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September 25, 2015

evertouch + lifeshot: Apps aus Südtirol starten durch

Robin Wehe
Eine App erfinden? In Südtirol? Ja, das gibt es. Einige junge Unternehmer in Südtirol gehen voran und haben Erfolg. Man kann sich die Namen evertouch und lifeshot schon einmal notieren. Am besten in ein digitales Notizbuch.

Ich bin so verdammt altmodisch. Das denke ich mir auf dem Weg zurück vom Gespräch mit Theo Schütz und Thomas Plankensteiner. Ich mache mir noch ein paar Notizen in meinen Kalender (aus Papier). Ich schaue kurz in mein Adressbuch auf meinem Smartphone: Für meinen besten Freund Felix habe ich in der Tat vier Einträge: Felix Alt, Felix Deutschland, Felix Österreich, Felix Australien. – Theo Schütz hatte Recht. Zuhause will ich schnell nach der Homepage schauen. Beim Blick auf mein Handy schaue ich kurz noch auf Facebook vorbei: Überall perfekte Menschen, die auf perfekten Bildern perfekte Dinge tun. Auch Thomas Plankensteiner hatte Recht. Ich komme mir nicht nur altmodisch, sondern auch unaufgeräumt und langweilig vor. Aber nochmal von vorne. Wie hat alles angefangen?

Der aus Berlin stammende und heute in Bozen lebende Theo Schütz war Austauschschüler in Australien, als er das Problem seines unaufgeräumten Adressbuchs bemerkte: Alte Freunde änderten die Nummern, andere hatten mehrere, er selbst wusste nicht mehr, wem er welche gegeben hatte. Seinem damaligen Gastvater und heutigen Geschäftspartner, Erik Andersen, äußerte er dieses Problem: Eigentlich ist das Adressbuch, auch in digitaler Form, total statisch und ineffizient. Man müsste ein Adressbuch haben, das sich selbst organisiert. Ein wenig später gründeten die zwei gemeinsam eine App: evertouch, ein “smartes online Adressbuch, das sich immer wieder selbst aktualisiert.”Theo&Erik größe gutDas evertouch-Team: Theo Schütz und Erik Andersen 

Das funktioniert so: Ich baue als User ein soziales Netzwerk mit Kontakten auf, mit denen ich bestimmte Inhalte teile. Wenn ich meine Daten ändere, werden sie bei allen anderen, mit denen ich meine Inhalte teile, auch geändert. Somit haben alle immer meine aktuelle Nummer, Adresse, E-Mail, Geburtstag, was auch immer. “Und nur wenn ich es auch will”, sagt Theo. Ich kann mit jedem unterschiedliche Informationen und Daten teilen: Familie, Freunde, Beruf, zum Beispiel. Das sind die unterschiedlichen Pools. Wenn sich jede oder jeder um sein eigenes Profil kümmert, sind alle immer auf dem aktuellen Stand, frei nach dem Motto: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht.

“Wir wollen hauptsächlich als Tool agieren”, meint Theo. evertouch ist kein großes soziales Netzwerk, sondern eine App, die im Hintergrund läuft. “Wir sprechen immer von ‘missed opportunities’.” Ich will jemanden treffen, aber erreiche ihn oder sie nicht mehr, weil ich keine aktuelle Nummer mehr von ihm oder ihr habe. Diesen Kontakt hätte ich mit evertouch nicht verloren, weil sich die Nummer von alleine in meinem Adressbuch aktualisiert hätte. Oder ich wüsste einfach, welche Nummer Felix bei Whatsapp hat: Alt, Deutschland, Österreich oder Australien. Er muss sie mir nicht extra geben. Das alles organisiert evertouch für mich.

Heute ist das Unternehmen, dessen Hauptsitz in Sydney ist, am internationalen Markt tätig. Theo ist Student an der Unibz. Darüber hinaus arbeiten noch weitere Studenten der Uni mit und auch Mitarbeiter in den USA, Kanada und Australien. “Das macht die Zusammenarbeit manchmal nicht leicht”, gesteht Theo. Skype-Konferenzen, andere Zeitzonen, das alles verlangt Flexibilität. Das ist im IT-Sektor jedoch üblich. Wie schnell sich bei Handys und Computern etwas ändert, kennen wir ja alle aus dem privaten Gebrauch. “Wenn Apple Aktualisierungen im System durchführt, müssen wir darauf reagieren.”

Das sieht auch Thomas Plankensteiner von lifeshot so: Der Markt ist voll von neuen Ideen und geprägt von Geschwindigkeit. Ganz zu schweigen von der Nachfrage, von der man noch nicht genau weiß, ob es sie gibt. “Das Risiko ist viel höher als in anderen Sektoren, was man auch bei der Gründung und der Wahl der Gesellschaftsform berücksichtigen muss”, nickt der Jungunternehmer.Abbildung 1 richtige größeDas lifeshot-Team: Bernhard Schönhuber, Thomas Plankensteiner, Philipp Oberkalmsteiner, Matthias Widmann

Moment. lifeshot? – lifeshot will der Grund sein, dass ich mich bei meinem nächsten Social-Media-Erlebnis nicht langweilig fühle. Ach, ja. Facebook: Bilder aus Australien, Erfolgserlebnisse. Das Leben der anderen ist viel interessanter.
Genau hier setzt lifeshot an; die App will das Social Media revolutionieren. Dem gebürtigen Brunecker Thomas Plankensteiner, Initiator der App, kam die Idee, als er in einer Studie las, dass die meisten Posts auf Social-Media-Seiten verfälscht seien. Das heißt, sie entstehen nach dem Ereignis, die Bilder sind oft bearbeitet und es werden grundsätzlich nur die schönsten und aufregendsten Momente des Lebens gezeigt. Das führt nicht nur dazu, dass ein verzerrtes Bild der Realität entsteht, sondern auch der Eindruck, dass das Leben der anderen immer schöner ist als das eigene. Es müsste nun also einen Social-Media-Kanal geben, der das Leben, wie es ist, festhält: Das frühe Aufstehen und zur Arbeit fahren, genauso wie den Urlaub am Meer. Und ich würde mich nicht mehr so langweilig fühlen. Dinge, die sonst keine Aussagekraft haben, werden üblicherweise in den sozialen Netzwerken nicht gepostet, das soll hier anders sein.

Also beschloss Thomas lifeshot ins Leben zu rufen. Die App ruft einmal pro Tag zu einem digitalen Flashmob auf. “Wir bedienen das Bedürfnis der Zuneigung und Neugierde”, sagt Thomas. Jedes Social Media stellt Zuneigung, die ich durch Likes generiere, in den Mittelpunkt. Gleichzeitig bin ich auch neugierig und will wissen, was die anderen machen. Soweit so gut, erweitert wird dieses allgemeine Social-Media-Konzept noch durch “die Echtheit und das Challenging”. Bei lifeshot sind nur echte Fotos möglich – anstatt des Gefühls, dass das Leben der anderen interessanter ist, bekomme ich das Gefühl, dass das Leben der anderen prinzipiell sehr ähnlich ist, wenn ich Alltägliches sehe. Gleichzeitig fordere ich die anderen heraus, in kurzer Zeit ein möglichst kreatives, witziges oder auch nur schönes Foto zu machen. Das ist das Challeging. 2. Bild lifeshot“Flashmob zu Saturday Night out”heißt es dann und alle haben 5 Minuten Zeit, um ein Bild zum Thema zu machen. Ohne Filter. Ohne die Möglichkeit, ein altes Bild aus der Mediathek hochzuladen. Weltweit zur selben Zeit. Am Ende wird alles in einen Ordner gepackt und alle können sich die verschiedenen Bilder ansehen: Bilder aus New York, Bozen oder Neu Delhi. “Man sieht viel Kreativität”, meint Thomas. Beim Thema Teddybär habe ein User keinen gehabt und einfach einen gezeichnet – der Untertitel: Missing mine. Die Bilder können klarerweise in den Social Medias geliked und kommentiert werden. Es gibt die normalen public lifeshots, die im ganzen System stattfinden und private lifeshots, bei denen ich bestimmte Personen zu einem Thema, das ich festlege einlade, einen gemeinsamen lifeshot zu machen. 

Gelaunched wurde lifeshot, mit Sitz in Bozen, im September 2015 und hatte sogleich weltweit Erfolg: 91% der App-Downloader waren in den 24 Stunden nach dem Download auch online. Das es verhältnismäßig viel, die meisten Apps lädt man sich runter und löscht sie einfach wieder. – Kenn ich. Das Kern-Team setzt sich aus Thomas Plankensteiner, Bernhard Schönhuber, Matthias Widmann und Philipp Oberkalmsteiner zusammen. Weitere Aufgaben werden an externe Mitarbeiter vergeben, das Programmieren zum Beispiel übernimmt die Bozner Firma “KIM” (Keep in Mind). Viel Teamarbeit ist hier gefragt. “Man muss sich mehr absprechen, als das vielleicht in anderen Unternehmen der Fall ist”, sagt Thomas. 

lifeshot und evertouch, beide Apps entwickeln sich stetig weiter und arbeiten schon an Plänen für die Zukunft. – Und meine digitale Zukunft? Ich blättere meinen Kalender mit all den Notizen durch. Mein brachliegendes Facebook-Profil. Mein unaufgeräumtes Telefonbuch. Ich muss mir eingestehen, dass mein Risiko, den Schritt in eine moderne Zukunft zu verpassen gerade relativ hoch ist. Im App-Store sind beide Apps kostenlos. Vielleicht sollte ich den Schritt wagen.

Aufmacherfoto: Theo Schütz von evertouch

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