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July 28, 2015
Nu_Volante: die neuen Fliegenden
Nadja Röggla
“Design won’t save the world. Go volunteer in a soup kitchen.” Vielleicht ist dieser Satz dem ein oder anderen schon mal über den Bildschirm gehuscht.
An dieser Stelle heißt es Nase über den Suppenteller heben und weiter blicken: Während einst vor allem der pragmatische Aspekt des Designs im Vordergrund stand, soll es heute inspirieren, bewegen, vermitteln und verbessern. Vielleicht sogar die Welt ein Stück gerechter machen. Das Gebiet gewinnt nach und nach immer mehr an Bedeutung, Verantwortung und Komplexität.
Mit dem Projekt Nu_Volante ist dem Münchner Raphael Volkmer genau das gelungen. Bei seinem gestalterischen Schaffen geht es um die Ganzheit.
Was es damit so auf sich hat und noch viel mehr, hat uns der 24-jährige Wahlbozner verraten:
Wie siehst du deine Rolle als Designer und worin liegt das Potenzial des Designs?
Ich sehe mich zunächst einmal ganz allgemein als Gestalter und Vermittler, unabhängig von meinem Beruf, wobei die Neugier und nicht der finanzielle Erfolg die Grundmotivation meines Schaffens sind.
Für die Bereiche Grafik-, Produkt-, Servicedesign und Kunst habe ich mich schlicht in den letzten Jahren am meisten interessiert und dadurch auf natürlichem Weg und über viel autodidaktisches Arbeiten ein tieferes Verständnis für Ästhetik und die berufsrelevanten Gestaltungsmittel entwickelt.
Gleichzeitig verfolge ich aber auch intensiv technologische, politische und soziale Veränderungsprozesse und mache mir viele Gedanken darüber, wie sich dadurch meine berufliche Rolle als Designer und das Arbeitsleben im allgemeinen verändert.
Das Potential des Designs bzw. des Designers als Person sehe ich persönlich vor allem in seiner Rolle des emphatischen Vermittlers/Facilitators in zwei Bereichen:
* in der Technologie: um komplexe Technologie benutzerfreundlicher und besser verständlich zu machen.
* im Sozialen: um Strukturen zu gestalten, die zu einem vertrauteren, ehrlicherem Umgang miteinander führen.Was ist Nu_Volante und wie ist das Projekt entstanden?
Nu_Volante war das Resultat meiner Abschlussarbeit an der Fakultät für Design und Künste in Bozen, wobei ich mir Gedanken zu drei Frage gemacht habe:
– Welchen positiven Einfluss kann Design auf die soziale Interaktion von Menschen haben?
– Welche Potentiale hat das unmittelbar lokale Umfeld in Südtirol im Bereich nachhaltiger und ökologisch-sozialer Produktion und Konsum?
– und Wie lassen sich Methoden und Arbeitsweisen aus der unternehmerischen Startup-Welt in die Gestaltung übertragen?
Woher der Name Nu_Volante?
Der Name Nu_Volante ist ein Neologismus und setzt sich aus dem Englischen ‚Nu‘ für ‚New’ und Volante ‚Fliegend‘ zusammen.
Also mehr oder weniger: ‘Die neuen Fliegenden’. Aber auch die Wolke: ‘nuvola’ taucht im Namen auf, weil die Straßenhändler in meinen Augen wie Wolken durch die Innenstadt ziehen, um Handel zu treiben.
Mit Nu_Volante versuche ich in Zusammenarbeit mit, im Moment, zwei lokal produzierenden Sozialgenossenschaften kleine Produkte aus Textil und Leder zu entwickeln, die dann von immigrierten Straßenhändlern auf Kommission gekauft und im Stadtzentrum angeboten werden können.
Dadurch wollen wir eine nachhaltige Zusammenarbeit gestalten, die den kleinen Sozialgenossenschaften zu mehr Sichtbarkeit verhelfen und auf der anderen Seite den meist in prekären Situationen lebenden Straßenhändlern ein besseres Einkommen und mehr Anschluss zur lokalen Bevölkerung verschaffen soll.
Meine Rolle ist dabei ist es mit lokalen Manufakturen mehrere Serien an Produkten für den Straßenhandel zu gestalten, die komplette Kommunikationsarbeit der Marke zu leiten und den Kontakt mit potentiellen Händlern zu knüpfen.
Um auf einfachem Wege fokussiert und vertrauensschaffend mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten, ist die Gestaltung einer selbstständigen Marke das zentrale Element des Projektes. Die Website www.nu-volante.org ist speziell für die Ansicht mit Smartphones optimiert, sodass sich Menschen auch auf der Straße, wenn sie einen Händler sehen, kompakt über das Projekt informieren können.
Dein Wunsch / deine Utopie im Rahmen von Nu_Volante?
Mein Wunsch ist es, mit dem Projekt nach erfolgreicher Startphase im Herbst 2015 noch weitere Manufakturen mit ins Boot zu holen, weitere Händler zu gewinnen und eventuell etwas ähnliches in Trento aufzuziehen, weil wir auch dort schon mit einer Sozialgenossenschaft, der Coop. Samuele, in engem Kontakt stehen.
Wie sieht die Realität aus?
Für die Straßenhändler ist es Realität, dass sie wenig verdienen, ihre Produkte meist in großen chinesischen Supermärkte einkaufen und von vielen Menschen als Halbkriminelle abgestempelt werden, obwohl die meisten eine Lizenz für den fliegenden Handel in der Stadt und alle nötigen Dokumente besitzen.
Realität ist auch ein recht starrer, aber nicht unfähiger Verwaltungsapparat, der die Entwicklung im Moment wegen Lizenzfragen für die Straßenhändler etwas verlangsamt. Wir lassen uns aber dadurch nicht abschrecken, sondern versuchen im Moment in Zusammenarbeit mit AKRAT die richtigen Lizenzen für den Straßenverkauf zu beantragen, um alle rechtlichen Bedingungen zu erfüllen.
Wie geht’s jetzt weiter?
Nach einem dringend nötigen Urlaub werden wir in den kommenden Wochen hoffentlich alle Produktserien fertig haben und einen kleinen Katalog anfertigen, mit dem wir dann auf die Straßenhändler zugehen und in Dialog treten können. Die Produkte werden etwa 4–30 € kosten, um sie für den schnellen Handel auf der Straße attraktiv zu halten. Unter den Produkten sind textile Brettspiele, siebgedruckte Tücher, kleine Ledertaschen, Sportsäcke, Damenhandtaschen und andere kleine, aber spezielle Dinge.
Final müssen wir dann erproben, ob unsere Unternehmung auch wirtschaftlich nachhaltig und tragfähig ist und was wir in Zukunft noch verändern und verbessern werden müssen. Unterstützt werde ich im Moment von der Provinz durch ein Praktikumsstipendium bei der kollaborierenden Sozialgenossenschaft AKRAT in Bozen.
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