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September 30, 2024

„This Space Is Too Small For Our Bodies“ – Robert Gabris’ queere Körper

Andreas Heiler
New Narratives: Junge Kunst im Aufbruch. Junge Künstler*innen, die sich abseits gewohnter Pfade und jenseits von Konventionen bewegen, um in den verborgenen Winkeln des Sichtbaren neue Welten zu erschaffen, stehen im Mittelpunkt dieser Portraitserie. In ihren Werken geht es um Vielfalt, queere Lebenswelten und persönliche Geschichten, die oft im Verborgenen bleiben. Was treibt sie an? Wie überwinden sie Widerstände? Die Interviews geben tiefe Einblicke in ihre Welt und zeigen, wie ihre Kunst nicht nur Ausdruck ihrer Identität ist, sondern auch Impulsgeber für Veränderung und neue Perspektiven.

 

Robert Gabris greift genau dann zum Zeichenstift, wenn sich die Welt in ihrer Komplexität erschöpft und gesellschaftliche Strukturen ins Wanken geraten, und erschafft dabei eigene Bildwelten. Geboren 1986 in Hnúšťa, einer kleinen Stadt in der Slowakei, fand Robert in Wien seine künstlerische Heimat. Aufgewachsen in der Gemeinschaft der Roma, einer der am stärksten marginalisierten ethnischen Gruppen Europas, kanalisiert er persönliche und kollektive Erfahrungen, um Mechanismen der Ausgrenzung sichtbar zu machen.

Seine präzise ausgearbeiteten Zeichnungen, poetischen Prosagedichte und skulpturalen Objekte stellen den Körper in den Mittelpunkt – nicht als den angepassten Körper der zeitgenössischen Mehrheitsgesellschaft, sondern als queeren, trans- und nichtbinären Körper, der häufig von gesellschaftlichen Strukturen ausgeschlossen wird. In Roberts Arbeiten geht es darum, wie Körper geformt und gleichzeitig marginalisiert werden. Mit einer postkolonialen Kritik hinterfragt er institutionelle Strukturen, benennt Leerstellen und Ausschlussmechanismen im Kunstbetrieb und strebt nach inklusiven, sensiblen Räumen. Dies brachte Robert eindrucksvoll in seiner Einzelausstellung „This Space Is Too Small For Our Bodies“ zum Ausdruck, die ihm nach der Verleihung des Belvedere Art Award 2022 ermöglicht wurde.

Sensibel und doch eindringlich wie seine Kunst war auch unser Gespräch. Wir hören zu: 

Robert, deine Arbeiten sind tief in einer kritischen Perspektive auf die Gesellschaft und ihre Strukturen verwurzelt. Was hat dich in letzter Zeit am meisten beschäftigt, heute oder gestern?

Meine Gedanken kreisen ständig um die globalen Ereignisse und ich versuche, ihre Komplexität zu erfassen. Das Tempo der politischen Entwicklungen auf der ganzen Welt ist überwältigend und ich versuche, damit Schritt zu halten. Außerdem bereite ich mich auf die kommende Biennale in Lyon vor, die am 20. September 2024 eröffnet wird, und plane Ausstellungen für das nächste Jahr. In meiner restlichen Zeit beschäftige ich mich mit theoretischen Fragen und lese derzeit Frantz Fanons Black Skin, White Masks, Sara Ahmeds Queer Use, What’s the Use und Legacy Russells Black Meme.2SpaceIsTooSMallForOurBodiesPhotoJohanesStoll2023Du wurdest kürzlich mit dem Belvedere Art Award ausgezeichnet, der mit einer Einzelausstellung im Belvedere 21 verbunden ist. In deiner Arbeit beschäftigst du dich intensiv mit queeren Körpern und Identitäten. Kannst du uns mehr über den Titel der Ausstellung „This Space Is Too Small For Our Bodies“ erzählen?

„This Space Is Too Small For Our Bodies“ befasst sich mit dem Kampf von queeren Körpern in Räumen, die von einer rassistischen, patriarchalen Architektur geprägt sind. Trotz der Behauptung von Inklusion und Vielfalt bleiben die Institutionen oft patriarchal und nutzen die Vielfalt als Kapital aus. Echte Vielfalt beschränkt sich auf einige wenige Alibifunktionen, während die gelebte Vielfalt asymmetrisch und unhaltbar ist. Ich setze mich für eine faire Zusammenarbeit ein, bei der diejenigen, die vom Dialog ausgeschlossen sind, eine Stimme haben. Kunsträume müssen über oberflächliche Gesten der Inklusivität hinausgehen und die Macht wirklich teilen. Wir brauchen nachhaltige, barrierefreie Räume mit kollektiver Führung, in denen Fürsorge und Ökologie im Vordergrund stehen. Es wird Zeit, die Festungen der Kunstinstitutionen zu durchbrechen und gemeinsam neue, inklusive Räume zu schaffen. 

In dieser Ausstellung ist auch deine Arbeit „ERROR – ROMA CORPOREALITY AND THEIR NON-BINARY SPACES“ zu sehen, in der du die Schichten der Marginalisierung innerhalb der Roma-Gemeinschaft untersuchst. Kannst du uns sagen, was es für dich persönlich bedeutet, diese Identitäten durch deine Kunst zu repräsentieren und zu erforschen?

Das Ziel ist es, sinnvolle Diskussionen über offene Perspektiven für die Zukunft zu fördern und Strategien für ein gemeinsames Verständnis in barrierefreien Räumen zu entwerfen. Dieser Ansatz hat sich in meiner künstlerischen Praxis als sehr wertvoll erwiesen. Meine Sicht auf die Welt ist in der kollektiven Arbeit verwurzelt, die wir gemeinsam schaffen und erhalten. Indem wir uns zusammenschließen, bewahren wir unsere Gemeinschaft und widerstehen der globalen Welle der Gewalt gegen uns. Ich bringe dieses Wissen mit vollem Einsatz in meine Arbeit ein, und wir teilen die dabei gewonnenen Ressourcen. So arbeiten wir: Mit den Mitteln, die uns allen gehören, bemühen wir uns, die stigmatisierende Wahrnehmung von uns selbst, unserer Geschichte und unserer Gegenwart zu verändern, denn ohne diese Veränderung können wir die Zukunft nicht frei gestalten.Errord15_Fridericianum_Installation_Robert_Gabris_©_documenta_15_Nicolas_Wefers_ Errord15_Fridericianum_Installation_Robert_Gabris_©_documenta_15_Nicolas_Wefers_ 3 Errord15_Fridericianum_Installation_Robert_Gabris_©_documenta_15_Nicolas_Wefers_ 10 Errord15_Fridericianum_Installation_Robert_Gabris_©_documenta_15_Nicolas_Wefers_ 11Siehst du die Abgeschiedenheit der alpinen Landschaft als einen Raum für die Entwicklung und Erforschung bestimmter Subkulturen oder Randgruppen? Gibt es Aspekte der Berglandschaft, die dich an dein Heimatland erinnern?

Ich bin vorsichtig damit, die soziopolitischen und kulturellen Diskurse über Berglandschaften zu verallgemeinern oder zu homogenisieren. Jede Landschaft ist einzigartig, auch wenn mir Begriffe wie „Abgeschiedenheit“ oder „Isolation“ in den Sinn kommen. Ich glaube, dass jede Landschaft von ihren spezifischen politischen und wirtschaftlichen Kontexten geprägt ist. Die Abgeschiedenheit der Roma-Siedlungen in der Slowakei – meinem Heimatland – hat zum Beispiel ihre Wurzeln in einem ganz anderen historischen Kontext. Nach dem „Porajmos“ (Holocaust an den Roma) wurden die Wiedergutmachungsmaßnahmen für die Roma in der Slowakei und in Österreich unterschiedlich gehandhabt, was zu erheblichen Unterschieden bei der absoluten Armut in den beiden Regionen führte. Absolute Armut ist nur eine der vielen wirtschaftlichen Herausforderungen, mit denen die Menschen in den Bergregionen meines Landes konfrontiert sind, die weit entfernt von Infrastruktur und Dienstleistungen leben. Kulturell sind diese Gebiete reich, aber sie mussten viel länger um ihre Anerkennung in der Slowakei kämpfen.

Im Jahr 2025 wird in Südtirol die erste Pride Parade stattfinden, ein Zeichen dafür, dass queere Körper und Identitäten hier mehr Raum und Sichtbarkeit erlangen. In deiner Kunst kritisierst du die physischen und symbolischen Barrieren, die bestimmte Körper von den gesellschaftlichen Strukturen ausschließen. Was sind diese Barrieren und wie können sie deiner Meinung nach überwunden werden?

Es ist großartig und wichtig, dass überall Paraden stattfinden, denn Sichtbarkeit und Anerkennung verschiedener Identitäten sind wichtig. Aber wir müssen ehrlich sein und zugeben, dass diese Anlässe in erster Linie für „unsere eigenen Leute“ sind. Die „Anderen“ sind selten anwesend, weil sie noch mit anderen unterdrückerischen Strukturen zu kämpfen haben. Die queere Gesellschaft in Österreich ist überwiegend weiß, konservativ und nicht wirklich offen; Vielfalt geht nur so weit, wie die Menschen sich wohl fühlen. Das wird deutlich, wenn die Feier zu Ende ist – normalerweise am Tag nach der Parade. Transsexuelle, nicht-binäre und nicht-weiße Menschen werden in dieser Gemeinschaft oft noch immer stigmatisiert, da sie nicht vollständig akzeptiert werden. Rassismus und Hass haben nichts mit unserer Orientierung oder Vorliebe zu tun, sondern mit der Sozialisation und den politischen Dogmen, die uns prägen.

Was muss deiner Meinung nach passieren, damit Kunstinstitutionen wirklich inklusive Räume schaffen?

Um diese Frage gründlich zu beantworten, bräuchte ich mehrere Seiten, denn eine kurze Antwort würde nicht alle Nuancen erfassen. Ich habe mich von Anfang an mit diesem Thema auseinandergesetzt und meinen Ansatz auf jede Institution, mit der ich arbeite, zugeschnitten. Hier sind nur ein paar wichtige Punkte: #Ressourcenumverteilen, #PatriarchaleStrukturenabbauen, #Raumfürandereschaffen, #WiderstandgegenKommodifizierungvonUnterschieden. 

Deine Werke scheuen nicht davor zurück, politische Themen direkt anzusprechen. Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die Kunst in politischen Kämpfen, insbesondere wenn es um die Sichtbarkeit und die Rechte von Randgruppen geht?

Kunst beeinflusst ganze Gesellschaften; sie kann Begeisterung auslösen und verschiedene Richtungen des Diskurses vorantreiben. In meinem Heimatland, der Slowakei, werden Kunst- und Kultureinrichtungen von der autokratischen, rechten Politik oft gedemütigt, beleidigt, behindert oder sogar geschlossen. Diese Art der Ausgrenzung verdeutlicht perfekt die Macht der Kunst. Sie ist kritisch und widersteht der unterdrückerischen Politik auf das Schärfste. Kunst ist eine neue Sprache für marginalisierte Gruppen und ermöglicht es ihnen, sich auszudrücken, wenn die herkömmliche Sprache nicht ausreicht. Sie verbindet emotionale Tiefe mit Rationalität und bietet eine Ausdrucksform, die uns befreit. Durch nuancierte Kommunikationsformen ermöglicht es uns die Kunst, Konflikte mit größerer Sensibilität und Präzision anzugehen.3-4GardenOfCatastrophy_RobertGabrisPhotoByArtis 1-2GardenOfCatastrophy_RobertGabrisPhotoByArtisIn deinem Werk „Insectopia“, das bis vor Kurzem in der Mumok-Ausstellung „Avantgarde und Befreiung“ zu sehen war, reagierst du auf die Zuschreibungen und Einschränkungen, denen ein*e queere* Roma-Künstler*in in einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft ausgesetzt ist. Deine Verwandlung in ein Insekt in den Zeichnungen und Performances ist eine Form des Widerstands gegen die soziale und institutionelle Gewalt der Kategorisierung. Wie hilft dir diese Verwandlung, Konzepte von Identität und Selbstbestimmung neu zu definieren und dich gegen die starren Normen der Gesellschaft zu behaupten?

Dieses Projekt entstand als Reaktion für ein bestimmtes ethnologisches Museum in Köln für die Ausstellung „Resist! Kunst ist Widerstand“ in Deutschland. Mit meiner Arbeit „Insectopia“ kritisierte ich das Konzept, uns, marginalisierte, ratifizierte Gruppen, getrennt voneinander auszustellen und so verschiedene Ethnien in einem sehr kolonialen Konzept zu präsentieren. Die Verwandlung in ein Insekt half mir, diese sehr komplexe Auseinandersetzung mit einem Museum zu diskutieren. Dieses Projekt hat mir viele Türen zur Diskussion über die „radikalen Museologien“ geöffnet. Dieser Diskurs geht über die vorübergehende Ausbeutung und Kommerzialisierung des „Othering“ hinaus und befasst sich mit der historischen Kontextualisierung von institutionellem Rassismus und imperialistischen Paradigmen innerhalb dieser Institutionen. Der Titel „Resist! Art is Resistance“ kann auch als ‚Widerstand gegen ethnologische Museologien‘ übersetzt werden. Übrigens: Nach meinem künstlerischen Boykott mit „Insectopia“ schlug das Museum mir vor, meine Arbeit aus der Ausstellung zu entfernen. Hier habe ich dann begriffen, dass ich weiter an diesen Themen arbeiten und konkreter werden wollte. 

Du hast in verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet, was zweifelsohne einen starken Einfluss auf deine künstlerische Praxis hat. Wie beeinflussen die verschiedenen kulturellen und sozialen Umgebungen deine Arbeit?

Ich nutze verschiedene Orte und Artist-in-Residence-Programme als Räume, in denen ich meine Arbeit ausüben kann. Ich habe noch kein großes Atelier in Wien, diese Orte bieten mir mehr Platz für größere Arbeiten. Ich muss zugeben, dass mich diese Orte nicht sehr beeinflussen. Was mich mehr beeinflusst, sind die Museen, Ausstellungen und Bücher, die ich dort finde und lese. Ich treffe viele interessante Menschen, Kurator*innen und Theoretiker*innen, ich besuche Vorträge und andere kulturelle Veranstaltungen. Dann kehre ich in mein Atelier zurück und arbeite an meinen Serien, in Abgeschiedenheit und in Ruhe, so wie ich es mag. 

Welche Aspekte deiner Kindheit und Jugend haben deine künstlerische Vision beeinflusst? Gibt es bestimmte regionale Traditionen oder Erfahrungen, die in deine Arbeit eingeflossen sind?

Ich finde diese Frage sehr persönlich, deshalb werde ich mich bei meiner Antwort kurz fassen. Meine Kindheit und Jugend waren die prägendsten Aspekte meines Lebens, und ich bin immer noch dabei, sie zu verarbeiten. Sie prägen mein Denken, meine Gefühle und meine künstlerische Vision, und all das lasse ich in meine Arbeit einfließen. Konzepte wie Schönheit und Sicherheit, die ich in meinen jungen Jahren als unzureichend empfand, fordern mich weiterhin heraus. Ich benutze sie, um sie zu dekonstruieren und ihre wahre Bedeutung für mich zu erforschen, in der Hoffnung, dass ich irgendwann Klarheit finde.

Wie würdest du deine Kunst in einem Satz beschreiben?

Meine Zeichnungen schaffen Unruhe in einem dringenden Dialog, der dazu einlädt, anders über offene kollaborative Räume in kreativen Zusammenhängen nachzudenken.

Lass uns zum Schluss noch einen Blick auf deinen kreativen Alltag werfen: Wie sieht ein typischer Arbeitstag für dich aus, und welche Rituale oder Routinen helfen dir, dich auf deine Kunst zu konzentrieren?

Ich zeichne und lese jeden Tag, das ist meine Lieblingsbeschäftigung. Das Eintauchen in Bücher und Online-Vorlesungen ist mein liebstes Hobby. Wenn ich mich nach draußen begebe, fahre ich gerne mit meinem Partner Lukas Fahrrad. Er ist das Fundament meines Lebens; meine Liebe zu ihm ist grenzenlos und bringt eine Positivität mit sich, die ich noch nie zuvor gekannt habe. Wir haben einen Bauernhof in Niederösterreich, wo wir Obst und Gemüse anbauen. Dieser Zufluchtsort ist zu meinem Traumrefugium geworden und bietet mir Ruhe und Frieden, wenn mein Geist sich weigert, sich auszuruhen. Trotzdem nimmt meine Arbeit den größten Teil meiner Zeit in Anspruch, und ich lerne immer noch, diese besser mit meiner freien Zeit zu vereinbaren.1Asylum_aPoemOfUnrestRobert_Gabris_PhotoGregorHofbauer2Asylum_aPoemOfUnrestRobert_Gabris_PhotoGregorHofbauer3Asylum_aPoemOfUnrestRobert_Gabris_PhotoGregorHofbauer

Fotos: (1) Robert Gabris, Photo MichalBlecha; (2) This Space Is Too Small For Our Bodies, Robert Gabris, Photo Johanes Stoll, 2023; (3–6) Errord15, Fridericianum, Installation, Robert Gabris © documenta_15, Nicolas Wefers; (7–10) Garden Of Catastrophy, Robert Gabris,  Photo By Artist; (11–13) Asylum a Poem Of Unrest, Robert Gabris, Photo Gregor Hofbauer. 

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