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November 16, 2021
Der Charme von Andeutung und Teilverhüllung bei Giancarlo Lamonaca
Kunigunde Weissenegger
Wie weit reicht das Surreale ins Wirkliche? Wo ist der Anfang von Einbildung? Wo das Ende? – … wenn hypothetisch und tatsächlich alles möglich ist? Was bleibt nach der Entwirrung?
Malerei hat er studiert. Und malerisch geht er mit Fotografie um – verstreicht, versetzt, schichtet, streckt – auf-, über- in-, miteinander. Am Ende sind Bilder keine Fotografien – mehr, sondern … große leuchtende Prunkfenster, die spitzfindig und treffend krasse Geschichten erzählen. Giancarlo Lamonaca zeichnet eine konstante Suche nach der „Ding“ hinter der von der Fotografie abgebildeten Realität aus – oder dem, das die meisten von uns als solche definieren.
„Für Giancarlo Lamonaca gibt es keine absoluten Gewissheiten. Er führt Objekte, Realitäten und Zustände in unterschiedlichsten Kombinationen zusammen, sodass sich daraus schier unendliche Konstellationen an Möglichkeiten ergeben. Nur weil wir etwas nicht sofort erkennen, heißt es nicht, dass es nicht trotzdem da ist. Und so erahnen wir auf seinen mit „Fliegen“ betitelten Arbeiten im ersten Moment zwar keine Insekten, aber die Ausgangsbasis sind tatsächlich Fotos bunter Fischerfliegen, die der Künstler auf Schloss Wolfsthurn aufgenommen hat, wo sich das Landesmuseum für Jagd und Fischerei befindet. […] So bringen uns die Fischerfliegen zu ökologischen Themen wie der Überfischung und den Strapazen der Weltmeere; genau so wie die Werke mit den Plastikflaschen und Alu-Dosen einen Verweis auf unsere Wegwerfgesellschaft darstellen, auf unser Ressourcen fressendes Verhalten und die Müllberge, die wir tagtäglich produzieren,“ so Adina Guarnieri in der Eröffnungsrede seiner neuesten Ausstellung „Fragmente – Fliegen, Dosen, Krieg und imaginäre Gipfel“, die vor Kurzem im Kunstforum Unterland zu Ende gegangen ist.
Am Mittwoch, 16. November und am Freitag, 19. November 2021, jeweils von 16:00 bis 18:00 Uhr, gibt es die außerordentliche Möglichkeit, die Ausstellung in Begleitung des Künstlers zu besichtigen (Anmeldung telefonisch unter +39 347 5853949).
Hast du dir schon mal überlegt, welche Eigenschaften „Fragmente“ für dich haben könnten?
Fragmente sind Teile eines Größeren und als solche sehe ich sie. Sie spiegeln auf ihre Weise das Ganze wider, ohne alles zu zeigen. Wie z. B. archäologische Funde, bei denen durch ein oder mehrere Fragmente idealerweise das Gesamte rekonstruiert werden kann. Fragmente sind spannend, regen zum Weiter- bzw. Fertigdenken an und tragen den Charme von Andeutung und Teilverhüllung in sich.
… sind deine Arbeiten immer auch Bruchteile von dir …?
Nicht unbedingt persönliche, aber Bruchteile von Erfahrungen. Aus dem Alltag gegriffen helfen sie, das große „Bild“ zu erahnen oder zumindest einen Hauch davon zu erfassen. Das genügt: Wenn alles gesagt ist, ist die Spannung weg. Es geht mir um das versteckte Potential der Realität.
Was haben Fliegen, Dosen, Krieg und imaginäre Gipfel gemeinsam?
Es sind Fragmente aus dem Alltäglichen, Eindrücke, die sich festsetzen, die durch das Unterbewusstsein gewirbelt wieder zum Vorschein kommen. Fast alle leiten zudem neue Arbeitszyklen ein, an denen ich in Zukunft weiter arbeiten werde. Den Arbeiten liegt ein Bruch zugrunde, zwischen dem, was wir sehen, und dem, was eigentlich abgebildet ist, zwischen der ästhetischen Wirkung und dem realen Hintergrund.
Wie entscheidest du, dass ein Thema für dich Relevanz hat bzw. wie gehst du vor?
ich glaube fest an ein Eigenleben von Objekten, Erfahrungen, Emotionen. Sie bahnen sich ihren Weg durch das Unterbewusstsein zum Bewusstsein und materialisieren sich auf verschiedenste Formen und Arten. Visuell entstehen so, nach vielen Arbeitsschritten, die meisten meiner Arbeiten.
Was steht als nächstes an?
Ich denke an eine größere Show, inhaltlich und formell nicht weit entfernt von einer hochgradig ästhetisierten Gratwanderung zwischen Wirkung und Inhalt.
Fotos: Kathrin Obletter
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