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November 20, 2024
… von Emotionen und Konzentration durch die Geschichte getragen … Roman Blumenschein im Gespräch
Verena Spechtenhauser
Die Lektüre von Robert Seethalers 2014 bei Hanser erschienenen Buchs „Ein ganzes Leben“ hat mich nachträglich beeindruckt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sehr es mich damals berührt und gleichzeitig fasziniert hat, mit welcher Stille und Einfachheit der Wiener Autor die erschütternde Lebensgeschichte des Waisen Andreas Egger auf knapp 200 Seiten schildert. „Kein einziges Wort zu viel“, habe ich mir damals mit Bleistift als Notiz an den Rand einer Buchseite geschrieben und auch „Wie demütig kann ein Mensch seinem Schicksal begegnen?“.
Für mich ist „Ein ganzes Leben“ bis heute das beste Buch von Seethaler, vielleicht auch, weil ich die Geschichte von Andreas Egger beim Lesen unbewusst immer in Südtirol verortet habe. Denn ähnliche Schicksale kenne ich vom Hörensagen auch aus meinem Umfeld. Umso mehr hat es mich gefreut, als Regisseur und VBB-Intendant Rudolf Frey zehn Jahre nach Erscheinen, den Roman nun auf die VBB-Theaterbühne nach Bozen geholt hat. Die Premiere des Stücks, bei dem der österreichische Schauspieler, Sprecher und Regisseur Roman Blumenschein als Solo-Darsteller auf der Bühne stand, fand im April 2024 statt und wurde vom Publikum so gut aufgenommen, dass sich die Vereinigten Bühnen Bozen nun dazu entschlossen haben, das Stück ab dem 22. November 2024 wiederaufzuführen und aus Bozen hinaus zu tragen. Mit Andreas-Egger-Darsteller Roman Blumenschein durfte ich aus diesem Anlass vorab über das Stück sprechen. Danke für deine Zeit, Roman.
Roman, die Wiederaufnahme eines Stücks ist ja immer auch ein Lob des Publikums an die Produktion. Was glaubst du macht bei „Ein ganzes Leben“ diesen Erfolg aus?
Der Vorschlag „Ein ganzes Leben“ von Robert Seethaler auf die VBB-Theaterbühne zu bringen, kam ja von VBB-Intendant Rudolf Frey selbst, für den der Roman seit langem eine besondere Bedeutung hat. Er hatte auch die Idee, das Stück nicht auf die herkömmliche Art und Weise zu inszenieren, sondern als Versuchsanordnung kollektiv zu erarbeiten. Es gab also von Anfang an keine klassische Regie, sondern ein Vierer-Team, bestehend aus Rudolf Frey, Dramaturg Daniel Theuring, Ausstatterin Ayşe Gülsüm Özel und mir auf der Bühne. Gemeinsam haben wir den Roman für die Bühne adaptiert, was eine sehr bereichernde Erfahrung war. Diese spezielle Herangehensweise an den Text ist für mich das Besondere an diesem Stück und ich denke, damit konnten wir auch die Zuschauer*innen überzeugen.Wie hat das Publikum auf euer Stück reagiert?
Bei den Vorstellungen war eine wahnsinnige Konzentration von Seiten des Publikums zu spüren. Die Zuschauer*innen erwartet bei „Ein ganzes Leben“ ja kein spektakulärer Abend, das würde der Geschichte rund um Andreas Egger auch nicht gerecht werden. Es ist vielmehr ein sehr feiner Abend und das erfordert auch, dass sich das Publikum darauf einlassen kann. Dass das passiert ist, konnte ich während der Aufführungen immer wieder spüren. Man bekommt als Spieler auf der Bühne ja wirklich alle Emotionen, die im Publikum herrschen, ungefiltert mit. Und genau diese Emotionen, diese unglaubliche Konzentration haben mich bei „Ein ganzes Leben“ jeden Abend aufs Neue durch die Geschichte getragen.
Wie genau verwandelt man einen so unaufgeregten Text, wie es „Ein ganzes Leben“ ist, in einen bühnentauglichen Text, der das Publikum über eine längere Zeit so gefesselt hält?
Die Adaptierung eines Textes ist immer eine spannende Herausforderung, bei der mehrere Faktoren zu berücksichtigen sind. Wir haben uns etwa die Frage nach der Sinnlichkeit im Text gestellt und wie sich diese auf der Bühne erzeugen lässt, ohne sie „nur“ zu erzählen. Wichtig war aber auch die Entscheidung den Handlungsplot so zu reduzieren, dass er für das Publikum trotz allem nachvollziehbar ist und wir gleichzeitig auch der Geschichte treu bleiben konnten. Und natürlich hilft es ungemein, wenn der Roman, wie in diesem Fall, spannende Charaktere und direkte Reden aufzuweisen hat, aus denen wir tolle Monologe für die Bühne basteln konnten. Robert Seethaler und auch sein Verlag haben uns diesbezüglich übrigens komplett freie Hand gelassen, auch weil Seethaler sich nicht in die Bearbeitungen seiner Texte für Theater oder Kino einmischen will. Das ist eine außergewöhnliche Haltung gegenüber dem eigenen Werk, das nicht viele Autor*innen so vertreten.Du stehst als Andreas Egger das gesamte Stück über alleine auf der Bühne. Wie hast du dich in den Charakter eingearbeitet?
Die Kraft, die Andreas Egger aus der Natur schöpft, ist mir durchaus vertraut. Damit konnte ich mich von Anfang an identifizieren. Spannend war es für mich, jene Charakterzüge herauszuarbeiten, die mir fremd sind. Im Fall von Egger sind es eine gewisse Art der Zurückgezogenheit und des Alleinseins seiner Person. Das fängt bei ihm schon als ganz kleines Kind an, nämlich als er mit vier Jahren nach dem Tod seiner Mutter von Wien auf dem Bauernhof zu seinem gewalttätigen Onkel kommt. Es hat mich sehr berührt, wie Egger es schafft, die fehlende Zärtlichkeit und Geborgenheit, die jeder Mensch zum Leben braucht, aus Details, wie etwa dem Licht des Mondes zu ziehen. Diesen Raum, den Andreas Egger aus dem Leid des Missbrauchs heraus schon als Kind für sich erschafft und in dem er sich auch wohl und sicher fühlt, auf die Bühne zu bringen, war wohl die eigentliche Herausforderung.
Wie konntet ihr genau diese Feinheiten auf die Bühne transportieren?
Indem wir etwa versucht haben, das Stück in einem so intimen Rahmen wie möglich stattfinden zu lassen, um dadurch nahe am Publikum zu sein. Außerdem haben wir uns sehr viel auf die Erzählung verlassen. Es gibt immer wieder Spielmomente, in denen ich in die verschiedenen Charaktere hineinschlüpfe, die Grenzen zwischen Erzähler und Figur verschwimmen ständig miteinander. Darüber hinaus mache ich sehr viele der Sounds mithilfe von Loopstation und Synthesizer, aber auch Gegenständen und Requisiten selbst. Das ist eine musikalische Basis, die im Laufe der Aufführung den Raum weiter öffnet. Auch das Licht, das bis fast zum Schluss wahnsinnig reduziert ist, steuere ich selbst. Unsere Idee war die eines Performers, der sich auf der Bühne einnistet. Das mag auf den ersten Blick für das Publikum chaotisch wirken, hat aber alles seine Berechtigung.
Ihr geht mit dem Stück nun auch in das ländliche Südtirol hinaus. Was glaubst du erwartet euch dort?
Ich spiele schon seit 2013, mit kurzen Unterbrechungen, fast jeden Winter an den Vereinigten Bühnen Bozen. Das Publikum in den Südtiroler Tälern kenne ich jedoch noch nicht. Sich auf ein neues Publikum einzulassen gehört aber genauso zur Arbeit eines Theaterschauspielers wie der Umgang mit anderen Spielräumen. Beides macht unsere Arbeit noch spannender, als sie bereits ist. Mit unserem Bühnenkonzept ist diese Flexibilität aber auch gegeben. Ich freue mich also sehr auf die kommenden Vorstellungen.Service-Hinweis: Von 22. bis 30. November 2024 finden Vorstellungen in Naturns, Burgeis, Kaltern, Bozen und Gossensaß statt. Die genauen Termine und Uhrzeiten findet ihr auf der Homepage der VBB, wo ihr euch auch die Tickets besorgen könnt.
Übrigens tourt Roman Blumenschein gerade mit seinem Theatersolo „Morgen ist leider auch noch ein Tag“, in dem er das Thema Depression behandelt, äußerst erfolgreich durch Schulen im deutschsprachigen Raum. Mehr Infos zum Stück findet ihr auf seiner Homepage. Ich fände es toll, wenn dieses Stück auch zu uns nach Südtirol kommen würde …
Gönnt euch Theater, Leute!
Fotos: (1, 2) Ein ganzes Leben, VBB, Roman Blumenschein © Anna Cerrato; (3) Ein ganzes Leben, VBB, Roman Blumenschein © Marco Sommer
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