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February 23, 2022
Tech-Start-up yoona.ai – der Tesla für die Fashion Welt?
Susanne Barta
Anna Franziska Michel hat mit ihrem im Herbst 2020 in Berlin gegründeten Start-up yoona.ai Großes vor: Die zielstrebige Entrepreneurin möchte die Modeindustrie revolutionieren. Wir saßen uns beim Abendessen des German Fashion Council auf der Frankfurt Fashion Week gegenüber und kamen ins Gespräch. Sehr spannend, was Anna zu erzählen hatte. Wenige Wochen später sitzen wir uns auf Zoom gegenüber und vertiefen ihr Thema, Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Designprozess zu verbinden. Anna hat Modedesign studiert, ein eigenes Label gegründet, für andere Labels gearbeitet und dabei immer wieder festgestellt, dass die Designprozesse nicht effizient sind. Kurzerhand ging sie für einen Modedesign-Master zurück an die Uni, aber das sei nur mehr vom Gleichen gewesen, erzählt sie. Dann wechselte sie auf die Wirtschaftsinformatik und ab da ging es rasant hinein in die digitalen Modewelten.
Anna, ihr bietet Software für den Designprozess an, sozusagen KI-basierte Designentwicklung. Was genau macht ihr da?
Da muss ich etwas zurückgehen: Auf der Wirtschaftsinformatik fand ich einen coolen Professor und wir gründeten eine Forschungsgruppe, um zu schauen, welche neuen Technologien man anwenden könnte, um Designprozesse zu verbessern. Gleichzeitig habe ich begonnen, selbst coden zu lernen. Das war anfangs sehr schwierig, es dauerte fast eineinhalb Jahre bis ich wirklich etwas verstand. Heute bezeichne ich mich als Tech-Nerd. Wir haben uns zunächst gefragt, was Unternehmen brauchen, um Designs zu entwerfen, also Farbdaten, Moodboards, technische Zeichnungen etc. Dann haben wir neuronale Netze untersucht, wie man sie anwenden kann und was dabei herauskommt. Heute arbeiten bei yoona.ai neuronale Netzwerke (KI) im Background, eines der Netze lernt die Daten, also Productimages, Webanalysen, Farbanalysen etc., das andere designt digital. Beide müssen auf die bestimmten Anforderungen hintrainiert werden. Wenn sie dann trainiert sind, bekommt man in wenigen Sekunden bis zu 20.000 Design-Angebote. Im Januar 2020 haben eine Kollegin und ich auf der Berlin Fashion Week eine digitale Modenschau gezeigt, wo wir mit dieser Künstlichen Intelligenz designt und diese Designs auf Avatare gelegt haben. Das war eigentlich die erste Metaverse Fashion Show, aber da hat noch keiner von Metaverse geredet. Im Herbst 2020 habe ich dann die yoona Ventures GmbH gegründet.
Neben der Digitalisierung des Designprozesses ist vor allem Nachhaltigkeit ein wichtiges Anliegen für euch, habe ich gelesen. Wie schaut das in der Umsetzung aus?
Da gehe ich nochmal zurück in meine Geschichte: Als Label versucht man zum Beispiel nachhaltige Materialien zu verwenden und schon damals dachte ich mir, „das reicht ja nicht, da muss es doch auch Backend eine Möglichkeit geben, nachhaltig zu arbeiten“. Bei Nachfragen in der Industrie tat sich immer diese Kluft zwischen Nachhaltigkeit und ökonomischen Zielen auf und genau diese Kluft soll durch diese Technologie geschlossen werden. Gemeinsam mit der Universität und einem staatlich bestellten Nachhaltigkeitsprüfer bereiten wir gerade ein Nachhaltigkeits-Paper vor, wo wir das auch nachweisen können. Beim Prototyping zum Beispiel wird nach wie vor alles real herumgeschickt. Wir digitalisieren den ganzen Design-Prozess bis zur Produktion, mit dem Ziel, dass alles verbunden ist und man untereinander auch kommunizieren kann. Mit Augmented Reality hat man die Möglichkeit, den Prototyp von überall aus anzuschauen, muss nichts mehr hin- und herschicken und kann dann auch gleich weiterarbeiten. Ein anderes Beispiel: Etwa 30 % der produzierten Artikel werden nicht verkauft. Die Gesetzgebung geht dahin, dass man unverkaufte Artikel nicht mehr zerstören darf. Wie lässt sich das verhindern oder zumindest der Prozentsatz vermindern? Da wir genauer kalkulieren können, arbeiten wir näher am Kunden und finden so heraus, was verkauft wird. So helfen wir Unternehmen die Menge an nichtverkauften Stücken zu reduzieren, gleichzeitig können wir erhöhen, was verkauft wird. Nachhaltigkeit bedeutet also auch ökonomische Ziele zu erreichen. Und nicht nur das, wir demokratisieren Nachhaltigkeit.
Eure Design-Software dient auch dazu, Artikel schneller und zu niedrigeren Kosten zu produzieren und die Bedürfnisse der Kunden besser zu erfüllen. „Digital Fashion ist die Fast Fashion der Zukunft“, habe ich gelesen. Ist das nachhaltig?
Die Größe eines Unternehmens wie H&M können wir nicht verändern, was wir aber verändern können, sind die Prozesse, die angewendet werden. Deshalb müssen wir rein in diese Unternehmen und den Backend-Prozess so verändern, dass er ganzheitlicher und nachhaltiger wird. Das ist mein Ziel. Ich bin mit H&M in Gesprächen, dort heißt es immer „production is the beast“. Aber natürlich muss auch die Nachfrage verändert werden. Wir haben mal ausgerechnet, dass so ein mittelständisches Unternehmen mit Prototyping und allem Drum und Dran im Jahr 4 Millionen Kilometer Material verbraucht. Das ist unglaublich. Die Otto Group hat zum Beispiel herausgefunden, dass der größte CO2-Fußabdruck in der Produktion beim Bügeln entsteht, auch das lässt sich verringern.
Tatsächlich beim Bügeln?
Ja, denn die Vorbereitung fürs Nähen ist immer gutes Bügeln, auch zwischendrin muss man immer wieder bügeln. Ich spreche vor allem mit großen Marken, sie haben viel mehr Daten und der Impact ist hier besonders groß. Sobald wir es uns leisten können, möchten wir auch die kleineren Unternehmen unterstützen, aber den größten Impact erreichen wir, wenn wir bei den großen Unternehmen etwas verändern. Wir arbeiten auch an einem CO2-Tracker auf unserer Plattform, um das alles genau nachvollziehen zu können.
Ich habe vor kurzem mit einem Informatiker gesprochen, der meinte, dass man immer auch die Kosten der digitalisierten Prozesse mitdenken müsse. Also all das, was an Energiekosten im Hintergrund anfällt …
Das denken wir natürlich mit, wir rechnen auch aus, was es kostet, wenn der Designer die ganze Recherche alleine macht, oder wenn er sie automatisiert macht und das ganze relevante Material in Sekundenschnelle zur Verfügung hat. Genau das finden wir mit diesem Nachhaltigkeits-Paper gerade alles heraus. Die steigende CO2-Bepreisung ist ein großes Thema und wird immer relevanter.
Die Mode wird digitaler, auch was das Tragen von Mode betrifft, Stichworte NFTs, Metaverse. Welche Möglichkeiten eröffnen sich da?
Ich sehe schon bei meinen Kindern, dass sie Kleidung in ihren Spielen kaufen. Digitalisierung ist auch eine Chance, neue Märkte zu kreieren, sage ich immer wieder zu Unternehmen. Vielleicht können sie da auch einiges von ihren realen Produktionsvolumen wegnehmen und ihre Märkte woanders hinlegen? Auch hier können wir sie unterstützen. Kleidung zum Beispiel mit einigen Klicks in ein Spiel zu bringen und dort zu verkaufen. Wovor ich aber etwas zurückschrecke: dass nach zwei Pandemiejahren alle noch mehr zuhause sind und sich in virtuellen Welten aufhalten. Das wünsche ich mir nicht. Aber ich denke schon, dass man Metaverse als Möglichkeit nutzen kann.
„Wir können Tesla für die Fashion Welt werden“, wirst du selbstbewusst auf eurer Website zitiert. Wie könnte das konkret aussehen?
Ich sage das immer, dass man sieht, dass wir große Pläne haben. Mit unseren Backend-Prozessen arbeiten wir darauf hin, die Industrie revolutionieren, dazu möchten wir uns möglichst schnell internationalisieren, in die großen Märkte hineingehen und das Design-Tool werden, das jeder nutzt, so wie Photoshop.
Nächste Schritte?
Wir sind gerade dabei, eine „Seed-Round“ zu „raisen“, wir brauchen mehr Kapital. Die vielen Testphasen mit Unternehmen haben gezeigt, dass wir nun bereit sind unser Digitalisierungstool anzubieten, wir können so viel Value bieten, dass uns die großen Unternehmen als Plattform nützen können. Jetzt geht’s darum, die Technologie weiterzuentwickeln und entsprechende Kunden auf unsere Plattform zu holen.
Frauen in der Tech-Branche sind noch immer eine Seltenheit. Wie erlebst du das?
Bei meiner ersten Präsentation 2020 saßen nur männliche Zuhörer in schwarzen Anzügen im Raum, auch diejenigen, die präsentierten waren nur männlich geführte Start-ups. Mich hat das anfangs ziemlich verunsichert. Ich bin ja Quereinsteigerin und in dieser Welt ernst genommen zu werden, vor allem wenn es um Investoren geht, ist Arbeit. Deep-Tech-Unternehmen gründen nur sehr wenige Frauen. Mich motiviert das aber auch weiterzumachen und Vorbild zu sein. Meine Tochter hat zum Bespiel in der Schule als Vertiefung Naturwissenschaften gewählt hat, darauf bin ich sehr stolz.
Macht dir reale Mode noch Spaß?
Sehr. Ich liebe es, mich über Mode auszudrücken und reiße auch einige der „Techies“ mit, die müssen sich dann alles anschauen, was ich so an Inspirationslinks herumschicke.
Fotos: yoona.ai
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