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May 17, 2012
Grenzgänge – ein sprachlich kultureller Streifzug
Wolfgang Nöckler
Ich back’ mir mal eine sprachlich interessante Wortmischung, in der Kulturbackstube Innsbruck, kann sich der interessierte Zuhörer gedacht haben bei einer Veranstaltung der bestimmt anderen Art am Abend des 14. Mai. Es war geladen worden zu einem sprachlich kulturellen Streifzug über die Grenze nach Süden. Den viel befahrenen Alpenpass überfahrend kommen wir also nach und durch Südtirol, doch wir betätigen die Bremse nicht. Non ancora.
Zu Beginn sprach uns (aus Marco Russos Mund) Wittgenstein vom Sprachen bauen. Russo, Mitarbeiter der Universität Innsbruck, Theologe, Philosoph und immer wieder im Innsbrucker Kulturleben aktiv erwähnte zuerst Grenzen des Politischen, des Sprachlichen, danach wurde sprachlich grenzgegangen. Der Veranstalter Russo, der später auch gekonnt und mit Charme durch den Abend führte und vom italienischen ins deutsche Boot übersetzte, sprach in seiner Einführung von Grenzen, die statt immer bloß Barrieren, auch Austausch ermöglichen. Und in diesem Sinne begab sich eine, nun, überschaubare Ansammlung von Interessierten auf die Spuren der sprachlichen Eigenarten in die Gebiete Friaul und Südtirol.
Da wir in Südtirol nicht gebremst haben, sind wir zuerst ins Friaulische gelangt. Ciao Friuli.
Federico Vicario, Sprachwissenschaftler von der Universität Udine gab einen interessanten Einblick in die sprachliche Besonderheit, die Wurzeln, den Gebrauch des Friulianischen. Details zu erwähnen, würde den Rahmen sprengen, Kuriositäten hingegen bleiben eher hängen. Jemandem wie mir, der der Sprache wahrlich nicht abgeneigt ist, gefallen fremde Klänge, fonologische Unterschiede, und es meldet sich immer wieder ein Gedanke im Hinterkopf: He, das kennst du! Sprachliche Besonderheit, Hallo! Ach so, ja. Die Wurzeln gehen tief. Und die Wortpferde noch mit mir durch, wenn ich sie nicht… Wussten Sie zum Beispiel, dass brutt oder brut – je nach dem, wie lang in der Aussprache der Vokal klingt, völlig anderes bedeuten kann? Das brut mit kurzem U, kennt man, wäre mit dem italienischen brutto gleichzusetzen. Ist das U aber lang, dann spricht uns der Begriff von einer Schwiegertochter. Doch es geht noch weiter. Auch bezugnehmend auf die tiefgehenden Wurzeln des Friulianischen (teilweise keltisch, teils aus römischer Besiedelungszeit) wurde mit dem Lang-U-brut, das nicht zufällig Ähnlichkeiten damit aufweist, die spezielle Form einer Braut bezeichnet, nämlich die germanische Braut eines römischen Soldaten. Hört hört. Etwa eine halbe Million Menschen spricht das Friulianische heute und auch hier werden wieder die Parallelen deutlich, die auch wir Südtiroler aus eigener Erfahrung kennen. Oder zumindest aus der Kenntnis eigener Geschichte. Vicario erläuterte, dass es Regelungen zum Gebrauch dieser Minderheitensprache seit einigen Jahrzehnten gibt (etwa in öffentlichen Ämtern), seit etwa 15 Jahren wird sie auch wieder in den Schulen benutzt. Dann aber korrigiert er sich: Nein, Regelungen zum Gebrauch der Sprache habe es eigentlich erstmals vor etwa 100 Jahren gegeben – unter dem italienischen Faschismus war das erklärte Ziel jedoch ein anderes – und zwar das gleiche wie in Südtirol: das Ausmerzen der Sprachinseln. Heute, zum Glück, geht es um den Schutz, um die Pflege eines alten Gutes.
Auch mit Angela Felice blieben wir im Friaul. Doch zu uns ins Boot stieg Pier Paolo Pasolini. Die Leiterin des Studienzentrums Pasolini in Casarsa berichtete über die sprachliche Betätigung des künstlerischen Allrounders in seiner Wahlheimat Casarsa. Il suo era un innamoramento acustico – er ließ sich schon als junger Mann vom Klang des Friulano begeistern und war in der Folge der erste, der die Sprache verschriftlichte, der einen Gedichtband herausbrachte über die piccola patria friulana: Poesie a Casarsa. Im Erscheinungsjahr 1942 eine doppelte Ausnahme. Verschiedene Motivationen trieben den berühmten Dichter, Denker und Regisseur an, die gewissermaßen aus der Mutterbrust gesaugte Sprache, die Stimme einer archaischen Welt, politische Motive oder anthropologische – und ich kann PPP sehr gut verstehen. Sie kennen das doch bestimmt auch, nicht wahr? Da muss man nicht immer an so etwas Vergemeinschaftetes denken wie das sexy Französisch aus dem Munde einer schönen Frau (ja, auch, aber!), nein, auch jahrhundertelang kaum veränderte, gewissermaßen Ursprachen, wie die verschiedenen Dialekte, können in ihrem Klang, in ihrer Melodie eine große Faszination ausüben. Ich bin vielleicht etwas befangen, dennoch möchte ich das Beispiel der Unzahl an Umlauten im Teldrarischen anführen. Söüwö? Ist doch spannend. Und ein paar Kilometer weiter bereits obsolet.
Apropos ein paar Kilometer weiter: Nach den Pasolinischen Streifzügen kehrten wir nach Südtirol zurück. Wobei uns ein Weltbürger (kein klassischer Einheimischer) den Fremdenführer machte: Kurt Lanthaler, Autor mit Lebensmittelpunkten in Berlin und Zürich, aber unverkennbaren Südtiroler Sprachzeichnungen am persönlichen Atlas präsentierte einen Text zwischen Literatur und Sprachwissenschaft. Ein Bekenntnis mit Fußnoten. Über ein gewissermaßen touristisches Interesse sollte er hinausgehen, der Sprachgebrauch auch fremder Sprachen im Literarischen. Lanthaler kann auch, seinerseits, einen gewissen Missbrauch nicht ausschließen, neben dem Gebrauch, denn so etwas kann passieren, wenn man sich in die Gefahr begibt eine Nichtmuttersprache (vielleicht eine Onkel-, eine Großmuttersprache) mit hereinzuholen in die Texte. Aber selbst das nur fast Richtige in dessen Gebrauch (welches Native Speaker mit einem wissenden Lächeln kommentieren mögen) kann nur ein Mehrgewinn sein. Denn, wie Marco Russo am Anfang sagte: lieber Austausch als Abgrenzung. Und daher verwundert es nicht, dass Lanthalers Prosa oftmals ein Glossar vorangestellt wird, in dem erklärt ist, wieso die fremden Begriffe im Fluss baden. Wieso der Textfluss mehr als ein Ciao und ein magari enthält. Weil das die Realität darstellt, deshalb. Und weil die Wahrheit den Menschen zumutbar ist.
Ja, so war das. Und mir selbst, als Abordnung einer Minderheit aus der Minderheit inmitten einer Minderheit (denn gewissermaßen sind wir das doch alle) kamen nicht bloß einmal Gedanken in den Sinn, die mir bestätigten: genau, deshalb. Denn ehrlich gesagt, habe ich das auch stets so empfunden: Grenzen oder mehrere Kulturkreise, das muss nicht bedeuten, dass man sich abgrenzen muss, sich irgendwo zugehörig fühlen und das Andere als das Fremde (vulgo: die Gefahr) empfinden. Im Gegenteil: man hat die Möglichkeit aus mehreren Töpfen zu naschen. Na, wenn das kein Mehrgewinn ist.
Und ja, Naschen konnte man auch: Schlemmen, vielmehr, denn zum Abschluss kehrten wir tief ins Tirolerische zurück. Knödel wurden gereicht, dazu ein Tris von Ziehharmonika, Gitarre und Geige mit Tirolermusik, die Richtung Herbert Pixner abbog. Ein ungewöhnlicher Abend mit vielen Sprachen in der fantastischen Kulturbackstube in Innsbruck, die bekannt ist für allerhand Alternatives. Weiter so, alle zusammen. Gerne wieder mal dabei, ich.
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