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February 9, 2016
Bertram Niessen: Kultur ist weit mehr als der Erhalt eines Erbes
Maximilian Mayr
Bertram Niessen ist Dozent, Autor und Mitbegründer der Kulturförder-Website CheFare, die zusammen mit dem profilierten Kulturmagazin Doppiozero jährlich den mit 100.000 Euro dotierten Preis “CheFare! premio per la cultura” für junge, dynamische Unternehmen im Kulturbereich stiftet. Bertram Niessen gilt als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der sozialen und kulturellen Innovation im Wirtschaftssektor. Auf Einladung von ImpulsiVivi und Weigh Station for Culture stellte Bertram Niessen Ende Februar 2016 im Nadamas in Bozen sein Projekt vor. Ich habe ihn bei dieser Gelegenheit am Rande der Veranstaltung interviewt.
Dein Nachnahme, Niessen, klingt nicht sehr italienisch. Woher stammt er?
Mein Vater ist Deutscher, ich bin in Deutschland geboren, aber in der Toskana aufgewachsen und lebe nun seit 20 Jahren in Mailand.
Du bist einer der Gründer des Projekts und der Website “CheFare”, die jedes Jahr gemeinsam mit dem Online-Magazin “Doppiozero” einen mit 100.000 Euro dotierten Preis für junge dynamische Unternehmen im Kultursektor vergibt. Warum hast du dieses Portal in die Welt gerufen?
Die Idee stammt aus meiner Zeit beim online Kulturmagazin “Doppiozero”. Bei Doppiozero habe ich mich vor allem um Themen gekümmert, bei denen es um digitale Vernetzung ging und um Innovation im sozialen Bereich. An einem gewissen Punkt meiner Arbeit interessierte es mich vermehrt, Möglichkeiten für nachhaltige, kulturelle Praxis zu schaffen – alles auch unter wirtschaftlichen Aspekten. Daraus entstand dann die Idee, einen Preis zu stiften, um Projekte in ganz Italien zu unterstützen, die auf neue, innovative Art und Weise arbeiten.
Nachdem wir mit dem Preis gestartet sind, haben wir zunächst eine Reihe von Kriterien festgelegt, die für neue Art der Kulturproduktion stehen sollten. Für die Bewerbung um den Preis ist wichtig, dass die Projekte finanziell nachhaltig gestaltet sind, die Zusammenarbeit im Vordergrund steht und sie es schaffen, mit dem Publikum zu kommunizieren. Die Kulturszene ist in Italien sehr auf sich bezogen; das Publikum wird dabei oft vergessen – das braucht es nur, um Tickets zu verkaufen.
Vor eineinhalb Jahren schließlich haben wir beschlossen einen “Spin-off”, also einen Ableger, zu kreiieren, da unser Preis immer bekannter wurde. Daraus ist schließlich die kulturelle Vereinigung “cheFare” entstanden. Bei der letzten Ausgabe des Preises im Jahr 2015 haben wir autonom gearbeitet, “Doppiozero” war Medienpartner.
Einhergehend mit der Bekanntheit des Preises haben wir eine Plattform entwickelt, die noch in ihrer Anfangsphase steckt, aber stetig wächst und sich um die theoretischen Aspekte der wirtschaftlich nachhaltigen Kulturindustrie kümmert. Auf der Website publizieren wir jede Woche drei, vier Artikel, vor allem von ForscherInnen, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Wir versuchen auch über Studien, Statistiken und Vertiefungen Aktuelles zu liefern und die LeserInnen über Neues aus der Szene zu zu informieren.
Wie wurden die Gewinner des Preises von 2015 ermittelt?
Der Auswahlprozess hat sich über die Jahre kaum verändert. Diesmal war jedoch neu, dass es nicht wie üblich einen Hauptpreis von 100.000 Euro für ein einzelnes Projekt gab, sondern der Preis jeweils 50.000 Euro für jeden der drei Gewinner ausmacht.
Im ersten Teil des Auswahlverfahrens gibt es einen Call, infolge dessen die Bewerbungen auf die festgelegten Kriterien geprüft werden. Wie gesagt: Kooperation und Innovation spielen eine sehr wichtige Rolle. Das geht alles sehr schnell und muss auch schnell gehen, denn kleine Firmen brauchen eben solche Unterstützung unkompliziert und direkt. Nach zwei Monaten ist die Anmeldefrist schließlich um. 2015 sind 700 Projekte eingereicht worden. Von diesen 700 Projekten schaffen es 40 auf CheFare online zu gehen. Ausgewählt werden sie von einer Kommission bestehend aus unseren Partnern und anderen kompetenten Personen.
Die 40 online gestellten Projekte werden dann vom Publikum begutachtet und gevotet. Das Miteinbeziehen des Publikums ist sehr wichtig für uns. Es geht uns jedoch nicht um ein Abstimmen im klassischen Sinn, von zu Hause aus, sondern viel mehr darum, dass die involvierten Projekte dazu in der Lage sein müssen, Leute zu bewegen und mitzureißen. Bei der letzten Phase entscheidet schließlich eine Jury aus ExpertInnen über die zehn verbliebenen und vom Publikum bestimmten Projekte und wählt schließlich eines oder wie diesmal drei als Gewinner aus.
Was sind die Hauptprobleme der Kulturindustrie in Italien? Was müsste sich ändern?
Da weiss ich gar nicht, wo ich mit der Antwort beginnen soll. Ein Problem ist sicher, dass die heutige Kulturindustrie noch stark von den Systemen des 19. Jahrhunderts beeinflusst ist. Da regierten sehr strenge und verschlossene Ansichten im Bezug darauf, was denn nun Kultur sei – einerseits sehr selbstbezogen und andererseits auf politisch Eliten ausgerichtet. Dieses, veraltete, System war etwas für Leute, die studiert hatten und das Kulturmonopol für sich beanspruchten. Deshalb haben wir eine Erneuerung der kulturellen Klassen dringend nötig. Ein anderes großes Problem betrifft die Finanzierung kultureller Projekte. Italien erlebt eine Situation, in der es ein extrem ausgeprägtes Humankapital gibt, das nicht genutzt wird, sondern sich ins Ausland absetzt. Um den Arbeitsmarkt steht es wirklich sehr schlecht.
Ein weiterer Punkt hat sicher mit einem starken Provinzialismus zu tun: Italien ist als Staat absolut durch Selbstbezogenheit gekennzeichnet. Bei einem Projekt tendiert man immer sehr lokal zu denken und versteht nicht, dass es einen weltweiten Markt gibt.
Eine letzte Sache betrifft die Kompetenzen im Kulturbereich: Dort, wo viele Kompetenzen gefordert sind, fehlen meist andere wichtige Aspekte, wie zum Beispiel der Gebrauch von Sprachen oder technisches Knowhow.
Was erwartest du dir im Konkreten von der Regierung Renzi für die kleinen und mittleren Betriebe des italienischen Kulturbetriebs?
Eine schwierige Frage. Bevor ich darauf antworten kann, müsste ich wissen, wie viel in der nächsten Zeit in die Entwicklung des Kulturbetriebs und in die Forschung investiert werden wird. Ich meine damit nicht die Erhaltung des kulturellen Erbes, sondern vielmehr die neue kulturelle Produktion in Italien. Wenn es um Kultur geht, wird immer nur vom Erhalt eines Erbes gesprochen, was etwas völlig anderes ist. Ja, wir haben das Kolosseum, schon klar, aber darüber hinaus können wir vielleicht auch daran denken, irgendetwas Neues zu entwickeln.
Die Südtiroler Kulturindustrie erwirtschaftet 45 Millionen Euro pro Jahr – verglichen mit der EinwohnerInnenzahl eine sehr hohe Summe. Was ist ihr Erfolgsrezept deiner Meinung nach?
Also, ich kenne die Situation hierzulande nicht besonders gut, auch wenn ich bereits des Öfteren zu Besuch hier war. Ich glaube, dass diese Erfolgsgeschichte auch darauf zurückzuführen ist, dass man die kulturellen Institutionen sehr schätzt und ihnen auch eine wichtige Rolle zukommen lässt. Das Investieren in Design, Musik oder zeitgenössische Kunst ist sicher auf lange Sicht sehr profitabel.
Mehr über Betram Niessen gibt’s hier zu lesen. Titelfoto: Bertram Niessen (c) Bertram Niessen
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