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July 27, 2022

Mirjam Hellrigl, die Überfliegerin

Susanne Barta

Ihre Kleidungsstücke nachhaltig und fair zu produzieren, war für die junge Meraner Designerin Mirjam Hellrigl von Anfang an selbstverständlich. Ihr Label heißt Überfliegerin und ist inspiriert von der Flugpionierin und Frauenrechtlerin Amelia Earhart. Auch ein feministischer Zugang ist Mirjam wichtig. Immerhin ist der Großteil der Textilarbeiter*innen weltweit weiblich. Und die Bedingungen, unter denen diese Frauen arbeiten (müssen), alles andere als gut.

Ich sitze Mirjam beim Interview gegenüber und denke mir „manche haben viel mitbekommen in dieses Leben“. Wunderschöne Haare, große Augen, ausdrucksstarkes Gesicht, tolle Figur, einen sophisticated Style – dabei klug, tiefgründig, talentiert, ohne Attitude und sehr gut, in dem, was sie macht.Mirjam Hellrigl Ueberfliegerin 2+3 (c) anneliese_kompatscherMirjam hat Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien studiert, parallel dazu das Kolleg für Mode, Design und Textil absolviert und anschließend auch die Meisterschule für Damenkleidermacherin besucht. Vor etwas über zwei Jahren ist sie zurück nach Südtirol gekommen. Das erste Mal getroffen habe ich sie auf der Ecotex in Klausen im September 2020. Ihre Kleider, ihre Herangehensweise, ihre ruhige, aber bestimmte Art haben mir sehr gefallen. Sie war dann auch zu Gast in meiner Radiosendung „Wie geht Zukunft?“, gemeinsam mit GREENSTYLE Gründerin Mirjam Smend. Da haben wir uns über die Modeindustrie unterhalten und mögliche Wege aus der Misere. Relativ bald danach zog sich Mirjam als Designerin zurück. Aber seit kurzem ist sie wieder da – mit neuer Energie und vielen Ideen für ihre Arbeit. 

Mirjam, du bist zurück, was mich persönlich überaus freut. Was war los?

Als ich von Wien nach Südtirol zurückkam, war es anfänglich schwierig, wieder Fuß zu fassen. Nachhaltige Mode ist in Südtirol einfach noch nicht so bekannt und gefragt wie in Wien. Vielleicht hatte ich falsche Vorstellungen? Dann kam die Pandemie und ich habe begonnen, vieles zu überdenken: „Brauchen wir überhaupt noch Mode?“ Wir haben ja schon soviel Gewand, dass wir die ganze Menschheit einkleiden könnten. „Ist es überhaupt sinnvoll, was ich mache?“ Ich fühlte mich in Südtirol mit dem, was ich machte, nicht ganz ernst genommen. Das war schon eine kleine Krise. Ich brauchte diese Pause, um das alles für mich zu ordnen. Aber in dieser Zeit ist mir klar geworden, dass nachhaltige Mode zu designen das ist, was ich tun möchte. Und so wie ich es mache, wie ich produziere, kann ich es auch vertreten.Mirjam Hellrigl Ueberfliegerin 4+5 (c) susanne bartaWas heißt nachhaltige Mode machen für dich?

Ich kaufe alle Stoffe von einer Deadstock-Firma ein. Das sind Stoffe, die eigentlich weggeworfen werden, die Reste von Überproduktion. Oft sind es Stoffe großer Designer, die Qualität ist also sehr hochwertig. Mittlerweile gibt es Firmen, die diese Stoffe auf- und dann weiterverkaufen. Außerdem bekomme ich ab und zu Reststücke von Design-Freund*innen. Mit Resten zu arbeiten ist natürlich nicht immer einfach, weil ich nur diese bestimmte Menge Stoff zur Verfügung habe, die Stoffe nicht nachbestellen kann. Die Designs richten sich dann auch nach dem, was überhaupt möglich ist. Ich nähe alles selbst, bis auf weiteres in einem umfunktionierten Zimmer meiner Eltern in Meran. 

Sind das alles Einzelstücke?

Nicht alle. Es gibt auch mehrere Auflagen bei einigen Stücken, je nachdem wie viel Stoff ich zur Verfügung habe.Mirjam Hellrigl Ueberfliegerin 6+7 (c) susanne bartaArbeitest du auch auf Anfrage?

Ja, zum Beispiel kommen Freunde, Bekannte oder Leute, die von mir gehört haben zu mir, die für spezielle Anlässe etwas möchten. Immer öfter kommen auch welche, die mir ihr altes Hochzeitskleid oder das ihrer Mutter bringen und wir machen daraus etwas Neues. 

Upcycling ist also auch wichtig für dich?

Natürlich. Immer, wenn es möglich ist, mache ich das.

Und wie kommt der Feminismus in deine Entwürfe?

Alle Drucke, zum Beispiel, die ich mache, haben eine feministische Perspektive. Ich möchte damit Probleme aufzeigen und Bewusstsein schaffen. Aber natürlich soll es auch ästhetisch ansprechend sein. Mirjam Hellrigl Ueberfliegerin 8+9 (c) susanne bartaMode ist für dich also auch politisch?

Absolut! Allein die Frage, wie etwas produziert wird, ist politisch. Ich kann zu dem, was ich trage, stehen. Es muss einem bewusst sein, dass das, was man trägt, nicht neutral ist. 

Wie kamst du auf die Pilotin Amelia Earhart? Sie hat dich ja dazu inspiriert, dein Label Überfliegerin zu nennen …

Earhart war eine Frauenrechtlerin und Flugpionierin. Mir hat so gut gefallen, dass sie sich über die Grenzen hinweggesetzt hat, die es damals für eine Frau gab. Sie imponiert mir, sie war eine Vorreiterin. Ich wollte, dass schon beim Namen des Labels klar ist, dass es feministisch ist.

Wie würdest du deinen Design-Stil beschreiben?

Der ist nicht ganz leicht zu fassen. Mein Stil geht von mondän bis casual. Für mich ist jedes Kleidungsstück, das ich mache, eine Form von Kunst. Manches geht auch in die Haute Couture. Es sind unterschiedliche Welten, aber es ist toll, das mischen zu können.Mirjam Hellrigl Ueberfliegerin 10+11 (c) anneliese_kompatscherWie schätzt du den Status quo der Modeindustrie ein? Verändert sich gerade was?

Ich hoffe sehr, dass sich etwas in eine bessere Richtung entwickelt. Shopping als Freizeitaktivität zu sehen, muss einfach aufhören. Das Bewusstsein wird größer, zumindest wünsche ich mir das. Ich wünsche mir auch, dass wir alle bald nur mehr nachhaltige Kleidung tragen. Ob wir das noch erleben werden?

Was beobachtest du in Südtirol?

Ich finde, es entwickelt sich gut in Südtirol. Als ich gekommen bin, dachte ich, es schaut schlecht aus. Mittlerweile bewegt sich etwas, vor allem in der jungen Generation. Viele denken da schon anders. Sie kaufen zweiter Hand ein, tragen ihre Sachen auf. Richtig im Trend sind auch Kleidertausch-Partys, ich war schon auf mehreren. Aber leider sehe ich auch viele Konsument*innen, die die „nachhaltigen“ Aktivitäten der großen Ketten nicht durchschauen. Da muss man wirklich genauer hinsehen, denn da werden Kund*innen getäuscht. Aber in erster Linie sind die Konzerne in die Verantwortung zu nehmen.Mirjam Hellrigl Ueberfliegerin 12+13 (c) susanne bartaWie kleidest du dich?

Kleidung habe ich seit Jahren nicht mehr gekauft, auch nicht Secondhand. Nur Socken und Unterwäsche kaufe ich. Bis auf einige Jeans aus der Oberschulzeit, trage ich nur selbstgemachte Sachen. Gelegentlich bekomme ich abgelegte Kleider von meinen zwei Schwestern, die ich dann so ändere, dass sie mir gefallen. Jedes Mal, wenn ich Freundinnen beim Einkaufen begleite, merke ich, wie schwer es mir fällt, allein schon über die Türschwelle der großen Ketten zu gehen. 

Vor kurzem hast du auch einen Film ausgestattet …

Ja, für den Film „BINICHDENN? Ein surrealistisches Filmgedicht“ von Stefanie Aichner habe ich die Kostüme gemacht. Es ist der erste grün und nachhaltig produzierte Film Südtirols und hat heuer das Bolzano Film Festival Bozen eröffnet. Ich konnte verschiedene Techniken anwenden, konnte auch experimentieren. Es war aufwendig, hat mir aber sehr gut gefallen. Möchte ich gerne wieder machen. Mirjam Hellrigl Ueberfliegerin _14 (c) binichdenn_bykiwiMirjam verkauft ihre Designs noch von ihrem Studio aus. Ihre Kleidungsstücke starten bei ca. 40 Euro für T-Shirts, Couture-Stücke kosten mehrere hundert Euro, je nach Stoff und Arbeitszeit. Ihre neue Website ist eben online gegangen, schaut mal hinein. Vielleicht ist ja was dabei, das euch gefällt.

 

Fotos: (1, 4–9) © Susanne Barta; (2, 3, 10, 11) © Anneliese Kompatscher; (12, 13) auf der Modenschau des Matura-Projekts von Greta Margesin und Natascha Wank in der Landesberufsschule Luis Zuegg in Meran © Susanne Barta; (14) © binichdenn by kiwi 

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