffe, dass wir immer besser verstehen, welche Bedeutung Tiere haben, und welche Fähigkeiten sie mitbringen.
Ich persönlich bin dankbar, dass ich mit Tieren aufwachsen konnte; ihre Sorge umeinander, ihre Zartheit und Zärtlichkeit, ihr Spiel – und im Spiel zu lernen, die Schönheit, mit ihnen in der Welt zu sein, alles, was ich auch Menschen verdanke. Allein schon, ihnen zuzusehen, machte mich – und nicht nur mich, glücklich.

Zu Beginn des oben genannten Essays schreibst du „Ich fühle mich dem Thema verpflichtet, als würde ich ein Versprechen einlösen, das ich gab, als ich ging und die Landschaft verließ, in der ich mit Tieren aufgewachsen bin.“  Auch die Protagonistin Agnes verlässt, wie zuvor schon ihre Mutter Anni, das Dorf, um den engen bäuerlich-patriarchalen Strukturen zu entkommen. Wieviel Maxi steckt in deinen Protagonistinnen? 

Klar spielt mein Aufwachsen hinein und macht es überhaupt möglich, einen solchen Roman zu schreiben. Meine Beobachtungen von klein auf, die Abläufe mit den Tieren, die beidseitigen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Und etwas, das mich von klein auf beschäftigte: Ich sah die Nähe zueinander, sah, wie die fiebrigen Beine der Sau mit Essigbandagen umwickelt wurden, sah zum ersten Mal einen Bauern weinen, als ihm sein Fohlen wegstarb. Ich sah, wie sie sich zu den Tieren schlichen, um sich bei den Tieren Trost zu holen – nicht nur Kinder.
Und ich sah das Töten, aber vor allem, dass plötzlich so getan wurde, als wäre da nie eine Beziehung gewesen, hat mich verstört. Es war ein Verrat, der mich schon als Kind schockiert hat. Die Protagonistin im Roman geht auf die Suche nach den Ursachen. Es gibt nicht nur das bäuerlich-patriarchale Umfeld, es gibt auch philosophische Prämissen, die das Tier zur Maschine erklärten. Als Nietzsche das geschundene Pferd in Turin umarmt, wird er in die Nervenheilanstalt eingewiesen. Seither wird gefragt: Mit wem hatte Nietzsche Mitleid?
Meine Protagonistin fragt zurück: Wie kam es, dass die anderen keines hatten, auf einem Marktplatz voller Menschen. Wie kam es zur Mitleidslosigkeit?
Auch in der Bibel gibt es das Gebot: Mach dir die Erde untertan. Es gibt also eine Zivilisierung, eine Praxis der Gewalt, die vollkommen normal und legitim erscheint. Das ist mein Thema. Angesichts von Lebewesen, die uns vertrauen. Lebewesen, die wir natürlich auch selbst sind.

Theres, eine deiner Figuren im Roman sagt über das Konstrukt Landleben folgendes „Man wollte erziehen, oder zähmen, das kommt aufs Gleiche raus. Alles musste gezähmt werden. Oder wenigstens abgehalten werden von seinem eigenen Willen. Tiere, Kinder, Frauen. Wer danach noch ganz blieb, war mindestens zweigeteilt. In jedem Fall aber selbst schuld. Da bleibt dir noch das Gehen. Oder das Bleiben. Und so tun, als wär nichts gewesen.“  Ich habe mich beim Lesen immer wieder gefragt: Wer ist stärker? Die, die bleibt und akzeptiert (wie Antonia), oder die, die geht, aber nicht vergisst (wie Anni oder Agnes) …

Gute Frage! Es sind meines Erachtens alles starke Frauen, die ihren eigenen Weg finden. Theres ist diejenige, die ihr Auskommen hat mit den paar Tieren, die die längste Zeit auf der Alm verbringt. Wie die Landschaft sammelt sie die Geschichten, die manche nur dort oben erzählen können. Annie – das Dorfflittchen, und Agnes, die Philosophie studiert, sind die beiden Figuren, die es davontreibt und die neue (einsame) Wege finden müssen. Beide sind sie verletzt, beide wissen sie um das Besondere ihrer Herkunft, wissen um die Schönheit, mit Tieren in der Welt zu sein, erleben den Schmerz, den Verlust. Antonia ist auf ihre Weise den Tieren verhaftet, auch den bäuerlichen und landwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, sie lässt sich in die Enge treiben. Am Ende sind es die Tiere, die ihr die letzte Ehre erweisen.maxi obexer (c) Nane DiehlSowohl in deinem Roman als auch in deinem bereits erwähnten Essay ziehst du eine Verbindung zwischen der Unterdrückung von (Haus)-Frauen und der Unterdrückung von (Haus)-Tieren durch den Mann. Du schreibst etwa: […] „In der schnöden Reduzierung auf eine Funktion verrät sich ein weiteres ungleiches Verhältnis: Haustiere und Hausfrauen wurden ‚gehalten´.“  Für mich ein neuer, spannender Gedanke. Wie kommst du darauf?

Es sind Herrschaftssysteme, die uns prägten. Es ist noch nicht so lange her, dass Frauen dem Mann untergeordnet waren – ebenso wie die Kinder. Es gab einen Willen, ein Subjekt, und nicht etwa zwei, die sich anblicken, die aufeinander eingehen, die sich gegenseitig anpassen.
Wir brauchten lange, um sie zu durchschauen, um uns als Frauen, als Kinder davon zu befreien. Heute ist es nicht mehr legitim, Gewalt anzuwenden. Bei Tieren ist es zum Teil noch immer möglich. 

Siehst du deinen Roman in der Tradition von Werken wie „Anständig essen. Ein Selbstversuch“ (Karen Duve) oder „Tiere essen“ (Jonathan Safran Foer)?

Einerseits natürlich ja. Die Debatte darüber, ob wir Tiere essen sollen oder nicht, ist prägend. Andererseits lenke ich die Wahrnehmung woandershin, denn es ist für mich ein Totschlagdiskurs und führt leicht dazu, dass zwar im Sinne der Tiere argumentiert wird, aber doch auch über sie hinweggesehen wird. Für mich beginnt die Gewalt nicht erst beim Töten, sondern bereits dann, wenn eine bestehende Beziehung geleugnet wird. Haustiere stehen in einer Verabredung mit uns, spätestens seit wir sesshaft sind, sie blicken zurück, sie vertrauen uns, sie hören nicht auf damit, uns zu vertrauen, und erinnern uns an diese Verabredung. Die Gewalt beginnt für mich am Verrat. Die Frage: „Warum kam zur Hand, die tötet, nicht auch eine, die tröstet, das Tier, aber auch sich, den Menschen“, zieht sich durch den Roman.

Du lebst schon seit vielen Jahren im Ausland. Immer wieder siedelst du deine Werke aber auch im alpinen Raum an. In der Brixner Dekadenz läuft etwa gerade bis 21. April dein Theaterstück „Gletscher“ unter der Regie von Elke Hartmann. Was verbindet dich noch, was trennt dich mittlerweile von Südtirol?

Ich bin hier aufgewachsen, bin hier sozialisiert, die Menschen, die Sprache, das Dorf, die Landschaft, die Berge, der Wald, die Almen, die Jahreszeiten, die Gerüche – all das ist mir sehr vertraut und hat nie abgerissen, wie könnte es auch? Es sind meine frühesten Prägungen.

Fotos: (1, 2) Maxi Obexer, Unter Tieren (c) Weissbooks; (3) Maxi Obexer (c) Nane Diehl

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