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December 24, 2019
Der Mann fürs Grobe: Michele Melani
Florian Rabatscher
Schon einmal etwas von Formasette gehört? Hinter dem Namen verbirgt sich das Studio der beiden Bozner Gottardo Giatti und Michele Melani, das sich der Kunst von Videoproduktionen verschrieben hat – Filmkunst der extremsten Variante. Unscheinbar versteckt in der Schlachthofstraße spuckt dieses Studio unfassbare Bilder auf die Leinwände. Die beiden Herren betreiben ihr Handwerk mit einer solchen Leidenschaft, dass es allein schon ein Film für sich wäre, sie bei der Arbeit zu beobachten.
In ihrem Studio treffen wir Michele Melani, den man im ersten Moment vielleicht nicht hinter der Linse vermuten würde – er scheint nicht der klassische Film-Typ zu sein, besitzt vielleicht eher die Ausstrahlung eines Haudegens – einer von der besonderen Sorte, dem keine Gefahr zu groß scheint und der bei einer Kneipenschlägerei an vorderster Front stünde … Auch seinen Beruf hat er immer schon nicht unbedingt auf die herkömmliche Weise ausgeübt: Bevor er sich 2007 mit seinem Kollegen Gottardo Giatti selbstständig gemacht hat, lebte er in Rom und stand für „Exit – Uscita di Sicurezza“ hinter der Kamera. Ausgestrahlt auf dem Kanal LA7 widmete sich diese Investigationssendung mit Ilaria d’Amico höchst brisanten Themen, wie der Aufdeckung von Geschäften der kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta, zum Beispiel. Da sich Michele bei diesem Job ständig in gefährliche Situationen begab, ist es nicht verwunderlich, dass er auch zusammengeschlagen wurde … Nach einer Weile wurde es ihm doch zu bunt und zu extrem, für seine Arbeit ständig sein Leben zu riskieren und er beschloss, nach Bozen zurückzukehren.
Außerdem lag es noch mehr daran, dass Michele eigenständiger arbeiten wollte. 2007 wurde Formasette ins Leben gerufen, dessen Start vielleicht der Umstand etwas erschwerte, dass Bozen nicht gerade als Mekka der großen Filmproduktionen galt. Vor dem Filmteam lag ein harter Weg. Dank ihrer aufgeschlossenen Arbeitsweise und dem starken Innovationsgeist konnte Formasette international aber bereits 2011 mit der Produktion von „The Million Dollar Weekend“ in Dubai durchstarten. Ein Jahr später folgte eine Produktion von „Frontline Battles“ für den History Channel, wo es um die Überlebensfähigkeit von Soldaten im Ersten Weltkrieg in den Dolomiten ging. In derselben Berglandschaft drehten Melani und Giatti auch zwei Staffeln der Serie „Mountain Heroes“ für DMAX. Dafür lebten sie einen Monat mit dem Team des „Aiut Alpin Dolomites“ zusammen und begleiteten sie auf Schritt und Tritt. „Eine Wahnsinnszeit“, meint Michele. Er verbrachte mehr Stunden als die Piloten selbst in der Luft, sah unglaubliche Szenen, Verletzte und auch Tote. Bei einem Flug in der Nähe der Drei Zinnen ließ sich Michele für eine Aufnahme aus dem Helikopter hängen – festgehalten und „gesichert“nur von jemand anderem hinten an seinem Gürtel. „Adrenalin pur“, erzählt er enthusiastisch. Bei solchen Geschichten würde man ihm am liebsten ein „Give-me-five“ anbieten – wenn es nicht so aus der Mode gekommen wäre. Diese Aktionen beschreiben genau die – unübliche – Arbeitsweise, die Formasette so besonders macht und weshalb sie sich im Bereich Filmproduktion inzwischen einen eigenen Platz erkämpft haben – die Männer fürs Grobe.
Weitere Projekte verwirklichten sie mit dem Überlebenskünstler und Abenteurer Bear Grylls und – wie sollte es anders sein – waren auch diese Sendungen ein bisschen extrem, wahnsinnig und gefährlich – ganz nach dem Motto von Formasette „If you can dream it, we can film it.” – wenn die Filmidee auch noch so verrückt oder scheinbar aussichtslos klingt, diese beiden Männer könnten es doch hinkriegen. Das dachte sich auch niemand geringeres als National Geographic, für den sie gerade ihren letzten Dokumentarfilm „Il segreto degli oceani“ fertig gestellt haben. [Am 25. Dezember 2019 ist er übrigens um 20:55 Uhr auf Sky 403 zu sehen. Einige Filmstills sind in MORENESS 01 veröffentlicht.] Für alle Hintergrundinfos lassen wir Michele Melani selbst zu Wort kommen.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit National Geographic?
Dank unserer bisherigen Projekte haben wir es geschafft, uns in der Szene einen Namen zu machen. Wir haben Federico Fanti getroffen – einen der Explorer der für National Geographic für Entdeckungen um die Welt reist. Er hatte die Idee, einen Film über Korallenriffs zu machen. Viele Leute wissen gar nicht, was das ist und denken dabei eher an einen schönen Platz zum Tauchen. Aber eigentlich sind sie neben dem Amazonas die zweite Lunge der Erde. Auch ich wusste vorher nicht viel darüber und habe mir deswegen zur Vorbereitung mit Büchern usw. acht Monate lang Wissen erarbeitet, um zu verstehen, was es mit diesen Korallenriffen auf sich hat. Das Vorhaben war langwierig: Wir haben vor zwei Jahren mit der Arbeit begonnen und jetzt wird die Reportage ausgestrahlt.
Wie kam es zur „Story“ für den Film?
Korallen sind wunderschöne Kreaturen, aber sie bewegen sich nicht, was es schwierig macht, sie zu filmen. Sie können nicht unbedingt viel Emotion rüber bringen. Die Kernaussage stand, aber es fehlte die Story. … wir waren in Montserrat, einer kleinen karibischen Insel: 1995 brach dort ein Vulkan aus und zerstörte die gesamte Hauptstadt Plymouth. Das moderne Pompei sozusagen. Jetzt ist es bloß noch eine Geisterstadt, die von Lavastaub bedeckt ist. Auch die Korallen wurden zerstört, kamen mit den Jahren aber wieder. Und wir waren die ersten, die diese neuen Auswüchse gefilmt haben. 25 Meter unter Wasser wuchsen sie wieder, unangetastet von Menschen, da es sich um eine Sperrzone handelt. Wenn also der Mensch abwesend ist, regeneriert sich die Natur von alleine …
Ist das die Aussage des Films?
Ja, die Natur kann auch nach großen Katastrophen überleben, der Mensch nicht. Was man gut am Beispiel Plymouth sehen kann: Die Stadt wurde nicht wieder aufgebaut, aber die Korallen kamen zurück. Der Mensch zerstört den Planeten, weil er ihm scheißegal ist. Wir sind eher wie eine Krankheit, denn die Natur entwickelt sich immer weiter, nur der Mensch hält sie auf. Das wollen wir mit diesem Dokumentarfilm vermitteln.
Ihr habt auch in Dolomiten gedreht. Was habt ihr dort gesucht?
Auch die Dolomiten sind eigentlich fossile Korallen. An ihnen können wir gut sehen, wie sie ohne menschliche Einwirkung entstehen, leben und sterben. Die Dolomiten dienten uns als Vergleich zu den derzeit bestehenden Korallenriffs. In Tansania haben wir sogar eine neue Art von Korallenriff gefilmt, das gelernt hat gegen seine Natur zwischen Gestein zu wachsen. Eine neue intelligente Evolution, um zu überleben. Wieder etwas, das der Mensch nicht schafft …
Was waren die größten Herausforderungen beim Dreh?
Die größte Schwierigkeit war das Reisen an sich, wenn man sich im letzten Winkel der Welt mit 500 kg Ausrüstung und Geräten befindet. In Plymouth waren wir zudem immer in Alarmbereitschaft, da der Vulkan noch aktiv ist. Dann musst du durch vier Flughäfen, wo natürlich alles durchsucht wird, was bei 40 Kisten voller Equipment nicht gerade ein Zuckerschlecken war. In Tansania nahm man uns am Flughafen zum Verhör mit in ein Hinterzimmer. Gottardo löste das Problem übrigens mit ein paar Dollar, so läuft das. Dann fuhren wir zehn Stunden mit dem Jeep ins Nirgendwo, bis wir in einem schönen Fischerdorf ankamen. Dort haben wir mit einem Großteil des Filmteams acht Stunden auf einem wackeligen, hölzernen Fischerboot gearbeitet – der Fischer musste ständig das Wasser ausschöpfen. Federico musste sich sogar übergeben, meinte dann aber erleichtert: „Nun geht es besser, fahren wir weiter.“ Die leichtesten Momente erlebten wir eigentlich in den Dolomiten, weil wir sie kennen, alles andere war für uns extremer.
Hört sich nach einem guten „Making-of“ an. Ist eines in Planung?
Es wird in der Tat noch eines erscheinen. Diese Reise war wirklich absurd, 25 Tage, ohne Pause. Von Italien nach Washington, nach Montserrat, zurück in die Dolomiten, von da nach Tansania und zurück nach Hause. Drei Kontinente in extrem kurzer Zeit. Wir schliefen meistens nur während der Flüge, die oft über zehn Stunden gedauert haben. Nach der Ankunft wurde immer sofort gearbeitet, da ein Team von 15 Leuten über den Globus zu schicken pro Tag sehr viel Geld kostet. Die letzten zwei Monate verbrachte ich jeden Tag im Studio, um alles fertigzustellen. Meistens bis 4:00 Uhr Früh, dann vormittags etwas Zeit mit den Kindern und wieder zurück ins Studio.
Und nun? Legst du eine verdiente Pause ein?
Ich bin wirklich fertig und auch ein bisschen traurig, dass es vorbei ist. Ein Projekt abzugeben fällt mir schwer, da man ständig noch etwas verbessern möchte. Aber wir müssen uns jetzt neuen Projekten widmen. Es ist wie mit einem Kind, da man irgendwann weiterziehen lassen muss.
Fotos: Michele Melani
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