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August 9, 2018
Der Versuch, ein Tabuthema aufzubrechen
Text Nadine Pardatscher
Das Hotel Amazonas öffnet seine Türen, besser gesagt seinen Vorhang! Vom Kino unter freiem Himmel haben wir ja schon gelesen, aber wer weiß denn, wo’s Kino unter Palmen gibt? Der skurrile Ort heißt Hotel Amazonas. Im Duden wird man bei “Hotel” schnell fündig, aber die Rede ist nicht von einem (als Gewerbebetrieb geführten) Haus mit bestimmtem Komfort, in dem Gäste übernachten bzw. für eine bestimmt Zeit des Urlaubs wohnen können und verpflegt werden. Genauso wenig trifft die Beschreibung des deutschen Rechtschreibbuches für “Amazonas”zu – nämlich: ein südamerikanischer Strom – und wovon ich euch erzählen möchte.
Im Hotel Amazonas, einem Projekt, das ursprünglich auf Zeit eingerichtet worden war, residieren Kunst und KünstlerInnen. Der Aspmayrhof, ein Buschenschank auf Voranmeldung, hat diesen Seitensprung gewagt und sich seit einer ganzen Weile schon auch als Veranstaltungsort in Unterwangen am Ritten etabliert. Im Sommer 2018 laden die Künstlerin und Hofbesitzerin Margareth Kaserer und der Künstler und Bauer Simon Steinhauser das Filmpaar Veronika Kaserer und Jan Zabeil ein, im Rahmen eines Sommerkinos an zwei Abenden ihre Eigenproduktionen vorzustellen (Überall wo wir sind von Veronika Kaserer am 10.8.2018 und Der Fluss war einst ein Mensch von Jan Zabeil am 17.8.2018). Im Anschluss an die Filmvorführung gibt es ein Publikumsgespräch mit willkommenen Bemerkungen und/oder Kritik zum Film. Vorhang auf, Film ab! (Jeweils ab 21 H, bei schlechtem Wetter wird der Film in der Stube projiziert, Eintritt: freiwillige Spende, ab 19 H ist die Küche geöffnet.)
Fragen wir mal bei der Regisseurin Veronika Kaserer nach: Sie hat 2010 in Südtirol die Filmschule Zelig beendet und sich nach längeren Aufenthalten in London, Amerika und Österreich seit vier Jahren für ein Leben in Deutschlands Hauptstadt entschieden. Für den Film “Überall wo wir sind” wurde Veronika Kaserer dieses Jahr in Berlin mit dem Kompass-Perspektiven-Preis ausgezeichnet.
Veronika, für die neueste Filmproduktion hast du dich mit dem drohenden Tod und dem einhergehenden Kontrollverlust auseinandergesetzt. Wieso?
Ich habe schon früh erkannt, dass jener, der sich mit dem Tod intensiv auseinandersetzt und die Trauerbewältigung bewusst erlebt, sich gleichzeitig sehr stark mit dem eigenen Leben beschäftigt. Dadurch wird ein Bewusstsein geschaffen, für das, was im eigenen Leben wirklich wichtig ist und auf welche Dinge man auch eventuell verzichten kann. Ein Verlust von einem geliebten Menschen bedeutet zumeist eine extrem intensive Erfahrung. Auf den Tod ist man nicht vorbereitet und man muss sich eigentlich in seine Situation oder seine Gefühle hinein begeben. Anfangs ist der Schmerz überwältigend groß und man weiß nicht, wie man damit umgehen soll. Meiner Erfahrung nach, und es klingt vielleicht absurd, konnte ich aber nach dem Verstreichen einiger Monate oder Jahre etwas Positives darin erkennen. Somit hat sich dieser Schmerz in gewisser Weise für mich und meine persönliche Entwicklung gelohnt, weil mir klar geworden ist, was mir im Leben wichtig ist. Genau diese Botschaft möchte ich durch den Film “Überall wo wir sind” vermitteln. Der Tod gehört zum Leben und es ist umgekehrt auch möglich, Leben in den Tod zu bringen.
Wie wichtig ist diese Thematik für die heutige Zeit?
Der Tod ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema und zwar nicht nur der Tod an sich, sondern auch der Umgang mit sterbenskranken Menschen oder mit denjenigen, die einen Sterbenden unter sich haben bzw. mit einem Kranken leben. Wie gehe ich mit diesen Menschen um, die einen Kranken pflegen, und wie verhalte ich mich gegenüber dem Menschen, der in absehbarer Zeit nicht mehr unter uns sein kann? Diesen beiden Fragen galt mein Hauptinteresse und Ansporn für die vorliegende Filmproduktion. Damit verbunden sind natürlich die Auswirkungen auf die Familie und auf die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern. Ich empfinde, dass es in unserer Gesellschaft diesbezüglich noch Berührungsängste und große Fragezeichen gibt. Insofern hoffe ich, dass ich mit dem Film einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dieses Tabu ein bisschen aufzubrechen.
Welchen persönlichen Bezug hast du zum Thema Sterben und dem Tod?
Ich bin auf einem Berbauernhof (Aspmayrhof) in der Nähe von Bozen aufgewachsen und meiner Meinung nach wurde dort ganz offen mit dem Tod umgegangen. Beim Sterbeprozess meines Großvaters wurde mir und meinen Geschwistern nicht verboten, dabei zu sein. Das heißt, es wurde auch zuhause gestorben und nicht im Krankenhaus. Als ich 25 Jahre alt war, ist meine Mutter überraschend an einem Gehirntumor erkrankt und bereits ein halbes Jahr darauf verstorben, wobei das für mich und meine Familie ein sehr tragischer und vor allem plötzlicher Einschnitt in unser Leben war. Anfangs war es schwierig, einen bestimmten Umgang zu finden, weil man in gewisser Weise die Kontrolle über das Leben verliert und erst mit der Zeit lernt, wie man mit dem Verlust einer so nahestehenden Person umgehen kann. Es ist schwer zu akzeptieren, dass man die Gefühle nicht mehr, wie gehabt, im Griff hat, dass einem Vieles gleichgültig erscheint und auch, dass man sich den Tränen hingeben muss. Man erlebt Schmerzen, die man bis dato nicht kannte und trotzdem habe ich mit der Zeit verstanden, dass mich dieser Verlust stark gemacht hat. Damals habe ich mich für ein Studium an der Filmschule Zelig entschieden und mein Leben dadurch stark verändert. In einem abstrakten Sinn half mir diese starke Trauer diesen Schritt zu wagen und heute empfinde es auch als eine Art Geschenk, das mir meine Mutter gemacht hat.
Du hast einen Dokumentarfilm über eine sterbenskranke Person gedreht, obwohl du die beteiligten Personen anfangs gar nicht kanntest. Wie ist es dir als Außenstehende trotzdem gelungen, einen so intimen Film zu drehen?
Für Wochen und Monate habe ich in Berlin, nicht zuletzt aus praktischen Gründen, recherchiert, um eine Person bzw. eine Familie ausfindig zu machen, die es mir erlaubte, für eine gewisse Zeit in die “Mitte der Familie einzudringen”. Dank einer Palliativärztin lernte ich Heiko, einen jungen, extrovertierten Tanzlehrer, kennen, der an Krebs erkrankt war und sich für eine Dokumentarverfilmung interessierte. Es war Freundschaft auf den ersten Blick. Ich habe Heiko meine Beweggründe für die Filmproduktion erklärt, aber auch, was es für ihn und seine Familie bedeuten kann, wenn die verschiedenen Situationen von der Kamera begleitet werden. Im Zuge der Dreharbeiten war ich oft nur allein vor Ort und habe die Kamera selbst bedient und den Ton aufgenommen. Dadurch geriet ich mehr und mehr in den Hintergrund und wurde zugleich Teil der ganzen Situation. Im Nachhinein hat sich die Familie sehr über den Film gefreut, was bei mir ein Gefühl der Zufriedenheit hinterließ. Als Regisseurin muss ich eigene moralische Grenzen erkennen, Grenzen ausloten und ich glaube und hoffe, dass ich das mit diesem Film geschafft habe.
Fotos: (1) Daniel Seiffert; (2) + (3) Überall wo wir sind, Filmstills, Veronika Kaserer
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