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April 29, 2013
Exzellenzcluster Punk. Ein interdisziplinäres Experiment
Marco Russo
Pragmatisch gesprochen: Es funktioniert. Öffentliche Gelder werden sinnvoll investiert. So zumindest mein persönlicher Eindruck, was die erste Auflage der Vorbrenner-Produktion im Freien Theater Innsbruck betrifft, die hauptsächlich vom Innsbrucker KünstlerInnenkollektiv Columbosnext mit gestaltet wurde. Im Monat April wurde gezeigt, dass das Freie Theater Innsbruck auch ein Ort des Experimentes, der politischen Aktion und kritischen Reflexion sein kann.
Eine Woche lang (von 22. bis 27. April) wurde im Rahmen des Exzellenzcluster Punk interdisziplinär experimentiert und nach einer neuen philosophischen Praxis gesucht, die dem Leben eine Utopie des produktiven Scheiterns begreifbar und lebbar macht. Gemeinsam wurden Formen des Auf- und Umbruches erprobt, die im Alltag als kreative Kräfte zur Überwindung gegebener Verhältnisse eingesetzt werden können, vor allem dahingehend, was die Überwindung eines so genannten „radikalen Katholizismus“ betrifft, der von der Eigentlichkeit des messianischen Momentes des Kairos weit davon entfernt ist.
Fachtagung: 4 Tage, 4 Experten
Montag: Gestische Malerei mit Ekehardt Rainalter. Das Auf- und Abtragen von Farben sowie der respektvolle Eingriff in das Gestaltete der anderen erzeugen das Kunstwerk und den Kunstakt. Ein erster Prozess des Näher-Kommens und Ausprobierens, das Abstrakte mit dem alltäglichen kombinieren und vor allem: nicht denken – tun.
Dienstag: Heroische Romantik mit Benedikt Unterberger. Das für nicht möglich Gehaltene möglich machen. Und das in nur wenigen Stunden. 12 Keyboards, 12 Existenzen. Die meisten von ihnen beherrschen nicht die Instrumente, aber es gelingt: das „Tirol Concerto“ von Phillip Glass wird einstudiert und am selben Abend aufgeführt.
Mittwoch: Strategien der Selbstzensur mit Markus Tavakoli. Auf sich, die anderen und die Situation eingehen, das spielende Kind wieder entdecken, improvisieren. Ein jedes Ereignis erzeugt Vollzüge. Und diese, trotz der Improvisation, bewusst wahrnehmen.
Donnerstag: Bewegungstypographien mit Eva Müller. Im Tanz die eigene Körperlichkeit, die eigene Fragilität und Stärke wahrnehmen. Das Ganze wahrnehmen, durch sich und die Gruppe Raum und Räumlichkeit erfahren.
Freitag: Akhtamar – die 2000jährige Oper (Ein Wiedersehen). Akhtamar erfindet und inszeniert sich immer wieder neu. Innerhalb eines Rahmens das in den Vortagen Erprobte wagen, sein, vollziehen und nicht so tun, als ob.
Samstag: Exzellencluster Punk. Eine Talkshow mit Didi Neidhard (Skug/Wien), Schorsch Kamerun (Goldies, Hamburg) Richard Weiskopf, Theresa Riemann, Ferdinand Fritz, Michaela Senn, Otto Horvath und Ekehardt Rainalter.
Notizen aus der Talkshow: Weiter machen / Warum tut man sich das an? / In die eigenen Fußstapfen treten: Ziel oder im Weg sein? / Schaffen / Es geht um Reaktion / Sich immer wieder neu interpretieren / Vorwärts kommen / Im kreativen Prozess stellt man sich die Frage: wie geht man mit der Situation um? Wie angesichts der Wahlen? / Dein ständiger Schatten ist der Output / Workshops im Exzellenzcluster: bewusstes Heraustreten der Menschen aus ihrem Alltag / Notwendigkeit der Äußerung und Einmischung / Problem: wenn die Notwendigkeit den Künstler erwischt / Wie kommentiert jemand das politische System, wenn er nicht das Werkzeug der Kunst besitzt? / Begriff der Selbstverwirklichung: was, wenn der Begriff nicht stimmt? Wenn alles cool ist, ist nichts mehr cool / Wenn alles nachgestellt ist, wo soll das Neue sein? / Mainstream einer Minderheit / Architektur und Umgang mit Substanz / Das geringere Übel / Das Ergebnis der architektonischen Arbeit ist immer ein geringeres Übel / Utopie / Digitaler Kommunismus / Diskrepanz zwischen Entwurf und Wirklichkeit / Architektur (aber nicht nur): das, was an den Unis gelehrt wird, entspricht nicht der Wirklichkeit / Utopie hat in unserer Gesellschaft keinen Diskussionswert / keine kontrollierten Räume / Verschiebung ist Verkomplizierung / Welcher kreativ Schaffende hat Muße für Guerilla? / Musik, Poesie, Gegenposition / Radikalität / Versuche, Nein zu sagen / Gesellschaft ist neutralisiert – es gibt keine radikalen Positionen / Alles Nein-Sagen nach außen ist ein Nein-Sagen zu sich / Das Problem ist der grassierende Zynismus / Es gibt Menschen, die prinzipiell dran schuld sind / Indem man Dinge bekämpft, werden die Strukturen wiederholt / Wo ist das radikal Andere? / Welche Formen des Antagonismus und des Protests sind heute möglich? / Welche früheren Modelle der Dissidenz funktionieren heute noch? / Sind Formen der Radikalität in der Kunst Scheiße? / Die Musik, die ihr macht, ist radikal / Man muss den Gestus hinterfragen / Das radikal Neue ist weit weg / Über die Grenzen denken heißt, dass man zumindest wissen muss, wohin man will / Das „Anti“ wird vom Mainstream der Minderheiten verschluckt / Der Mainstream definiert schon was und wo etwas hergenommen wird / Struktur & Avantgarde / Punk sucht eine Nuance nach mehr / Hausbesetzungen sind auch Legende / Überinformation – dagegen soll gearbeitet werden / Modelle der Kommunikation ändern / Rauchpause, ein Glas Wein und dann wieder weiter mit den Notizen / Gentrifizierung / Schorsch wird nostalgisch und spricht über die alten Zeiten / Was uns vom Treffen abhält, ist die Arbeit / Frau aus dem Publikum: „Ich kenne mich nicht aus, worüber hier gesprochen wird!“ / Ich brauche auch meinen Urlaub / Urlaub wovon? / Das Kreative soll eine Alternative zur Arbeit sein / Woher kommt der Druck der Arbeit / Das Experiment soll Spaß machen und zufällig bin ich Künstler geworden / Zuerst war es eine Form von Anti-Handwerk ./.
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