Meet Fashion Designer Lidija Kolovrat

Als ich Lidija Ende März in Lissabon zum Interview treffe, wird ihr Geschäft gerade umgebaut. Gemeinsam mit einem Freund aus London ist sie dabei, den Verkaufsraum neu zu gestalten. Noch schaut es nach Baustelle aus, am nächsten Tag aber, erzählt sie mir, am späten Vormittag, soll schon wieder geöffnet sein. Wir gehen in den ersten Stock, ein großer Raum mit Werkstatt und Atelier, viele Kleiderstangen gibt’s da mit vielen Kleidungsstücken, extravagant und farbenfroh, und einen kleinen Lounge-Bereich. Kennengelernt haben wir uns ein Jahr zuvor im Sommer, ein gemeinsamer Bekannter hat mir Lidija vorgestellt. Ich habe mich damals durch viele ihrer Stücke probiert und eine sehr coole Jacke, Bermuda-Shorts und ein Tuch mit Fransen bei ihr gekauft. Lidija liebt und lebt ihre Mode, das spürt man in jedem Moment.Lidija Kolovrat ist eine der wenigen Designer*innen in Lissabon, die erfolgreich hochwertige Mode macht. Ihr Geschäft liegt im lebendigen Stadtteil Príncipe Real. Sie produziert alles selbst mit einem kleinen Team vor Ort. Ihre aktuelle Kollektion SS 23 „Guts are your new tool“ wurde im Rahmen der Lisbon Fashion Week präsentiert.1990 kam die bosnische Designerin nach Lissabon und gründete ihr Label Kolovrat. Ein ambitioniertes Projekt. „Es gab damals nur eine Handvoll Designer, mit einigen habe ich auch begonnen zu arbeiten. Heute gibt es zwar mehr Designer, aber viele können sich die Miete für ein Geschäft nicht leisten. Es könnte viel besser laufen, wenn das Umfeld unterstützender wäre“, erzählt Lidija. Mode spiele generell, hat mir mal eine Portugiesin gesagt, keine so wichtige Rolle hier wie in anderen Ländern. Auch weil viele Portugiesen sich das gar nicht leisten könnten. Einiges hat sich allerdings getan im Bereich der Produktion. Viele europäische und internationale Labels, darunter auch nachhaltige, produzieren im Norden Portugals. Lidija fertigt mit ihrem Team in Lissabon. Neben dem kleinen Atelier über dem Geschäft, betreibt sie auch eine etwas größere Werkstatt in der Nähe der Stadt, wo der Großteil der Kleidungsstücke genäht wird. Die Anzahl der Mitarbeiter*innen ändert sich immer wieder, derzeit arbeiten sechs Leute mit ihr.

Lidija Kolovrat macht Mode für Damen und Herren. „Ich arbeite seit über 40 Jahren als Designerin“, erzählt sie. „Meinen Stil habe ich in dieser Zeit nicht wirklich verändert. Ich mag den Luxus, das Noble, das Wertvolle der Mode. Dabei geht es mir immer um handgefertigte Stücke, manchmal ist es ein ganz neuer Entwurf, manchmal machen wir aus einem Vintage-Teil etwas Neues. Ich liebe es auch meine eigenen Muster zu entwickeln, immer mit anderen Themen.“ Lidija möchte in ihren Patterns die kulturelle Energie der Zeit, in der wir leben, zum Ausdruck bringen. Und es ist ihr wichtig, Verantwortung zu übernehmen. „Ich möchte als Designerin verantwortlich handeln und bin mir des Impacts – sowohl des sozialen als auch des ökologischen – bewusst. In einer Gesellschaft leben, bedeutet diese Wechselwirkungen zu erkennen, sie ernst zu nehmen, aber den Humor dabei nicht zu kurz kommen zu lassen“, erklärt sie. Während des Interviews steht Lidija immer wieder auf, zeigt mir bestimmte Stücke und spricht über die Materialien, die Machart, ihre Gedanken dahinter. „Ich mag Überraschung und Abwechslung“, sagt sie lachend.Lidija arbeitet gerne mit Naturmaterialien, aber nicht nur. Für die aktuelle Kollektion hat sie ihre Patterns auf Biobaumwolle drucken lassen. Man könne nicht alles vorausplanen, meint sie, manchmal findet man tolle und passende Materialien, manchmal nicht. Als sie begonnen habe, konnte sie sich keine neuen Materialien leisten, hat also Reststoffe gekauft und daraus etwas gemacht. „Das habe ich beibehalten, aber man muss sich auskennen mit Materialien“, sagt sie. Auch neue Techniken interessierten sie, überhaupt Neues auszuprobieren. „Ich erzähle gerne Geschichten und experimentiere gerne. Wir entwickeln uns immer weiter, das ist sehr wichtig für ein Label. Vor allem die Zusammenarbeit mit Künstlern, Tänzern, Theaterleuten ist sehr inspirierend“, erzählt sie mir. Kunst ist nicht nur eine wichtige Inspiration für Lidija, sie arbeitet auch selbst künstlerisch, macht Videos und Installationen und stellt immer wieder aus. Aber die Mode fordere sehr viel Zeit, meint sie, sie komme derzeit wenig dazu.  

Lidija liebt Farben, Stoffe, überhaupt Materialien und legt großen Wert auf das Handwerk, auf Schnitt und Form. Aber auch träumen, neue Geschichten zu erzählen, ist ihr wichtig. Sie arbeite auch sehr intuitiv, interessiere sich neben aller Pragmatik, die diese Arbeit erfordere, auch für die magische Seite des Lebens, erzählt sie. „Seit 30 Jahren beschäftige ich mich mit dem ,I Ging‘, denn alles hat mit allem zu tun. Natürlich möchte ich mit meiner Arbeit auch etwas erreichen, aber dahinter geht es immer um Menschen, um Community, um Zusammenhänge, um Gesellschaft.“Nochmals auf das Thema Nachhaltigkeit in der Fashion Industrie angesprochen, meint sie: „Dass Nachhaltigkeit sehr wichtig ist, liegt auf der Hand. Wir wissen aber noch nicht, wie wir das wirklich umsetzen können. Ich habe zum Beispiel Kleidungsstücke mit einem „Müll-Print“ gemacht, um darauf aufmerksam zu machen, zu provozieren, aber auch um an das Thema mit Humor heranzugehen. Wir werden diese Wende schaffen, aber es ist viel zu tun. Da sind noch viele mentale Barrieren zu überwinden. Vor allem müssen wir das Thema kreativ angehen und nicht nur nachhaltige, sondern auch schöne Dinge entwerfen. Wie kann man Leute dafür interessieren? Informieren alleine reicht nicht aus, man muss die Leute auch verführen. Und ihnen klar machen, dass Materialien und Kleidungsstücke wieder wertgeschätzt werden müssen.“Kolovrat findet man auch bei Not Just a Label, auf der Plattform des Südtirolers Stefan Siegel, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Pioniere des zeitgenössischen Designs zu entdecken und zu unterstützen. Aber vielleicht seid ihr ja auch mal in Lissabon, einen Besuch bei Lidija Kolovrat kann ich euch sehr empfehlen.

Fotos: (1) © Kolovrat/Lidija Kolovrat (2, 3, 4) © Susanne Barta; (5, 6, 7) Moda Lisboa 2022 © Ugo Camera; (8–13) © Kolovrat/Lidija Kolovrat.