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July 16, 2012

C’era una volta in Anatolia: Ein schöner Film

Renate Mumelter

Note 9+

„C’era una volta in Anatolia“ hat es in sich. Der Titel ist zwar eine Hommàge an Sergio Leone, ein Western im klassischen Sinn ist „Once Upon A Time In Anatolia“ aber nicht, obwohl der Film von einer Männergesellschaft erzählt. Teil eins spielt in der Nacht: Der Blick verliert sich in den Weiten des anatolischen Hochlands, bis das Blätterrauschen des einzigen Baums den Blick auf sich zieht. Ceylan erzählt beeindruckend präzise durch Geräusche, lenkt Blick und Aufmerksamkeit über das Gehör und kommt ganz ohne Musik aus. Sehr schön. Im Nachtbild tauchen Lichter auf, die Scheinwerfer dreier Autos. In den Autos sitzen Polizisten, zwei Gefangene, ein Staatsanwalt und ein Gerichtsmediziner. Sie suchen einen Leichnam. Bis in den Morgen kurven sie von Baum zu Baum, von Brunnen zu Brunnen, von Acker zu Acker. Aus Gesprächen über Belanglosigkeiten wie Yoghurt oder Prostata, schälen sich ihre Geschichten, ihre Schicksale heraus. Wie das manchmal so ist unter Männern. Nur zwei Frauen sind in den 150 Minuten zu sehen: die schöne Tochter eines Bürgermeisters, die als bewundernswerte weibliche Ikone im Licht der Nacht erscheint und sich in den Blicken der Männer spiegelt, und die Witwe des Toten kurz vor der Autopsie des Ermordeten. Diese Autopsie steht am Ende des Films und ist eines seiner Filetstücke. Während die medizinische Hilfskraft den Leichnam aufschneidet und ausweidet, diktiert der Gerichtsmediziner dem Stenotypisten die Vorgänge in den Laptop. Zu sehen sind nur die Gesichter, der beeindruckende Rest spielt sich auf der Tonspur ab. Ceylan ist ein großartiger Erzähler. Nicht nur der Ton erzählt, auch die wunderbar ausgeleuchteten Bilder und die hervorragenden Darsteller. „Bir Zamanlar Anadolu’da” schaut auf das Leben und auf den Tod, auf das, was einer  hinterlässt oder auch nicht. Am Ende übernimmt wieder die Tonspur die Regie: Unter die Schlusstitel mischen sich Autopsiegeräusche zum lebensfrohen Rufen Ball spielender Kinder. So hört sich Leben an.

Bir zamanlar Anadolu’da, (TR, 2011), 150 Min., Regie: Nuri Bilge Ceylan, Kamera: Gökhan Tiryaki, mit: Ercan Kesal, Firat Tanis, Ahmet Mumtaz Taylan. Bewertung: Lang, aber einer der schönsten Filme des Jahres.

Erschienen in der Südtiroler Tageszeitung am 14./15.7.2012

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