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August 13, 2015
Ein Literaturhaus für Südtirol? – Und danach?
Kunigunde Weissenegger
Casa Pound – ach, verlesen und vertippt – Casa Nang steht geschrieben, und: Temporäres Literaturhaus [nein, nicht Kaufhaus – verzeiht mir auch diesen schlüpfrigen Ausrutscher], und da wir hier in Südtirol sind auch: Casa temporanea della letteratura – Ciasa dla leteratura tl moment. Wir sind hier in der Festung in Franzensfeste, ein bisschen am Ende der Welt, vielleicht durch die Ausstellung 50x50x50 gerade etwas in den zeitgenössischen Mittelpunkt gerückt; und in diesen Rahmen haben Maria C. Hilber und Martin Hanni ihr Literaturhaus gebaut und gesetzt. “Erstmals entsteht in Südtirol ein temporäres Literaturhaus – Die Casa Nang öffnet ihre Türen” und verschluckt alle, die sich ihr bis 12. September 2015 nähern. Nehmt euch in Acht, Nang, der Literaturhausteufel geht um.
Erstmals temporär und geheimen InformantInneninformationen zufolge ist es sogar das erste Südtiroler Literaturhaus überhaupt. [...die trauen sich was...] Es gab, obwohl in früheren Jahren viel darüber gesprochen, spekuliert und verhandelt wurde, nur beinah eins [schon Mitte der 1990er Jahre – gut Ding braucht eben Weile, in Südtirol]; kurz vor dem Start soll es damals gestanden haben ["2000 muss das Haus stehen"], unter der Projektleitung von keinem geringerem als Oswald Egger, dem damaligen Präsident der Bücherwürmer Lana. Doch, obwohl sogar soweit realistisch, dass die Kostenaufteilung klar war – zwischen Gemeinde Lana, Land Südtirol und Europäischer Gemeinschaft gedrittelt –, blieb sein “europäisches Gästehaus für Autoren und Künstler” ein Luftschloss [unterstrichen sei hier der Fokus "europäisch" und nicht bloß zwei- oder dreisprachig, wie einige heute noch, in der Meinung weitsichtig zu sein, proklamieren]. Es ist anzunehmen, dass es sich im weiteren Verlauf der Südtiroler Literaturgeschichte irgendwie genau so zugetragen hätte haben können getan hat, wie Sven Koe es dazumal in seinem Brief zipfel vs. mütze an franz schrieb: “[...] alle diese eben genannten südtiroler literatur.verein.sektierer verfolgen lieber eigene interessen . die mit den interessen der allgemeinheit und der autor[inn]en wenig am hut haben / [...]“.
Robert Huez, gebürtig aus Lana und seit 2008 Leiter des Literaturhauses Wien – einer, der es also wissen müsste – meinte 2013 anlässlich eines Impulsreferats am 14.11.2013 in der Tessmann in Bozen zum Thema “Ein Literaturhaus für Südtirol – struktureller Impuls oder bürokratische Entbehrlichkeit?”: “[...] So muss sich sinnvollerweise – meiner Meinung nach – ein mögliches Literaturhaus für Südtirol auch ganz klar entwickeln aus dem bereits Existierenden, aus den Bedürfnissen, aus den hiesigen Anforderungen. Es geht also – finde ich – nicht um die zentrale Frage, ob Literaturhaus ja oder nein, sondern die Frage muss wohl vielmehr lauten: „Was könnte ein Literaturhaus für Südtirol leisten, für die Literatur, für die Literatinnen und Literaten, für das kulturelle Leben im Lande, was könnte es leisten, was es bisher noch nicht gibt bzw. was bisher zu wenig berücksichtigt wurde.“ Erst wenn diese Frage geklärt ist, dann lässt sich, meiner Meinung nach die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, eine neue Struktur einzurichten oder ob es sinnvoller sein kann, Bestehendes, aktuell gut Funktionierendes auszubauen, zu verstärken, zu bestärken, Energien zu bündeln, und das wichtigste: stärkere Netzwerke einzurichten. Also geht es im Grunde nicht um die Frage nach Strukturen, sondern um die Frage nach Notwendigkeiten.” – Die gesamte Rede hier.
Vielleicht braucht Südtirol kein Literaturhaus, wäre natürlich auch eine Überlegung wert – wenn so hartnäckig nie keins zustande gekommen ist, sind wir SüdtirolerInnen in dem [einen] Fall vielleicht bereits einen Schritt weiter als der Rest der Welt und peilen unbewusst als erste das Danach des Literaturhausbetriebes an, ohne je eins gehabt zu haben. Revolutionär! Da haben sich die BerlinerInnen 1986 mit dem ersten wohl vielleicht verpeilt. Wie Italien bisher ohne Literaturhäuser auskommen konnte, bleibt auch ein Rätsel. [a parte la Casa delle Letterature] – Vielleicht muss, um den Sehnsüchten und Notwendigkeiten der hiesigen SchreiberInnenschaft nachzukommen, eine andere Form des literarischen und gedanklichen Austauschs gepusht werden? Damit, wie es im Credo der Casa Nang steht, ein Forum der Mitsprache, des Aufeinandertreffens, der sprachlichen und formalen Experimente, der Beziehungsentwicklung zu Themen zwischen Gesellschaft, AutorInnen, DenkerInnen entstehen kann. Und die Leiterin des Temporären Literaturhauses Casa Nang Maria C. Hilber führt weiter aus: “Ich finde es braucht auf jeden Fall einen Raum, der allerdings nicht zwangsläufig starr und ortsgebunden sein muss, sondern auch in flexiblen Formaten aufgebaut und geführt werden kann. [...] Ich glaube, dass eine gegenseitige Befruchtung nicht unter einem Dach stattfindet, aber zumindest möglich sein soll. Da geht’s um Rahmenbedingungen, die etwas ermöglichen können, nicht um den jeweiligen Schreibprozess und die persönliche Kontextbildung einer Autorin/eines Autors.”
Jedenfalls, schön, so viel neue Texte und Worte von an Südtirol irgendwie gebundenen Autorinnen und Autoren auf einem Haufen anzutreffen; mehr hätten es halt sein können und ein bisschen weniger versteckt hätte die Casa Nang werden und ruhig auch etwas inszenierter ausfallen können. Da entkommt mir ein “Trau dich, dosige Literatur, lass die Väter ruhen, die Mütter ebenso, die großen Schwestern und Brüder schick weit weg, Milch holen; zögerlich zaudernd ist noch niemand zum Nachbardorf und schon gar nicht darüber hinaus gekommen.” [Und es seien hier einmal keine Toten zitiert.] Vielleicht hörte dann auch endlich dieser echt-unecht geheuchelte Sprech-Sprach-Sprachen-Komplex in diesem Land auf.
[ Das gesamte "Dossier Literaturhaus" der Kulturelemente – inklusive Interview von Heinrich Schwazer mit Oswald Egger, Pro-Statement von Feruccio delle Cave sowie Contra von Christine Vescoli, dem Referat von Robert Huez, dem gesamten Interview mit Maria C. Hilber sowie Karin Dalla Torres damaligen Plänen – ist hier nachzulesen. ]
[ Hier das Casa-Nang-Programm und die AutorInnen: www.casanang.eu ]
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