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September 25, 2023

Ein Kunstwesen oder vom Wesen der Kunst: Sophia Mairer im Gespräch

Elisa Barison

Sophia Mairer (geboren 1989 in Innsbruck) lebt und arbeitet in Wien, wo sie an der Universität für angewandte Kunst sowohl Kunst und Kommunikative Praxis, als auch Design, Architektur und Environment für Kunstpädagogik und, last but not least, Malerei bei Henning Bohl, Johanna Kandl und Thomas Zipp studierte. Aktuell befindet sich die Künstlerin in Paris an der Cité internationale des arts in Residenz und vor kurzem wurde sie in Glurns im Namen der Länder Tirol und Südtirol mit dem renommierten Paul-Flora-Preis ausgezeichnet. Auch franz hatte schon Mal die Ehre, 2018, als Sophia für die Premierentage in Innsbruck Tentakuläres produziert hat …

Eigentlich muss ein Interview mit Sophia keineswegs mit derartigem name-dropping beginnen, da ihr Talent und ihre Arbeiten ganz für sich selbst sprechen. Von März bis Mai 2023 lief eine ihrer Einzelausstellungen im Kunstraum Schwaz unter dem Titel diggin’ und im Pressetext sowie auf der Website der Galerie zitiert Sophia folgenden Text, welchen ich ohne weiteren Kommentar in diesen Raum stellen möchte (Bilder der Ausstellung folgen).

In a field
I am the absence
of field. 

This is
always the case.
Wherever I am
I am what is missing. 

When I walk
I part the air
and always
the air moves in
to fill the spaces
where my body’s been. 

We all have reasons
for moving.
I move 
to keep things whole.(1) 

deeep_Sophia_MairerSiehst du in deiner Arbeit irgendeine Art von call to action für die Betrachtenden? 

Wenn man etwas betrachtet, ist man sozusagen schon in action. Ich finde, da passiert schon ziemlich viel. Mit dem Begriff aus dem Marketing, wo es um eine konkretere Handlungsanweisung geht, hat das weniger zu tun. Natürlich hoffe ich, dass meine Arbeit eine Wirkung hat, erstmal im verwirrenden, kognitiven und emotionalen Bereich, die kann aber sehr unterschiedlich sein und das ist das Schöne.8_ Untitled (WAP)_Sophia_MairerWelche Rolle spielt das Ready-made in deiner Praxis? 

Das Ready-made erfreut mich immer, weil es erstmal ein Objekt ist, das mir auffällt, eine Entdeckung. Die Arbeit mit Gefundenem ist für mich besonders spielerisch, da Verschiebungen in der Bedeutung so einfach hergestellt werden können. Anfangs war es eher gefundenes Material, das jeweils inhaltlich gepasst hat und gleichzeitig eine praktische Funktion wie das Halten von Malerei hatte. Dafür ging ich zum Beispiel sehr gern auf den Schrottplatz, wo das Material meist einen spezielleren Charakter hat. Generell haben mich die Übergänge zwischen Malerei und Skulptur interessiert. Da ich mehr Übung beim Malen habe, kommen mir bereite Objekte sehr gelegen. Die Dinge, die ich sammle, haben meist einen, womöglich nicht naheliegenden, Bezug zu Themen die mich gerade interessieren, sprechen mich ästhetisch besonders an oder ich weiß mittlerweile aus Erfahrung, dass ich z. B. dessen Form irgendwann einmal brauchen könnte. Oft liegen die Dinge dann ewig im Atelier herum, bis ich weiß, was ich damit mache. Manchmal suche oder kaufe ich sie aber auch gezielt. Zum Beispiel für die Serie Close, die ein Jahr im Wald stand und sich stark auf die unmittelbare Umgebung bezog, suchte ich Objekte im direkten Umfeld, um daraus für eine Malerei im Türformat eine Art Zierleiste zu bauen, ähnlich Schnörkeln von Bauernhofstuben. Dabei wurden automatisch menschliche Spuren sichtbar, beispielsweise mit verlorenen Schlüsselanhängern. Mit mitgebrachten Objekten habe ich sozusagen noch etwas hinzugedichtet. Ich finde sehr spannend, wie sich objekt- und bildhaftes zueinander verhält, außerdem den Surrealismus, Wunderkammern, …  Zitate, Gesten oder Kopien haben auch etwas von einem Ready-made. Das interessiert mich vor allem in der Malerei, wo allein schon die Art des Malens einen neuen Kontext kreiert – wie ein jahrhundertelanges Gespräch.5_KunstraumSchwaz_SophiaMairer_056A1825Sind alle deine Arbeiten Wesen oder Körper? 

Über diese ontologische Frage könnten wir wahrscheinlich ewig sprechen. Jedenfalls ist die Materialität immer ein sehr wichtiger, sozusagen Gesprächspartner im Prozess und da haben wir schon das Wesenhafte, im Sinne der Art und Weise. Ein Blatt Papier ist ein Körper, dessen Eigenschaften ich in meinen Entscheidungen mitbedenke. Meine Arbeiten sind weniger Wesen, aber sie haben welche. Wohnt nicht allem potentiell ein Wesen inne? [lacht] Es tauchen auch immer wieder Wesen auf. „Ein Monster,“ was für ein Kompliment wäre das für eine, vielleicht sogar kleine, zarte, Arbeit. Ich könnte auch wieder an den Schrottplatz anknüpfen, wo ich dann vor sieben Jahren mein erstes Ready-made im ursprünglichen Sinne fand – die Smacks (Roxy, Kexy, Maxy, …), abgeschnittene Starkstromleiter, freigelegtes Kupfer, die mit ein paar Biegungen und Platzierungen wie „belebt“ durch den Ausstellungsraum „krabbeln“. Im besten Fall lädt sich durch sie der Ausstellungsraum auf – ein aufgeladener Raum wie eine aufgeladene Linie. Es geht also um die Frage der Lebendigkeit, die ja in der Malerei besonders stark verhandelt wurde, Leinwände als Quasi-Subjekte, wie Isabelle Graw es nannte. Auf irgendeine Weise spielt die Frage eigentlich immer eine Rolle in meiner Arbeit. Aber eben, wo hört man da auf, wie sieht man die Welt? gloriettes_Sophia_MairerBist du eher eine Geschichtenleserin oder eine Geschichtenerzählerin? 

Eher eine Leserin. Die Arbeiten haben manchmal auch etwas Narratives, aber nicht immer und selten linear.  

Wer Sophias Arbeiten in Bozen sehen möchte, hat noch bis 7. November 2023 die Chance ihnen in der Gruppenausstellung play escapes im Spazio Cut zu begegnen.

[1] Mark Strand, “Keeping Things Whole” from Selected Poems. Copyright © 1979, 1980 by Mark Strand, source: Selected Poems (Alfred A. Knopf, 2002).

Fotos: (1) Kiemen, Sophia Mairer, Installationsansicht, Pilot, Wien, 2020, © Sophia Mairer; (2) deeep © Sophia Mairer; (3) Untitled (WAP), Sophia Mairer, Tinte, Öl, Nagellack, Wassereffekte, Papiergewebe, Rocailles, Nylonfaden, Polymorph, Aquabeads, künstliche Feder, Kunststoff, PLA, 33 x 48 x 23 cm, 2021, © Sophia Mairer; (4) diggin’, Sophia Mairer, 2022, Öl, Tinte, Pigmente, Acryl auf Leinwand, 200 x 240 cm, Installationsansicht, Kunstraum Schwaz, Foto: Verena Nagl; (5) gloriettes, Sophia Mairer, © Sophia Mairer.

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