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May 17, 2012

Den schwarzen Hund kann man nicht töten. Les Murray in Lana

Christine Kofler

Im kleinen Lana las am 15. Mai ein ganz Großer aus seinem neuen Buch: Les Murray. Der Lyriker, der 1937 in New South Wales geboren wurde, wird immer wieder als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Seine deutsche Verlegerin Margitt Lehberg übersetzte „Killing the Black Dog“, das in Australien, der Heimatstadt des Poeten zum Bestseller wurde, behutsam ins Deutsche. Im Rahmen der Veröffentlichung der deutschen Neuerscheinung unternahm Murray mit seiner Verlegerin eine Lesereise – und der Verein der Bücherwürmer holte den Dichter, der vor allem mit seiner Naturlyrik beeindruckt, nach Lana.

Waren die vergangenen Bände von Murray der „Repoetisierung der Welt“ gewidmet, wie ein Kritiker schrieb, erhellt das neue Werk zu einem großen Teil das Schaffen und Leben von Les Murray selbst. Sein immer wiederkehrender Begleiter – der Murray auch zum Schreiben antrieb – war der „black dog“, auch Depression genannt. „Man könne leicht über das Schreiben als Therapie die Nase rümpfen“, sagte der Dichter einmal, „doch seien sie einmal krank genug, dann ist es vorbei mit dem Snobismus“.  Schonungslos offen erzählt er in seinem Essay über seine Krankheit. Murray schafft es in seinem Werk, der Krankheit Depression, die dem Leidenden Ausdruck und Klarheit nimmt, sie gewaltsam entzieht, im Nachhinein eine Form, eine Sprache zu geben, die eine Brücke schlägt zwischen der Isolation des Depressiven und der Außenwelt. „Mein Hirn“ so beschreibt der Autor seine depressiven Phasen „kochte mit einem Wirrwarr von Dingen über, die es sich nicht lohnt, Gedanken oder Bilder zu nennen: Es erinnerte eher an in reinem Schmerz marinierten, gehäckselten Seelentang.“ Und weiter: „Es gab Tage, wo ich den gesamten Vor- oder Nachmittag mit dem Versuch verbrachte, die Energie aufzubringen, um im Nebenzimmer ein Buch zu holen.“

Mit Xanax und der Poesie als klare Disziplin hält Murray auf  Lesereisen seinen „schwarzen Hund“ auf  Distanz, Scheinherzattacken und Tobsuchtsanfälle gehörten zu seinem Leben. In seinem Essay geht er den Ursachen der Depression auf den Grund, spürt Schritt für Schritt die verschütteten Quellen des Schmerzes auf, der immer wieder an die Oberfläche quillt, mal als dünnes Rinnsaal, mal als gewaltige Flut.

Der zweite Teil des Buches besteht aus Gedichten, die düster sind, aber auch erhellend. Die einen Lichtkegel werfen auf das Schaffen und Leben dieses Meisters englischer Sprache und auch deshalb wichtig und notwendig waren. Der Dichter schreibt in seinem Essay, der englische Titel „Killing the black dog“ sei schlecht gewählt, weil man den Kampf gegen den schwarzen Hund nicht gewinnen kann. Doch vielleicht kann man in bannen, ganz so wie in den Märchen dadurch,  dass man den Namen des bösen Zauberers ausspricht und ihm damit ein Stück seiner Macht nimmt. Murray hat diesen Schritt gewagt und macht damit vielen anderen Mut, es ihm gleich zu tun.

Les Murray im Interview: 

Ihr neues Buch „Der schwarze Hund“ enthält ein sehr persönliches Essay. Ist es Ihnen schwer gefallen, so viele persönliche Details aus Ihrem Leben, Ihrer Kindheit und Jungend, ihrer Leidenszeit mit der Depression einem so breiten Publikum bereitzustellen? Und was hat Sie motiviert, dieses Essay zu schreiben und zu veröffentlichen?

Les Murray: Ich wollte darstellen, wie es mir und vielen anderen geht. Die Depression ist die am weitesten verbreitete Geisteskrankheit der Welt. Trotzdem glauben die Opfer der Krankheit oftmals ganz allein zu sein. Ich persönlich war froh, wenn man mir erklärte, dass ich nicht der einzige mit dieser Krankheit war – dass ich nicht allein bin. Obwohl ich als Einzelkind und Asperger-Erkrankter für die Einsamkeit gut ausgestattet war.

Ich habe zwei Phasen von Depression erlebt: Einmal im Alter von 20 Jahren, dann noch einmal mit 50 Jahren. Während der ersten Phase, die zwei Jahre gedauert hat, bin ich meine Bücher, meine Schreibmaschine und alles los geworden und zwei Jahre lang über das Land geschwebt, durch Australien getrampt. Die zweite Phase war sehr stark, es waren schlechte Tage. Es scheint so, dass die Krankheit viele Schriftsteller ereilt. Heitere Leute sind wir nicht.  Vielleicht, weil wir mehr sehen und unsere Vorstellungen von der Welt an der Wand des Lebens zerschellen. Wir Schriftsteller sind vielleicht dem Orakel am nächsten.

Auf der Tare High Scool haben Sie ihre Lehrer mit australischer Poesie und englischer Literatur versorgt. Dadurch, schreiben Sie, „verschafften sie mir Eintritt zu einer Kunstform, von der sie vielleicht ahnten, dass sie mich retten könne, obwohl meine mir unbewusste Begabung dafür vielleicht meine Misere mit verursachte.“ Hat Sie das Schreiben gerettet? Ist es Fluch und Segen zugleich? Hilft Schreiben, die Angst zu vergessen?

Ja, das Schreiben hat mir geholfen. Ich habe zur Krankheit gesagt, du bringst mich zum Weinen, dann bringe ich dich auch zum Weinen. Ich ringe dir deine Geheimnisse ab. Während eines depressiven Schubes habe ich Freddy Neptune geschrieben. Es gab Gedichte – nachdem ich sie geschrieben hatte, ging es mir besser. Schreiben als Therapie wird oft belächelt – doch wenn es dir wirklich schlecht geht, wenn du verzweifelst, wenn in deinem Kopf nur mehr glänzende Scherben sind, dann nimmst du alles an, was dir helfen könnte.

Nachdem Sie 1996 aufgrund eines Leberabszesses ins Koma gefallen sind, hat sich der schwarze Hund einige Zeit zurückgehalten…

Oh ja, ich habe drei Wochen im Koma verbracht. Das war ein Leben ohne Erleben. Ich dachte, eine halbe Stunde wäre vergangen. In Wirklichkeit waren es drei Wochen. Meine Frau hat drei Wochen an meinem Bett ausgeharrt, für sie war es eine lange Zeit. Als ich wieder zu mir kam, hatten sich meine Muskeln zurück gebildet. Ich fragte nach einer chinesischen Suppe. Meine Aborigines-Tante, die noch nie in einem chinesischen Restaurant war, brachte mir eine, später brachte mir meine Frau noch eine. Ich aß sie, und danach ging es mir besser.

Seit wann schreiben Sie? 

Ich schreibe regelmäßig seit etwa 50 Jahren. Die Gedichte haben immer Vorrang, auch wenn auf meiner Farm andere Dinge zu erledigen sind. Die Tiere meines Verwandten weiden auf unseren Wiesen. Ich schreibe mit der Hand und ich tippe auf meiner Schreibmaschine. Es wird immer  schwieriger, die Bänder dafür zu bekommen.

Margitt Lehbert, zugleich Verlegerin und Übersetzerin von Les Murrays Werke ins Deutsche, wie kamen Sie mit Les’ Werken in Kontakt?

Margitt Lehbert: Durch ein Stipendium des Hanser-Verlages konnte ich nach Australien reisen, um an der ersten deutschsprachigen Ausgabe von Murrays Gedichten zu arbeiten (1996). Les und seine Familie luden mich ein, bei ihnen auf der Farm zu wohnen. Durch das direkte Erleben von Les’ Umfeld und seiner Sprache, des australischen Idioms, konnte ich die Gedichte genauer und besser übersetzen. Ich blieb einen Monat auf der Farm und trampte dann noch ein wenig durch Australien. Dies hat mir sehr geholfen, Les’ Werke besser zu verstehen.

Die deutsche Presse, beispielsweise “Die Zeit”, lobt Ihren Sprachfuror und Ihre Originalität bei jedem neuen Buch das erscheint, immer wieder in höchsten Tönen. Sie schreiben in „Der schwarze Hund“, dass Sie von den Intellektuellenkreisen in Australien regelrecht gehasst wurden. Der Chefredakteur der einzigen überregionalen Tageszeitung ließ von den eigenen Mitarbeitern Leserbriefe gegen Sie schreiben. Warum?

Les Murray: Ja, praktisch, nicht? Wenn man das gleich selbst macht. In Australien wollte man meine Gedichte dem großen marxistischen Epos unterordnen. Die Eitelkeiten einer neuen Elite wollten befriedigt werden. Die linke, weiße Aristokratie sah sich als legitime Nachfolger der weißen Siedler und nahmen für sich das alleinige Wort in Anspruch. Mir gefiel das nicht.

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