Culture + Arts > Cinema
May 19, 2022
Sabine Derflingers „Alice Schwarzer“
Kunigunde Weissenegger
Geliebt gehasst verehrt verdammt bewundert bedroht vergöttert verachtet gedisst gefeiert, nicht nur, aber ganz besonders in Deutschland Projektionsfläche für eh alles … Die Rede ist von Alice Schwarzer, die sich im Namen des Feminismus seit den 1970er Jahren durch etliche, früher häufig großteils männlich besetzte Feierabend-, Mitternachts- und Morgen-Talks diskutiert. Sie ist aber eben nicht nur Medienstar, sondern auch oder vor allem Journalistin, Autorin und Verlegerin.
Davon, über ihre Arbeit, ihr Privatleben, ihre Kämpfe und Ansichten handelt das neue Werk von Sabine Derflinger. Die österreichische Regisseurin hat über eine der bekanntesten Feministinnen Europas einen Dokumentarfilm gemacht, der bei der Diagonale 2022 schon den Preis für den Besten Dokumentarfilm erhalten hat. In Österreich läuft ALICE SCHWARZER schon, in Südtirol und Italien ist am Freitag, 20. Mai um 20:00 Uhr im Filmclub Bozen Premiere – inklusive Gespräch mit der Regisseurin im Anschluss – und läuft dort bis 1.6., in Deutschland gibt’s ihn ab 16. September 2022 zu sehen.
Sabine Derflinger dreht zurzeit in Südtirol, wir haben sie für ein kurzes Interview erreicht.
Wie ist mensch imstande bei so einem Dokumentarfilmprojekt, trotzdem Abstand zur Portraitierten zu wahren?
Ich bin sowieso ich und ich blicke auf die Welt und auf jemanden, den ich portraitiere. Ich habe meine eigene Sicht auf die Welt und ich schaue jemandem zu. Wenn ich einen Dokumentarfilm mache, ist das ähnlich wie bei einem fiktiven Format: Es gibt einen Raum für die Menschen in diesem Film und ich schaue zu und natürlich habe ich meine eigene Haltung, während ich zuschaue. Jene, die zuschauen, haben dann auch die Gelegenheit, eine eigene Haltung zu entwickeln, aber sie sehen meinen Film über Alice Schwarzer, der davon geprägt ist, dass er natürlich nicht objektiv ist, sondern subjektiv, wie es so ist , wenn man dokumentarisch arbeitet. Trotzdem ist noch genug Raum, sich seine eigene Meinung zu bilden.
Wie zufrieden bist du mit dem Ergebnis?
Ich bin eigentlich sehr zufrieden mit dem Film. Ursprünglich war gedacht, wenn nicht Corona gekommen wäre, mehr im Jetzt zu drehen. Ich wäre wahnsinnig gerne mehr zu ihren Fernsehauftritten mitgegangen, hätte hinter den Kulissen gefilmt und wäre darüber in die Vergangenheit gegangen. Es wäre also konzeptuell etwas anders gedacht gewesen, aber durch Corona war diese Idee etwas eingeschränkt. Damit war klar, dass ich mich stärker über das Archivmaterial in die Geschichte hinein bewege, was letzten Endes toll ist: So beeindruckendes Archivmaterial zu sichern und in einem Film zusammenzuhalten, ist einfach großartig.
Warum sollte mensch sich den Film ansehen – auch als Nicht-Fan von Alice Schwarzer …?
Naja, der Film über Alice Schwarzer ist ja kein Fanclub-Alice-Schwarzer-Film, sondern portraitiert eine wahnsinnig wichtige zeitgenössische Persönlichkeit, die immens viel bewirkt hat. Und vor allem ist es auch so, dass man mit ihr eine Reise durch die Geschichte macht und versteht, warum dann bestimmte Themen bei ihr landen. Man reist mit Alice Schwarzer durch die zweite Frauenbewegung, das ist historisch total interessant. Zum Vorschein kommen wahnsinnige Fundstücke, die aufzeigen, wie es einmal war, was sich verändert und was sich nicht verändert hat. So kann man sich darüber freuen, was sich verändert hat, aber auch Kampfgeist dafür entwickeln, was sich noch verändern muss.Stichwort Frauenbewegung – warum ist sie interessant für jede*n?
Ich finde es wichtig, sich auf diese Reise durch die Frauenbewegung einzulassen, weil der Film mit politischer Bildung zu tun hat und weil es Allgemeinbildung ist. Es hat auch damit zu tun, dass wir unsere Vergangenheit verstehen müssen, damit wir unsere Gegenwart begreifen und mutig in die Zukunft aufmachen können und irgendwann doch vielleicht eine gleichberechtigte Gesellschaft haben. Ich finde, der Film kann für die wirklich wichtigen Dinge motivieren, die gerade brennen: sei es die Abtreibung, die wieder abgeschafft wird, sei es die Gewalt gegen Frauen oder die Zwangsverschleierung und Verbannung der Frauen aus dem öffentlichen Leben. Und er motiviert auch dazu, dass man wieder auf die Straße geht und sich solidarisiert, dass Männer Frauenbewegungen unterstützen und dass Frauen sich mit Frauen selbstverständlich weltweit solidarisieren.
Ich finde es auch wichtig, sich den Film im Kino anzusehen, weil da ein realer Austausch stattfinden kann, was natürlich ganz etwas anderes ist als in den sozialen Medien. Das Kino ist ein Ort der Begegnung. Hier hat man die Möglichkeit einander zu begegnen, wirklich miteinander zu reden und das gründlich, sich auseinanderzusetzen und zu verstehen – im Gegensatz zum Missverstehen, was besonders in sozialen Medien der Fall ist. Das hat man auch am Film über Johanna Dohnal gesehen: Viele Menschen und Generationen sind sich begegnet, es hat ein realer Austausch stattgefunden.
Das Nichthingehen und Sichnichtauseinandersetzen ist ein lustiges Phänomen. Das ist für mich, und auch beispielsweise für meine Cutterin, die viel jünger ist als ich, völlig unverständlich, dass es Frauen und Männer gibt, die sich das nicht anschauen. Das ist antidemokratisch und das Gegenteil von einer weltoffenen Gesellschaft.
Was sollte oder könnte der Film deiner Meinung nach bewirken?
Eine Sensibilisierung dafür, was alles in Sachen Feminismus passiert ist, und was noch alles brennt und passieren muss. Der Film schafft es, eine ganz große Frau als Persönlichkeit auf die große Leinwand zu bringen. Und das ist total notwendig. Vielleicht motiviert er auch andere dazu, das fortzusetzen, viel mehr bedeutende Frauen zu portraitieren und auf die Leinwand zu bringen.
Fotos: (1) Sabine Derflinger © Lukas Beck; (2) Alice Schwarzer Film © Sabine Derflinger
Comments