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October 18, 2023

Wear Your Origins – an Exemplary and Inspiring Project

Susanne Barta

Ich möchte euch heute ein Projekt vorstellen, das vieles von dem verbindet, was die Textil- und Modeindustrie so dringend braucht: soziales Engagement, Hilfe zur Selbsthilfe, (Aus-)Bildung, authentisches Storytelling, das Zusammenbringen von Menschen unterschiedlicher sozio-kultureller Backgrounds, Kreativität in Verbindung mit Nachhaltigkeit und Empowerment. Es ist ein Projekt, das mich sehr berührt hat, weil es zeigt, was aus behutsam kuratierten (Begegnungs-)Prozessen alles entstehen kann. 

Als ich diesen September in Athen war, habe ich auch meine Bekannte Fiori Zafeiropoulou und ihr Projekt-Team getroffen. Ihr erinnert euch vielleicht? Fiori ist Wissenschaftlerin und Koordinatorin von Fashion Revolution Greece, sie hat SOFFA (Social Fashion Factory) gegründet, wo Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, ausgebildet werden und eine Chance bekommen zu arbeiten, und sie ist auch die Initiatorin des Projekts und Labels Wear Your Originswear your origins 2+3 (c) wear your originsWear Your Origins ist ebenso ambitioniertes Projekt wie Prozess. Zehn Teams, jeweils zusammengesetzt aus einem*r Designer*in und einer Storytellerin entwickeln eine Capsule Kollektion. Die Storyteller kommen aus unterschiedlichen Ländern und haben in irgendeiner Form Gewalt erlebt, auf der Flucht, in der Familie … Sie kommen zum Beispiel aus Guinea, dem Kongo, Afghanistan, Tunesien oder Vietnam. Die gemeinsame Arbeit ist ein Prozess auf vielen Ebenen: gestalterisch, persönlich, psychologisch, edukativ. Fiori nennt das Projekt „Social Art“. Auf der Website heißt es, Wear Your Origins ist „An opportunity to express the thoughts and the soul through clothes. A cultural meeting centered on clothing. A visual journey of the culture, tradition and histories of these women.“wear your origins 4+5 (c) wear your originsDie teilnehmenden Designer*innen wurden im Rahmen eines Wettbewerbs ermittelt, der Preis ist die Teilnahme an diesem Projekt. Die jungen Designer*innen bekommen mehr Sichtbarkeit, haben die Möglichkeit sich weiterzubilden und eine Kollektion zu entwickeln. Und Fiori wäre nicht Fiori, wenn nicht auch ein intensives „Sustainability Training“ mit dabei wäre. Sie bringt die Nachhaltigkeit ein, die künstlerische Leitung hat der Designer Ioannis Kritikopoulos übernommen. 

Die Gewalterfahrungen der Frauen sind zum Teil traumatisch. Darüber gesprochen wird aber nur, wenn die Frauen von sich aus darüber erzählen möchten, sonst wird einfach gemeinsam gearbeitet und gelernt. „Die Kollektionen reflektieren Elemente aus der Vergangenheit der Frauen, Erfahrungen, die sie gemacht haben, aber auch kulturelle Prägungen“, erzählt Marieva Karachaliou, die mit Aissatou aus Guinea arbeitet. „Die Erfahrungen und Backgrounds sind unterschiedlich und jede Kollektion soll das widerspiegeln.“wear your origins 1 @ wear your origins„Fünf Stücke und zwei Accessoires entwirft jedes Team für die eigene Kollektion“, erklärt mir Eleni Petridi, sie arbeitet mit Yana aus der Ukraine zusammen. Von jeder Kollektion wird für die Endkollektion ein Stück ausgewählt, das dann auch produziert wird. Kommt genügend Geld zusammen, können auch weitere Teile hergestellt werden. Die Stücke werden bei SOFFA genäht. Designt wird so nachhaltig wie möglich und zwar digital mit dem Tool clo3D. Fiori betont mehrfach, wie wichtig es sei, Kleidung zu entwerfen, ohne Materialien zu verschwenden. Erst der finale Entwurf wird analog angefertigt und erst dann wird produziert. „Digitale Tools dann auch mit AI zu verbinden, wird für zukünftige Designprozesse immer wichtiger und hilft bei den Themen Nachhaltigkeit und Transparenz wirklich weiterzukommen“, sagt sie.wear your origins 7+8 (c) wear your originsNochmals zurück zum Begriff Social Art. „Der Prozess des Zusammenkommens von Designern und Opfern von Menschenhandel und Gewalt, vier Monate gemeinsam zu arbeiten, das verändert alle Beteiligten und so etwas wie soziale Integration stellt sich ein für die Frauen“, erzählt Fiori. Die Teams treffen sich an der Universität und an Orten, wo die meisten der Frauen vorher noch nie waren. „Einige haben herausgefunden, dass sie weiterlernen möchten, und beginnen Ziele für sich zu formulieren. Es gibt auch gemeinsame Workshops mit der Öffentlichkeit über die jeweiligen kulturellen Hintergründe, Ess- und Alltagsgewohnheiten und ihren Weg nach Griechenland. Wir wissen und verstehen zum Teil nicht, was diese Frauen alles durchgemacht haben. Sie sind zerbrechlich.“ Und deshalb sei es so wichtig, sagt Fiori, diesen Prozess so zu gestalten, dass sie sich wertgeschätzt und sicher fühlten.wear your origins9 @ susanne bartaDas Geld für das Projekt kommt vor allem über europäische Fördermittel und von privaten Geldgebern. Alle Mentoren und Guest Speaker arbeiten freiwillig, nur der künstlerische Leiter und die Übersetzer werden bezahlt. Dafür geht später ein bestimmter Prozentsatz der verkauften Stücke an die Designer und Storyteller. „Wichtig ist, dass alle Teilnehmenden das Projekt ernst nehmen“, sagt Fiori. „Es ist Arbeit und braucht regelmäßige Präsenz, manche müssen das erst lernen“, sagt sie und ergänzt lächelnd: „Da bin ich streng.“wear your origins 10+11 (c) wear your originsMaria Roussaki arbeitet mit Samira aus Afghanistan. Die gemeinsame Kollektion heißt „Freedom & Power“. „Wir versuchen dabei, Samiras Weg in die Freiheit zu zeigen“, erzählt Maria. „Wir thematisieren auch, wie wenig Freiheit für Frauen aus streng religiösen Ländern in der Kleiderwahl besteht und wie stark Kleidung mit Freiheit zu tun hat.“ Samira hat zum Beispiel in einem der Stücke die Burka dekonstruiert. wear your origins12 @ susanne bartaAuf der „Wear Your Origins“-Website zu sehen sind bisher zwei Pre-Kollektionen, die mit griechischen Designern erarbeitet wurden. Schon bald kommt die neue Kollektion dazu. Bei unserem gemeinsamen Treffen an der Athens University of Economics hat der künstlerische Leiter Ioannis Kritikopoulos alle Kollektionen vorgestellt und den Stand der Arbeit gezeigt. Es war beeindruckend zu sehen, wie unterschiedlich die Herangehensweisen, Techniken, Entwürfe, Farben, Formen und die Gedanken dahinter sind. Ich bin sehr gespannt auf das finale Ergebnis! Fortsetzung folgt.wear your origins 13+14 (c) wear your originsFotos: (2, 4, 5, 6, 7, 8, 10, 11, 13) © Wear Your Origins; (1, 3, 9, 12, 14) © Susanne Barta

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