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August 4, 2023

Ein Sturm von Bildern im Sterzinger Multschermuseum

Elisa Barison

Wie stehen Sie eigentlich zur Tomatensuppe auf Van Goghs Sonnenblumen in der National Gallery in London? Während ich den Satz schreibe, fällt mir auf, dass ich mich nie um die Herkunft der Tomatensuppe geschert habe, und hoffe, dass die Aktivistinnen Campbell’s Tomato Soup verwendet haben. So, einfach für das Storytelling und um ein Symbol innerhalb des symbolischen Aktes zu platzieren. Kurz gegoogelt, es war Suppe von Heinz©. Auch irgendwie symbolhaft. Und wieder einmal wird die institutional critique von der Institution selbst aufgefressen. Vielleicht ist es in diesem Fall aber auch angebracht, anstelle der Institution von der alleszerstörenden spätkapitalistischen Walze zu sprechen, die dahintersteckt? Dafür muss diesem Elefäntchen im Raum aber erst mal sein Name verliehen werden und irgendwie scheint für den Großteil der Menschheit das Ende der Welt eher vorstellbar, als das Ende des Kapitalismus. 

Nicht so für neun Studierende der Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen unter der Leitung von Leander Schwazer! Sie sind so over der oben genannten Problematik und bereits beyond der Frage, ob die Tomatensuppe auf der Leinwand nun gut oder falsch gewesen sei. Anstatt sich auf die westliche Kunstikone oder die Aktivistinnen zu konzentrieren, fragen sie sich eher, was es für sie als angehende Künstler*innen und die Kunst selbst bedeutet, wenn Menschen ihren Alters mit berechtigten Beweggründen auf eine bereits stattfindende Katastrophe reagieren. Ihre Antwort: ECONOCLASM – ANOTHER WORLD IS POSSIBLE. So der Titel der aktuellen Ausstellung im Sterzinger Stadt- und Multschermuseum mit Arbeiten der Studierenden, gleich neben den spätgotischen Altartafeln des Ulmer Meisters Hans Multscher, welche als Meisterwerk des Künstlers und zu den wertvollsten Werken auf Südtiroler Boden gehören.ECONOCLASM – ANOTHER WORLD IS POSSIBLE Sterzing-6 (c) Daniel WalcherZunächst erschaffen die Student*innen den Ausdruck „Econoclasm“ – aus iconoclasm (engl. Ikonoklasmus), ecology (engl. Ökologie) und economy (engl. Ökonomie) – nachdem sie sich mit der Jahrtausende langen Geschichte des Ikonoklasmus auseinandersetzen. Dann machen sie sich prompt auf den Weg, um in der Bozner Innenstadt Kartone, welche wortwörtliche Reste der internationalen Warenökonomie darstellen, einzusammeln. Diese verbrennen sie alle gemeinsam in einer Art Ritual (zu sehen in der Videoarbeit Fire In My Body von Dora Musola) und gewinnen daraus einen Berg von Asche, welcher in Folge die Grundlage für alle weiteren in der Ausstellung gezeigten Arbeiten bildet. Anfang des Jahres wurden die Arbeiten in der Bozner Galerie Alessandro Casciaro gezeigt. Aktuell und noch bis zum 28. Oktober 2023 sind die Arbeiten in Sterzing zu sehen.

Der Umzug in die historischen Säle des Stadt- und Multschermuseums im sogenannten Deutschhaus eröffnet den Werken viele neue Bedeutungsebenen, die ganz wunderbar zu den vorhandenen Kunstschätzen passen und auch diese in einen neuen Kontext setzen und zum Nachdenken anregen. Im Grafenzimmer erstreckt sich über vier Wände ein barocker Traum an illusionistischem Wandgemälde, welcher die unberührte Landschaft im Sterzinger Becken darstellt. An der Decke sind die Deutschordenskommenden von Sterzing, Bozen, Lengmoos und Schlanders abgebildet, das Deutschhaus war nämlich von 1254 und bis 1809 im Besitz des Deutschen Orden. Die idyllischen Wiesen inmitten der Sterzinger Berglandschaft an den vier Wänden waren stets im Zentrum teils blutiger Machtkämpfe und Besitzansprüche. Jetzt gesellt sich die Installation Return to Sender von Tino Bros und Daniel Walcher zur scheinbar heilen Welt im Grafenzimmer und erzählt auf großflächigem, orangem Papier von zeitgenössischen Machtkämpfen: jenen der Versand- und Lieferindustrie. Mit gebrauchtem Motoröl und Resten der Asche aus dem oben genannten Ritual stellen die Künstler im höhlenmalerischen Stil den Teufelskreis von Amazon & Co. dar und bedienen sich dabei des Mediums, welches ursprünglich zum Versenden benutzt wird, Asche aus verbranntem Karton.ECONOCLASM – ANOTHER WORLD IS POSSIBLE Sterzing-3 (c) Daniel WalcherECONOCLASM – ANOTHER WORLD IS POSSIBLE Sterzing-4 (c) Daniel WalcherAuch im Rittersaal scheint auf den ersten Blick alles viel lieblicher, als es uns die Geschichte effektiv lehrt. Vor einem Wandgemälde, das Papst Innozenz III. – bekannt als DER Ketzerjäger und Befürworter des Deutschen Ordens und der Kreuzzüge – wie einen Hirten mit seinen Schäfchen darstellt, ist die Arbeit Coffin Table von Dora Musola positioniert. Der mit den Kreuzzügen einhergehende Massentod, welcher im Saal bisweilen abwesend ist, findet so seinen Weg in den Raum und stellt Fragen über die Objektifizierung des menschlichen Körpers, auch über den Tod hinaus. Gleich daneben, im sogenannten Spielzimmer, steht die Skulptur Our Great Future von Francesca Cantele, welche auf den ersten Blick ein Stück einer antiken Säule sein könnte, jedoch eine Baby-Trinkflasche aus Kreide, Wasser und Asche ist. Babies? Zukunft? Menschheit?

In einem der Säle zur Stadtgeschichte wurde die pure Asche zu einem ornamentalen Teppich angehäuft, in Sotto al Tappeto von Ludovica Faro. Ein Teppich, also, unter welchen sich nichts mehr kehren lässt. Zeit zum Handeln? Im Raum nebenan werden mit Asche versehene Seifen in der Arbeit Soapism (The Carrying) von Matilde Baldassari, Claudia Gianella, Morin Pichler gezeigt. Die Seifen liegen teilweise in Kartons verpackt, teilweise offen auf einer scheinbar zerstörten Holzpalette, welche in der ersten Ausstellung der Arbeiten in Bozen als ein Altar für eine Performance fungierte. Interessant ist, dass der Raum mit den Seifen bis zum Jahr 1977 ein Krankenzimmer war – das Deutschhaus hat nämlich ganz ursprünglich und dann wieder in seinen letzten Jahrzehnten vor der aktuellen Nutzung als Hospiz und Spital für die Stadt gedient. Asche zu Asche also, aber auch Reinigung und Wiedergeburt finden hier ihre Bedeutung.Sterzing ECONOCLASM – ANOTHER WORLD IS POSSIBLE-90 (c) Daniel WalcherWer nun glaubt, die Arbeiten seien provokativ, pessimistisch oder gar negativ, soll nochmal darüber nachdenken. Benennen ist nicht gleich Schwarzmalen. Außerdem machen die Künstler*innen die Not zur Tugend und treten der Klimakatastrophe reflektiert und produktiv gegenüber. Außerdem kann sich auch niemand mehr darüber aufregen, dass dieser Zugang „zu politisch“ sei. Jede Kunst ist politisch, wie auch die Geschichte des Deutschhauses und der dort aufbewahrten Kunstschätze bezeugt.

Mit ECONOCLASM haben die Studierenden jedenfalls einen Weg gefunden die zerstörerischen Prozesse auf dieser Erde produktiv für ihre Kunst zu nutzen. Schaden wurde dabei auch keiner angerichtet. Reflektiert wurde und zum Reflektieren wird angeregt. Mission accomplished.
Bis zum Ende der Ausstellung sollen auch noch Aktionen stattfinden, die euch alle nach Sterzing führen werden. Über das Multschermuseum gibt es nämlich noch einiges herauszufinden …Tafeln Hans Multscher Palazzo Vecchio 1959 (c) Stiftung N. Rasmo-A. von Zallinger - Gemeinde BozenFotos: (1–5) (c) Daniel Walcher; (6)  (c) Bozen, Stiftung N. Rasmo-A. von Zallinger, Gemeinde Bozen: In Florenz beim Abholen der Tafeln von Hans Multscher aus dem Palazzo Vecchio, 1959.

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