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February 18, 2019
So vielfältig, dass kein Etikett passte! Zum Nachlass von Peter Oberdörfer
Verena Spechtenhauser
Wie wurdet ihr auf den Nachlass von Peter Oberdörfer aufmerksam?
Nach dem Tod von Peter Oberdörfer kümmerte sich seine Schwester Angelika um seine Wohnung und den umfangreichen Nachlass, sie sichtete und ordnete hunderte und aberhunderte von Texten; und erledigte damit einen großen Teil der Vorarbeit. Sie sprach mit Sonja Steger und Haimo Perkmann über den Nachlass und so entstand die Idee, eine Auswahl davon zu veröffentlichen.
Was ist das Besondere am Autor?
Zum einen seine Vielfalt. Er hat Prosa, Lyrik und Drama geschrieben, er war Schriftsteller, Regisseur und Schauspieler. Um Genregrenzen hat er sich auch nicht geschert. Zum anderen seine sprachliche Sicherheit. Er hat seine Vorstellung von Literatur konsequent umgesetzt, ohne gefällig zu sein. Und radikale, umstrittene Figuren in den Mittelpunkt seiner Werke gestellt, etwa den “Marquise de Sade”, oder psychische Extremzustände ausgelotet.
Warum wurde Oberdörfers Werk zu Lebzeiten so wenig Beachtung geschenkt?
Darüber kann ich nur spekulieren. Er hat zwei Romane in der Edition Raetia veröffentlicht, „Gischt“ und „Mauss“. Kleine Südtiroler Verlage haben natürlich weniger Einfluss und Mittel, um Autor*innen und Bücher bekannt zu machen. Und damit du bei einem großen Verlag unterkommst, musst du wohl jede Menge Glück haben und „vermarktbar“ sein. Als Autor war er so vielfältig, dass kein Etikett passte. Und als Mensch wahrscheinlich niemand, der große Lust hatte, sich selbst zu verkaufen. – Ein marketingtechnischer Alptraum! Südtirol spielt kaum eine Rolle in seinen Texten, das hat die Südtiroler Kritik, so könnte ich mir vorstellen, wohl auch nicht goutiert. Einige seiner Texte sind sperrig und bieten kaum Identifikationsmöglichkeiten, er verlangt seinen Leser*innen schon was ab.
Muss ein Künstler erst sterben, damit seinem Werk die nötige Aufmerksamkeit, der nötige Respekt gezollt wird?
Manche Künstler*innen sind ihren Zeitgenossen voraus, das Paradebeispiel ist van Gogh. Ich glaube jetzt zwar nicht, dass das auf Oberdörfer zutrifft, er war ein Kind seiner Zeit. Wobei er mit einigen Texten in Südtirol doch angeeckt ist, etwa seiner Version von „Anna Jobstin“, aufgeführt im Jahr 2007 auf Schloss Prösels. Sie wurde in der Dolomiten verrissen. Stefanie Risse, eine einstige Kritikerin der SZ, bezeichnete das Stück hingegen als „hervorragendes modernes Dokumentartheater“. Aber generell ist der Tod wohl immer ein – wenn auch trauriger – Anlass, sich intensiver mit dem Vermächtnis des Verstorbenen zu befassen.
Glaubst du, dass Peter Oberdörfer dieses Buch auch gewollt hätte?
Das kann ich nicht beantworten, da ich ihn nicht gekannt habe. Laut Sonja Steger, Haimo Perkmann und seiner Familie hätte er sich gefreut.
In Südtirol ist es ja doch so, dass man sich in der Kunstszene kennt … Wie kritisch kann man sich mit dem künstlerischen Werk eines „befreundeten“ Autors auseinandersetzen?
Ich bin, sobald ich eine persönliche Beziehung zu jemandem habe, bezüglich seines Schaffens voreingenommen. Sofern ich dies reflektiere oder besser, kenntlich mache, denke ich, ist es ok. Wir haben als Team über dieses “Dilemma“ gesprochen, besonders Haimo Perkmann war der Meinung, dass er Oberdörfers Werk nicht beurteilen könne, weil er sein Freund gewesen war. Für ihn und für Sonja Steger war deshalb mein Urteil als „neutrale“ Leserin und Mitwirkende sehr wichtig.
Was war die Absicht hinter dem Projekt?
Unsere Intention und unser Anspruch waren weniger eine literaturkritische Auseinandersetzung, sondern wir wollten Oberdörfers unveröffentlichtes Schaffen zugänglich machen. Deswegen heißt es im Untertitel auch „Lesebuch“, es hat keinen wissenschaftlichen Anspruch. Wir haben uns die Freiheit genommen, jene Texte auszusuchen, die wir repräsentativ für sein Schreiben und die wir gut fanden – zum Teil auch ganz persönlichen Vorlieben folgend. Und wir wollten Weggefährt*innen und Freund*innen die Möglichkeit geben, darüber zu schreiben, was Oberdörfer oder sein Werk für sie bedeutet haben.
Der einführende Essay von Univ.-Prof. Dr. Paul Scheichl sollte dem*der Leser*in Orientierung für die Einordnung des Autors geben. Er war Oberdörfers Werk überraschend gewogen, er kannte den Autor zuvor nicht. Der Essay hätte sehr viel kritischer ausfallen können und wir hätten ihn natürlich auch gedruckt.
Theater, Lyrik, Prosa. Was ist dein liebster Oberdörfer? Wo war er für dich am Stärksten?
Bei der Prosa finde ich „Mauss“ und „Blawatski“, aber auch die „hartgesotten“-Texte, etwa „Paradiso“, besonders gelungen. Bei den Theaterstücken fand ich „Temperatur der Wahrheit“ sehr gut.
Gab es Überraschungen?
Für mich war überraschend, dass Oberdörfer Südtirol so sehr aus seinen Texten ausgesperrt hat. Spannend war, seine Entwicklung als Autor „nachzulesen“, zum Beispiel vom frühen Romanfragment „Namen oder die Macht des Hintergrunds“ hin zum Roman „Gischt“ (2005).
Der mehrsprachige Literaturwettbewerb Frontiere-Grenzen in Primiero im Trentino verleiht ab heuer den Peter-Oberdörfer-Literaturpreis …
Ja das stimmt! Peter Oberdörfer war seit 2005 in der Jury zusammen mit Joseph Zoderer. Ich war vor zwei Jahren in Primiero dabei und habe die Veranstalter kennengelernt. Wir hatten gemeinsam mit ihnen die Idee, einen Peter-Oberdörfer-Preis auszuloben. Dieser wird heuer zum ersten Mal verliehen. Frontiere-Grenzen ist in meinen Augen ein besonderer Literaturpreis, da die Teilnehmer ihre Texte in vier verschiedenen Sprachen abliefern können.
Was wünscht du dir für das Buch?
Natürlich, dass es viele Leser*innen findet! Die dann vielleicht auch Lust bekommen, „Mauss“ und „Gischt“ zu lesen.
Fotos: (1–3) Nachlass Peter Oberdörfer; (4) Christine Kofler
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