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August 25, 2021
„Es ist höchste Zeit, einen nachhaltigen Kurs einzuschlagen“ – Gwand Festival Luzern 2021
Susanne Barta
Ich treffe die Gwand-Gründerin Suzanna Vock auf Zoom, wunderschön gekleidet mit Turban und Ethno-Kleid. Das Gwand Festival in Luzern ist ein Fixstern der (Schweizer) Modeszene. Gegründet wurde die ambitionierte Plattform 1993, sie fand bisher elfmal statt, die Mode-Awards wurden 2000 erstmals verliehen, Preisträger waren unter anderem Raf Simons, Haider Ackermann und Lutz Huelle. Von Anfang an lag der Schwerpunkt auf der Förderung aufstrebender Modetalente. Im Laufe der Jahre ist verstärkt der Blick auf nachhaltige Strategien und Lösungen dazu zugekommen, Suzanna Vock möchte hier Maßstäbe setzen, die weit über die Schweiz hinausreichen. Sie selbst bringt über 20 Jahre Erfahrung im High Fashion Bereich ein und hat sich ein weltweites Netzwerk aufgebaut.
Pandemiebedingt wurde ein neues Konzept erarbeitet, das Festival besteht nun aus einem Open-Air-Markt, dazu finden nachhaltige Workshops, Panels und Präsentationen von innovativen Lösungen statt. Die zweite Säule des Festivals, die Verleihung der (seit 2019) nachhaltigen Designer-Awards, wird erst nächstes Jahr wieder möglich sein. Zuletzt waren 20 nachhaltige Designerinnen und Designer nominiert, in der Jury waren u. a. Fashion-Revolution-Gründerin Orsola de Castro und Sara Sozzani Maino von Vogue Italia. Außerdem wurde die Produktpalette des Marktes erweitert, zur Mode kommen weitere Lebensbereiche hinzu, in denen Nachhaltigkeit wichtig ist.Suzanna, nachhaltige Praktiken spielen bei den meisten großen Mode-Events noch eine Nebenrolle, die Gwand hat Nachhaltigkeit ins Zentrum gerückt. Was hat euch dazu bewogen?
Diese neue Form des Festivals ist zwar aus der Not heraus entstanden, hat uns aber die Möglichkeit gegeben, viel mehr zu berücksichtigen, auch weil uns klar ist, dass alles mit allem zusammenhängt. Mir ist wichtig, dass wir als Plattform nachhaltige Lösungen aus verschiedenen Bereichen aufzeigen, dass wir national und international gehört werden und Unterstützung bekommen von Firmen, die auch auf diesem Weg sind. Niemand muss alles einhalten, 100%ige Nachhaltigkeit gibt es nicht, aber die Ansätze müssen überzeugend sein. Es geht darum, diese neue Zeit bewusst wahrzunehmen, wir möchten inspirieren und zeigen, was wir besser machen können. Wir schauen darauf, dass das aber auch Sinn macht, nicht nur etwas ist, das blendet. Wichtig ist, ehrlich zu sein.
Die Schweiz ist kein klassisches Mode-Land wie zum Beispiel Italien, das aber in Bezug auf Nachhaltigkeit ziemlich hinterherhinkt. Wo steht die Schweiz da?
Es gibt viele bewusste Leute, auch viele bewusste Brands, aber das Problem in der Schweiz ist, dass die meisten Labels international nicht vernetzt sind. Es gibt aber auch diejenigen, die das Thema ignorieren. Diese Tendenz, nachhaltig zu arbeiten, wird ein Muss werden. Ich habe bemerkt, dass auch in Paris, London und Mailand schon stark auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Das Problem in der Schweiz ist einfach, dass sie isoliert ist, wenn es um die internationale Kommunikation von Labels geht und darum, einen Role-Model-Status einzunehmen. Deshalb haben wir unser Konzept auch so zugeschnitten, dass wir die Kooperation mit internationalen Designern fördern und Verknüpfungen mit lokalen Playern ermöglichen. Da wir die Bewilligung für diese Ausgabe erst vor vier Monaten bekommen haben, war es schwierig, entsprechende Partner zu finden, dennoch ist es gelungen, ein tolles Programm zu entwickeln. Für die Awards war die Zeit zu kurz, sie werden erst nächstes Jahr verliehen. Beim Festival gibt es heuer vor allem Teilnahmen aus der Schweiz, aber auch eine Designerin aus Pakistan, die dort mit Flüchtlingen arbeitet, und ein nachhaltiges deutsches Kinder-Label ist dabei. Dazu finden interessante Panels in verschiedenen Bereichen der Nachhaltigkeit statt. Wir sind gespannt, wie unser neues Format funktionieren wird, in Zukunft möchten wir dann auch bei anderen Events wie der Paris Fashion Week, in Botschaften, aber auch ganz regional präsent sein.Der Begriff der Nachhaltigkeit wird zum Teil recht unterschiedlich verwendet. Wie ist da euer Zugang?
Wir arbeiten mit einem sehr weiten Begriff, immer mit dem Blick auf die Sustainable Development Goals der UN, die wir in unsere Themen integrieren. Uns ist zum Beispiel nicht nur bio wichtig, sondern auch fair, Themen wie modern slavery, transparente Lieferketten. Wichtig ist auch, dass das Festival etwa nicht nur vegane oder vegetarische Produkte anbietet, sondern alle Konzepte von nachhaltigem Essen integriert. Wir schauen auch hinter die Kulissen, es gibt ja viele Widersprüche und Baustellen in diesem Bereich. Wir möchten versuchen, Lösungen anzubieten, und nicht mit dem Finger auf etwas zeigen. Im Sinne von Fleischkonsum ist schlecht, vegan ist heilig. Das gleiche gilt für Materialien, denn nicht alle tierischen Materialien sind grundsätzlich schlecht, auch upgecyceltes Plastik ist immer noch Plastik. Das ist never ending und wir müssen anfangen, vernünftig zu sein und nicht die einen zu hypen und die anderen auszuschließen.Europäische Länder wie Frankreich und Deutschland haben bereits ein Lieferkettengesetz, in Italien gibt es eine Gesetzesinitiative dazu, in der Schweiz wurde das Referendum darüber negativ entschieden. Wieso sträubt sich ein so wohlhabendes Land wie die Schweiz gegen transparentere Lieferketten?
Ich war so enttäuscht, denn in der Schweiz wären auch die Mittel vorhanden, das umzusetzen. Es hat mich wirklich sprachlos gemacht. Ich möchte nicht zu politisch werden, aber ich denke, das wird alles zurückkommen. Payback is here already. Die, die dagegen gestimmt haben, haben das wohl aus dem Grund getan, weil man mit den herkömmlichen Produktionsmethoden mehr Geld verdienen kann. Irgendwann wird es Gesetze geben müssen, die uns dazu zwingen, dass wir anders handeln, weil es gar nicht mehr anders geht. Schade ist, dass unsere Kinder unsere Sauereien, die wir produziert haben, aufräumen müssen. Viele Junge haben aber bereits das Bewusstsein, dass das Thema brisant und etwas zu tun ist.
Nachhaltige Mode wird oft noch mit Öko-Schick in Verbindung gebracht. Welchen Ansatz verfolgt ihr da?
Ich komme aus der Mode und das ist mir natürlich sehr wichtig. Die Designer, die wir nominiert haben, sind auf dem Level vieler anderer Designer, die noch nicht nachhaltig arbeiten. Ich sage noch nicht, denn das wird die Zukunft sein, das geht gar nicht anders. Diese Assoziationen mit Wolle, Bast, Birkenstock, einem Hippie-Image sind aus den 1980er Jahren. Die Designer, die wir präsentieren, machen entweder High Fashion, Couture oder Functional, Comfort Wear. Es gibt Klassisches und ganz Verrücktes.
Die Teilnehmer für unseren Markt wurden ausgeschrieben und wir haben geschaut, ob das passt. Wir mussten niemandem absagen!
Das Gwand Festival findet von 2. bis 4. September 2021 in Luzern statt, unter dem Motto „Sustainable Life Together“. Ich freue mich darauf, mal eine der nächsten Ausgaben zu besuchen.
Und noch einen Hinweis habe ich für euch: Wer vielleicht nicht reisen, aber dennoch über nachhaltige Mode auf dem Laufenden bleiben möchte, kann sich für den „202030 – The Berlin Fashion Summit“ anmelden, der von 7. bis 9. September 2021 digital stattfindet. Diese neue Nachhaltigkeitskonferenz widmet sich den „dringlichen Themen dieser Zeit“, im Fokus stehen Ökosysteme und es wird untersucht wie Kreislaufsysteme mit positivem Impact in die Mode integriert werden können.
Fotos: (1) © Pascal Triponet; (2) Suzanna auf der London Fashion Week 2019 © Suzanna Vock; (3) Laax Vintage Days 2019, von Suzanna/Gwand kuratiert © Suzanna Vock; (4) Suzanna auf der Paris Fashion Week 2019 © Suzanna Vock; (5) Suzanna mit Raf Simons auf der Art Basel © Suzanna Vock
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