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July 20, 2016

Displaced Positions: Quando una cartolina trova nel mittente il suo destinatario

Allegra Baggio Corradi

«Displaced Positions» è un progetto annuale nato su iniziativa della Biblioteca Provinciale Teßmann in collaborazione con Museion e Hannes Egger.
Dal 24 ottobre 2015 fino al 22 ottobre 2016 calendari e cartoline disegnati da 12 artisti sono distribuiti gratuitamente dal servizio di consegna dell’Ufficio audiovisivi a 14 biblioteche della regione. In controtendenza rispetto alla frammentarietà della risposta politica e legislativa ai recenti flussi migratori verso l’Europa e più nello specifico verso la nostra provincia, il progetto invita a riflettere e porre in discussione le proprie posizioni in merito alla questione dell’immigrazione proponendo delle suggestioni visive in grado di scuotere l’opinione comune.

Ogni cartolina è da intendersi come uno strumento di ponderazione critica in grado di trasformare un messaggio epistolare – quello di un’artista per il pubblico – in uno scambio culturale – quello tra il migrante e il cittadino autoctono – al fine di instaurare un dialogo proficuo e fruttuoso soprattutto sotto il profilo umano. Lo spostamento – o displacement – suggerito dal titolo del progetto è dunque quello di un punto di vista – o position – che spesso a causa della cattiva informazione, è deviato o non completamente accurato. Con ogni prestito in biblioteca viene consegnata una cartolina che con funzione di segnalibro, getta un ponte tra destinatario e mittente fino a dissolvere le differenze tra essi; le medesime differenze che esistono tra i cittadini di una comunità nel quotidiano. In linea con lo spirito inclusivo del progetto «Displaced Positions», vi proponiamo un’intervista bilingue con il direttore della Biblioteca Teßmann, Johannes Andresen. 

Per iniziare dato che è la tua prima intervista con franzmagazine ti chiederei di presentarti raccontando la tua esperienza come direttore della Landesbibliothek Teßmann. Come sei arrivato qui e quale è stata fino ad ora la tua carriera nel settore bibliotecario?

Inzwischen sind es auch schon gut neun Jahre, dass ich die Landesbibliothek leiten darf. Davor habe ich fünf Jahre den Bibliotheksverband Südtirol, eine Dachorganisation aller Bibliotheken in Südtirol, geführt. Zunächst bin ich jedoch aus ganz anderen Gründen nach Südtirol gekommen. Der Abschluss meines Studiums der Geschichte in Bonn und Granada hatte mich nach Südtirol geführt. Ich wollte einmal längere Zeit am Stück in der Heimat meiner Mutter sein und hatte mir vorgenommen, die Sozialgeschichte der Stadt Bozen im 16. Jahrhundert im Rahmen meiner Abschlussarbeit genauer zu untersuchen. Das war auch die Zeit der ersten intensiven Kontakte mit der Teßmann, allerdings aus ganz anderer Perspektive ; – ). Weil ich mich viel in Archiven und Bibliotheken aufgehalten hatte, zog es mich über ein Stipendium der Arbeitsgruppe « Geschichte und Region/storia e regione » und einen Projektauftrag des Südtiroler Landesarchivs nach dem Studium nach Südtirol zurück. Ich hatte die Aufgabe, die historische Propsteibibliothek von Bozen mit Beständen aus dem 15.–19. Jahrhundert zu rekonstruieren. Das war auch der Startschuss für meine Beschäftigung mit der Welt der Bibliotheken. Ich bekam dann die Gelegenheit, die Projektassistenz im Projekt Erschließung historischer Bibliotheken zu übernehmen. Und von den historischen Bibliotheken war es dann nur noch ein kleinerer Schritt zum modernen Bibliothekswesen, in dem ich mich heute bewege. Displaced Positions Postkarte Serena OstiSerena Osti « Sogni e incubi/Träume und Albträume/Dreams an Nighmares » 

Riguardo « Displaced Positions » ti domanderei di introdurre il progetto e descriverne le finalità.

« Displaced Positions » ist aus persönlichen Beobachtungen und in Gesprächen mit Frida Carazzato, Kuratorin im Museion, und Hannes Egger, Künstler aus Lana, entstanden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in einer Bar in Bozen einen Kaffee getrunken habe, ein Inder hereinkam und 10 Euro gewechselt haben wollte. Der Barista hat es ihm verweigert. Damals hatte ich bei mir gedacht, dass er mein Geld wohl ohne Weiteres gewechselt hätte. Für mich war es die Initialzündung, sich intensiver mit dem Migrationsphänomen insgesamt und Vorurteilen gegenüber Migranten zu beschäftigen. Es war die Zeit, wo man immer wieder Sätze wie diese hörte: « Wo haben diese Flüchtlinge die neuen Sneakers her, die ich mir selber nicht leisten kann? » ; « Wieso hat der Schwarze ein so teures Smartphone? » ; « Ich kann keinem Ausländer die Hand geben, weil die alle ansteckende Krankheiten haben. » Wir haben unsere Beobachtungen ausgetauscht und eine Verpflichtung gespürt, etwas zu tun, ohne zunächst genau zu wissen was. Die Grundidee war allerdings klar: Zum Nachdenken anzuregen, viele zu erreichen, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen. So entstand die vielleicht zunächst ungewöhnlich wirkende Gedankenverbindung « Bibliotheken und zeitgenössische Kunst ». Wir wollten die Südtiroler Bibliotheken, die ca. 1/3 der Bevölkerung aktiv erreichen, als « Transportvehikel » nutzen und Südtiroler Künstlerinnen und Künstler einladen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. 12 Südtiroler Künstlerinnen und Künstler haben dazu Postkarten zum Thema « Vorurteile und Migration » gestaltet, indem sie eingefahrene Standpunkte und Gemeinplätze (positions) hinterfragten und verschoben (displaced). Die Künstlerpostkarten liegen von Oktober 2015 bis Oktober 2016 in monatlichem Wechsel als Lesezeichen in allen Bibliotheken auf. Sie können gesammelt und mit eigenen Gedanken, aber auch persönlichen Terminen und Notizen auf einem Wandkalender ergänzt werden, der ebenfalls in den Bibliotheken unentgeltlich erhältlich ist. Die Aktion ist eine Einladung, sich ein Jahr lang mit dem Thema auseinanderzusetzen und mögliche eigene Vorurteile zu hinterfragen. Als Partner konnten wir das Museion, die Koordinierungsstelle für Integration und das Amt für Bibliotheken und Lesen in der Landesverwaltung gewinnen. Weil ein solches Projekt einen äußeren Rahmen braucht, begann die Aktion mit einer Auftaktveranstaltung in der Landesbibliothek am « Tag der Bibliotheken » im Oktober 2015 und endet ein Jahr später wiederum mit einer Abschlussveranstaltung in der Landesbibliothek am diesjährigen « Tag der Bibliotheken » am 22. Oktober 2016.

Quali artisti hanno collaborato fino ad ora e quali le cartoline realizzate?

Derzeit findet sich die von Hannes Egger gestaltete Postkarte « Smartphone Aid » in den Bibliotheken. Begonnen haben wir (in chronologischer Reihenfolge) mit Gabriela Oberkofler « Du riechst gut/Hai un buon odere/You smell Good », Nicolò Degiorgis « Safina Nuh », Serena Osti « Sogni e incubi/Träume und Albträume/Dreams an Nighmares », Simon Perathoner « Heimat_Glitch 2.0 », Julia Bornefeld « Confidence I », Arnold Mario Dall’O « Wer ist der ’Andere’? » und Sara Schwienbacher « Stay Here! ». Bis zum Oktober werden weitere Postkarten von Silvia Hell, Brigitte Mahlknecht, Saman Kalantari und Franz Pichler erscheinen. Bei der Auswahl war uns zum einen wichtig, den sprachgruppenunabhängigen Charakter des Projekts zu unterstreichen und andererseits auch nicht ausschließlich mit einer einzigen KünstlerInnengeneration zu arbeiten.

Displaced Positions Postkarte Hannes EggerHannes Egger « Smartphone Aid » 

Che effetto hanno sortito fino ad ora le cartoline rese disponibili rispetto alla questione dell’immigrazione? Ci sono già state delle reazioni da parte dei lettori o la stampa locale? 

Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Natürlich gab und gibt es vereinzelt ganz konkrete positive oder auch negative Reaktionen auf die Karten. Sie beziehen sich meist auf die künstlerische Ausdrucksform selbst, nur vereinzelt auf die Thematik Migration. Wir sind somit auf indirekte Schlussfolgerungen angewiesen. Etwa auf die starke Frequenz, mit der die Kalenderblätter und die Postkarten mitgenommen werden, sowohl bei uns als etwa auch im Museion oder in der Stadtbibliothek von Bozen. Grundsätzlich scheinen mir die Karten jedoch eine andere Funktion zu haben. Mir geht es selbst ja auch nicht anders. Ich nehme ein Bild in den Medien wahr, vielleicht einmal, zweimal, ohne mir viele Gedanken dabei zu machen. Aber dann in einem thematisch verwandten Zusammenhang fällt mir genau dieses Bild, dieser Satz wieder ein und er beginnt vielleicht in mir zu wirken, in meinem Handeln, in meiner Kommunikation. Ich glaube, darin liegt auch die Kraft der Postkarten.

L’iniziativa della Teßmann è molto interessante dal punto di vista artistico perché trasforma un’opera d’arte in un oggetto accessibile, portatile, personalizzabile, gratuito e che tuttavia conserva il valore e il messaggio che l’artista gli ha infuso nel realizzarlo. In quale misura credi che l’arte oggi possa essere militante senza diventare una vuota protesta? 

Du stellst mit anderen Worten die Frage nach der subversiven Kraft der zeitgenössischen Kunst. Meines Erachtens wird diese Kraft dann wirkmächtig, wenn die zeitgenössische Kunst auf die Menschen zugeht. Ihr manchmal ausgesprochener, vielfach unterschwelliger Anspruch ist es ja, vorauszudenken. Vorausdenken kann ich im stillen Kämmerlein für mich alleine oder ich kann versuchen, meine Gedanken zu teilen. Und dieses Teilen kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise passieren, aber immer, indem es eine Dialogsituation als Möglichkeit schafft. Der Dialog kann gelingen oder auch nicht, aber er muss als Denkmöglichkeit in das Kunstwerk eingebunden sein.Displaced Positions Postkarte Simon PerathonerSimon Perathoner « Heimat_Glitch 2.0 »

Che ruolo svolgono oggi le istituzioni culturali altoatesine nell’educazione sociale dei cittadini, soprattutto i più giovani? Una biblioteca come la Teßmann ad esempio, con la sua vasta raccolta e il suo prezioso archivio, come contribuisce allo sviluppo di una consapevolezza critica dei cittadini rispetto a tematiche del presente? 

Ihre Frage setzt eines voraus, dem ich unbedingt zustimmen würde. Ja, eine Bibliothek steht im gesellschaftspolitischen Diskurs und hat nicht nur kulturelle, sondern auch bildungspolitische Aufgaben wahrzunehmen. Was die Teßmann betrifft, hat die Bibliothek diese Aufgabe bis vor einigen Jahren vorwiegend über ihren Medienbestand wahrgenommen. Sie stellt wertfrei Literatur und Informationen bereit, drängt sich nicht auf, aber bietet an. Seit einigen Jahren versuchen wir, diesen Auftrag, den jede Bibliothek schon immer hatte, zusätzlich durch Veranstaltungen umzusetzen. Abstrakt gesprochen, sind sie letztlich nichts anderes als die Bereitstellung von Informationen in Form eines Vortrags, einer Diskussionsrunde oder einer Literaturmatinee. So sind unsere Veranstaltungsreihen « Bücher im Gespräch » und « Vorträge in der Teßmann » entstanden. Und so soll ganz bewusst im kommenden Jahr eine weitere Reihe entstehen, die wir intern « Horizonte » nennen: Gesellschaftspolitische Fragen, die viele von uns bewegen, auf den Punkt gebracht. Das kann ein Informationsabend zum Brennerbasistunnel, eine Diskussionsrunde zum neuen Bildungsgesetz, ein Vortrag über die Auswirkungen des Klimawandels auf Südtirol oder aber eine Form der Begegnung mit neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sein. Wichtig ist mir dabei, den ausgewogenen Charakter der Bibliothek zu bewahren und nicht zur  Plattform für die eine oder andere Gruppierung zu werden.

Infine, la collaborazione tra la Biblioteca Teßmann e Museion è particolarmente significativa perché istituisce un fronte ideologico e artistico comune che si contrappone alla frammentarietà delle reazioni della politica e della cittadinanza rispetto alla questione dell’immigrazione. Credi che il ruolo educativo e sociale delle istituzioni culturali possa riuscire a non essere sopraffatto dal clamore della politica o dal pregiudizio stesso?

Der Liedermacher Konstantin Wecker hat einmal von der « schleichenden Kraft der friedlichen Veränderung » gesungen. Wir sollten uns nicht überbewerten. Wir werden durch unser Projekt Displaced Positions nicht die Welt verändern und – Gott sei Dank – gibt es gesellschaftspolitisch gesehen neben den plakativen Schwarz- und Weißtönen ja auch ein nuancenreiches Farbspektrum. Einen kleinen Beitrag zur persönlichen Bewusstseinsbildung wollten wir jedoch schon leisten. Und das versuchen wir auch im Herbst mit der Abschlussveranstaltung am Tag der Bibliotheken am 22. Oktober 2016 zu erreichen, zu der alle ganz herzlich eingeladen sind.

Foto ganz oben: Nicolò Degiorgis « Safina Nuh »

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