Music
September 20, 2018
Der wahre Geist des Punk: Stefano Bernardi
Florian Rabatscher
Sprechen wir zwischendurch mal über etwas Klassisches, die „Wassermusik“ von Telemann. Gütiger Gott! Klassische Musik? Will dieser ahnungslose streunende Gossenhund jetzt allen Ernstes über klassische Musik schreiben? Oh ja, und nicht nur irgendwie, sondern wie der Engländer, der seinen Tee trinkt, mit dem kleinen Finger in der Luft. Cheerio! Also beruhigt euch wieder, die Musik spielt ja ein anderer.
Am Samstag 22.09.2018 wird euch Stefano Bernardi, im Rahmen von Transart, mit seiner Interpretation dieses Stückes verzaubern. Oder erschrecken? Verwirren? Irgendein Gefühl wird es schon in euch auslösen. Jedenfalls nennt es sich „Luciferine“ und findet beim Alperia-Tower statt, der auch Teil der Show sein wird. Aber zu viel will ich jetzt auch gar nicht verraten. Begleitet wird er von Andrea Polato am Schlagzeug und er selbst wird Gitarre spielen, singen und dazu noch einen analogen Synth bedienen. Habt ihr den Sound aus Clockwork Orange präsent? Irgendwie so könnt ihr euch schon mal den Synth-Sound vorstellen. Oh ja, ich liebe diesen Film, für mich schon Grund genug hinzugehen. Aber nicht nur das, es wird ziemlich abgefahren. Die meisten werden bestimmt denken: „Sind diese zwei Typen total bescheuert?“ Aber nicht doch, es steckt doch soviel Arbeit dahinter. Das Ganze baut sich auf einer MIDI-Spur des Stücks von Telemann auf. Die aber so stark von ihm verändert wurde, dass man es gar nicht wieder erkennt. Da sitzen wir also, Stefano und ich, in einer dieser schillernden Kneipen. Die Fragen, die im Raum umherschwirren: Wie kam es zu dieser Idee? Und warum zum Teufel hat er sich diese MIDI-Spur überhaupt runtergeladen? Eine banale Frage, die wahrscheinlich keine Sau interessiert. Aber ihr werdet sehen, die Antwort darauf liegt viel tiefer, als man denkt …
Spulen wir deshalb also weiter zurück in Stefanos Leben. Wir befinden uns in Bruneck, Anfang der 80er Jahre. Ein 14-Jähriger Stefano Bernardi macht erste Bekanntschaften mit der Musik. Viel hatte er nicht zum Experimentieren. Genauer gesagt, einen Musikkassetten-Recorder, alte Kopfhörer und das wars. Ok, somit konnte er Musik hören, aber dabei blieb es natürlich nicht. Da der Recorder über zwei Mic-Eingänge verfügte, wurden die Kopfhörer prompt als Mikrofon benutzt. Aus Mülltonnen wurden Trommeln gebastelt und eine Gitarre war schon da. Seine erste Band war geboren und sie nannte sich U-Boot, was für ein legendärer Name übrigens. Gespielt wurde irgendwas in Richtung „New-Wave“. Aber wichtiger: schon damals besaß er diese DIY-Punk-Attitüde. Schon beeindruckend, da er ja keinen blassen Schimmer hatte, was Punk eigentlich ist. Wie auch? Von Internet waren wir noch weit entfernt und der Spirit des Punk war im Pustertal, glaube ich, nicht sehr präsent. Aber in Stefanos Kopf brütete er schon vor sich hin. U-Boot bastelten also selbst ihre Instrumente und spielten von Anfang an eigene Songs. Ihre restliche Karriere ist schnell erzählt: Für die Live-Auftritte wurde die Stereo-Anlage des Vaters – sagen wir mal – ausgeliehen. Zurück kam sie jedoch nie. Die Instrumente darüber zu spielen war wahrlich eine Schnapsidee, die dreimal funktionierte. Natürlich brannte alles durch. Die Lehre daraus: Es gibt ja Verstärker!
Den wahren Punk-Spirit lernte er dann aber doch noch kennen. Wir schreiben das Jahr 1988, Synthesizer sind aus der Musik nicht mehr wegzudenken. Ein Clash der Subkulturen. Snobs und Punks auf Kriegsfuß. In größeren Städten musste man schon Farbe bekennen, wovon man in Südtirol wahrscheinlich immer noch wenig spürte. Doch unser Held befand sich mittlerweile in Bologna, da er dort eine Freundin hatte. Ihr könnt euch vorstellen, mit wie großen Augen der junge, nichtsahnende Südtiroler dort stand. Von den Bergen in den Großstadtdschungel, ein verdammter Kulturschock. Heutzutage unvorstellbar, da wir doch so stark vernetzt sind, über alles Bescheid wissen und sowieso alles zum Einheitsbrei verkommen ist. Verflucht sei die Globalisierung! Naja, jedenfalls stand Stefano da wie ein Eingeborener, der zum ersten Mal mit Messer und Gabel isst, obwohl er wahrscheinlich lieber seinen Gegenüber verspeisen würde. Diese Stadt war also eine Erleuchtung für ihn und stellte seine Welt auf den Kopf. An Sounds wurde natürlich weiterhin gebastelt, er kaufte sich einen Synth, einen kleinen Drum-Computer und integrierte dazu noch reale Instrumente. Dazu machte er auch noch ein Kunststudium. Sagen wir, er tat zumindest so, als würde er studieren. In der Uni traf man ihn nicht oft an … Seine Neugier oder sein ganz eigenes Studium, zog ihn öfter auf eine Insel mitten in der Stadt. „L’isola nel Kantiere“, ein besetztes Haus in dem, regelmäßig Punk-Konzerte stattfanden. Intelligenter Hardcore-Punk, um genau zu sein, ganz im Zeichen der Band „Fugazi“. So etwas Wildes hatte er vorher nie gesehen, einfach fantastisch. Viel besser als die Uni. Um euch ein besseres Bild zu verschaffen, seht euch einfach das folgende Video an. … vielleicht war da Stefano auch mitten in diesem disziplinierten Publikum und tanzte grazil vor sich hin, wer weiß …
Als er 1994 wieder zurück nach Südtirol kam, entdeckte er die Filmschule ZeLIG für sich. Er fing an mit Film zu experimentieren. Mit Filzstiften bemalte er Super-8-Film und -Dias. Darauf wurden sie noch mit Löchern ausgefüllt. Der Sound dazu war einfach eine Musikkassette, die er stoppte und langsamer ablaufen ließ. Ihr könnt euch wahrscheinlich vorstellen, wie das klang. Dann nahm er alles zusammen mit einer VHS-Kamera auf. Voilà, fertig war sein Werk „Der Tod des Ödipus“. Mit diesem Wahnsinn von Film bewarb er sich also an der Schule und tatsächlich wurde er aufgenommen. „Die haben sie ja nicht mehr alle! So was nimmt doch keiner ernst,“ war sein erster Gedanke. Er konnte es selbst nicht fassen, aber so läuft das bei Stefano Bernardi. So kam er also ins Filmgeschäft und die Überraschungen gingen noch weiter. Kurz darauf meinte die Filmschule auch noch: „Du machst Musik und kennst dich mit Sounds aus …“ Was zum Geier? Das stimmt ja nicht. So entwickelte sich das Ganze und durch die Praxis wurde er auch zum Klangkünstler. Ein Sampler und ein Atari (ein magisches Teil übrigens) wurden angeschafft. Er fing an, Stummfilme zu vertonen, und war immer mehr in seinem Element. Es begann wirklich zu wachsen. Immer tiefer stürzte er sich in diese Arbeit, schaffte sich weitere Synths an, vertonte Filme und machte auch selbst welche. Nicht mehr im Stil von „Der Tod des Ödipus“, sondern Dokus. Man kann sagen, sein Leben lief einfach wie von selbst.
Nach ZeLIG arbeitete er noch zwei Jahre für eine Produktionsfirma. Und ja, er war wieder einmal überrascht, dass er angestellt wurde. Diese Zeit war für ihn ein super Training, vielleicht weil alles in geordneten Bahnen verlief. Eine interessante Zeit, sogar Reportagen für den ORF wurden gemacht. Als er ging, waren alle traurig und meinten er komme sicher zurück. Die Stelle wäre immer frei für ihn, doch er kam nie wieder. Ihm war eigentlich erst nach der Kündigung bewusst, wieviel er in so kurzer Zeit erlebt hatte. Doch einen Wolf sperrt man nicht ein. Seitdem macht er alle seine Projekte wieder auf eigene Faust, mit weiteren Mitstreitern, denen er bis heute treu blieb. Von Film bis zu diversen Arbeiten mit Luftballons. Ja, Luftballons. Dann wäre da noch die Sache mit dem Pneumophon, ein Instrument, das er aus alten Orgelpfeifen herstellt, das völlig ohne Strom und ausschließlich mit unserer eignen Energie funktioniert. Klingt schräg? Nicht wahr? Seht es euch deswegen am besten selbst an und probiert es aus.
Im Nachhinein denkt er aber, hätte er den Dingen wirklich mehr eine Linie geben können. Nicht inhaltlich, sondern existenziell. Jetzt, mit fast fünfzig Jahren, kommen ihm manchmal solche Gedanken. Die Leute fragen: Wer bist Du? Was machst du? – Was anstrengend ist. Denkt ihr wirklich, ein Künstler lebt wie Charlie Harper aus „Two and a half men“ einfach so in den Tag hinein? Kompletter Schwachsinn. Einen Kredit von der Bank zu bekommen ist für ihn zum Beispiel um einiges schwerer als für normale Arbeiter. Alles ist so eingeschränkt, geordnet und brav in unserem System. In solchen Momenten fühlt er sich immer noch wie ein Jugendlicher, was oft auch nicht so schlecht ist. Es ist einfach Fluch und Segen zugleich, wenn man sich der Kunst verschreibt. Ich dachte immer Punk ist tot, doch jetzt wurde ich eines Besseren belehrt und dafür danke ich dir, Stefano. In ihm lebt weiterhin der Geist des Punk. Auch wenn er sich in dieser gottverdammten Spießerwelt behaupten muss, funktioniert es irgendwie. Wie alles bei Stefano Bernardi. Darum zurück zur Frage, warum er diese MIDI-Spur der Wassermusik heruntergeladen hat? Er weiß es gar nicht. Aber scheiß drauf, wie ihr seht, muss er es auch nicht wissen. Ist es Intuition? Ist er ein Tier und handelt nach Instinkt? Was es auch ist, es läuft. Darum Schluss jetzt mit der nervigen Fragerei. Zieht euch den Stock aus dem Arsch und lasst den Dingen manchmal ihren Lauf. Wer am Samstag also zum Alperia Tower kommt, sieht ihn vielleicht auch … Den wahren Geist des Punk.
Fotos: Stefano Bernardi
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