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June 2, 2021
Lottozero – Textile Leidenschaft
Susanne Barta
Ende 2016 eröffneten die Schwestern Tessa und Arianna Moroder in Prato „Lottozero“, ein Zentrum für textiles Design, Kunst und Kultur. Die 400 m² große Lagerhalle haben sie von ihrem Großvater geerbt und mit viel Einsatz und Liebe zu einem „Creative Hub“ umgestaltet, ein Design-Büro und eine Consultancy Agency kamen nach einiger Zeit dazu. Gemeinsam mit ihrem Team – dazu gehören seit 2016 Alessandra Tempesti und seit 2017 Elena Ianeselli – entwickeln sie Projekte, designen, beraten, unterrichten und geben Workshops. Tessa hat Wirtschaft studiert, Arianna Textildesign. Ihre vielfältigen Erfahrungen und unterschiedlichen Kompetenzen ergänzen sich gut, gemeinsam ist ihnen die Leidenschaft, einen besonderen (textilen) Ort zu schaffen. Ich habe mit Arianna auf Zoom geplaudert.
Arianna, wie habt ihr die Corona-Zeit überstanden? Wo steht ihr gerade mit Lottozero?
Covid hat in gewisser Weise einen Schlussstrich unter unsere Start-Up-Phase gezogen. Wir haben viel experimentiert, Formate getestet, waren sehr offen für die Möglichkeiten, die uns geboten wurden. Die Pandemie hat uns dazu gezwungen, zunächst ganz zu stoppen und dann uns aufs Wesentliche zu konzentrieren. Ein Strukturierungsprozess hat begonnen, wir schauen genau, welche Werte uns wichtig sind, mit welchen Projekten wir weitergehen möchten und worauf wir verzichten können. Wir sind noch in dieser Phase.
Was hat sich da herauskristallisiert?
Zunächst mal eine reifere Herangehensweise an unsere Projekte. Jedes Projekt muss sich nun selbst erhalten können. Wir haben in Zusammenarbeit mit Fashion Revolution eine Sustainable Brand Directory entwickelt und unterstützen so junge Designer*innen, indem wir unsere Plattform als Netzwerk-Möglichkeit anbieten. Auch die Arbeit mit der Community hat sich stark entwickelt in diesem Jahr, wir haben sie besser strukturiert und die Möglichkeiten genutzt, uns international zu vernetzen.
Ich habe dich vor vielen Jahren als Textilkünstlerin kennengelernt. Arbeitest du noch künstlerisch?
Ja, ich bin noch künstlerisch tätig, das läuft jetzt vor allem in meiner Freizeit. Großteils bin ich hier mit organisatorischen Aufgaben beschäftigt, immer wieder ergeben sich aber auch Möglichkeiten für textile Arbeiten, auch als Designerin mache ich einiges. Wir haben vor eineinhalb Jahren begonnen, mehr im Bereich Inneneinrichtung zu arbeiten, Beratungen für Firmen und Architekten zu machen und haben schon einige Textilien für Möbel entworfen.Prato ist das textile Zentrum Italiens. Die Krise hat die Textilindustrie stark getroffen. Wie geht’s den kleineren Produktionsbetrieben?
Die Manufakturen in Europa waren schon vor Covid in der Krise, eine nach der anderen musste schließen. Das kann man sich schön reden wie man möchte, aber so sieht es aus. Wir haben mit vielen Betrieben unterschiedlicher Größe gesprochen. Firmen, die besser strukturiert sind, schaffen es besser durch die Krise zu kommen. Aber es ist hart für alle und immer wieder schließen welche. Es schaut nicht gut aus. Glück im Unglück ist vielleicht, dass es einen Trend gibt, Produktionen in Zukunft möglichst lokal zu halten, um nicht mehr so abhängig zu sein von internationalen Lieferketten. Experten empfehlen, diese Welle zu nützen.
Italien ist eines der wichtigen internationalen Modeländer. Wie beurteilst du die Anstrengungen der Industrie Richtung Nachhaltigkeit und Fairness?
Ich bin da recht positiv eingestellt, da in Italien die kleinen und mittleren Unternehmen sehr stark sind und grundsätzlich schon mit hohen Qualitätsstandards arbeiten. Was ich so kenne jedenfalls. Ich spreche natürlich von Firmen, die legal, also innerhalb des gesetzlichen Rahmens, arbeiten. Zusätzlich hat man hier schon früh begonnen, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Durchaus zunächst aus ökonomischen Gründen, also sparsam zu arbeiten, Strom zu sparen, nichts zu verschwenden, das Umweltbewusstsein ist dann noch dazu gekommen. Kleinere Produktionen sind auch viel transparenter, die Mentalität muss sich da nicht so stark verändern.Wo sollte man den Hebel ansetzen, um Veränderungen zügiger voranzutreiben?
Das Wichtigste ist für mich die Durchschnittskonsumenten zu erreichen. Ihnen Alternativen zur Fast Fashion anzubieten. Sie auch wegzubringen von der Idee, dass man in immer schnelleren Rhythmen einen neuen Style braucht. Die Produkte des Luxussektors werden nicht so schnell entsorgt, weil sie teurer und qualitativ hochwertiger sind. Wir müssen unser Konsumverhalten verändern und dafür muss die Industrie die entsprechenden Produkte anbieten.
Ist eure Brand Directory auch ein Beitrag dazu, Konsument*innen über nachhaltige Brands zu informieren?
Viele wissen einfach nicht, wo es Alternativen zu Fast Fashion gibt. Wenn ich nicht zu H&M und ZARA gehen soll, wohin dann? Bevor wir die Brand Directory entwickelten, haben wir die „Fashion Revolution Fair“ gemacht, zwei Tage Stoffe verkauft, dazu Designer*innen und Schneider*innen eingeladen, um den Leuten zu zeigen, dass man sich auf einfache und leistbare Weise auch etwas machen lassen oder sogar selbst schneidern kann.
Ist auch Secondhand für dich eine Möglichkeit, sich nachhaltig und stylisch zu kleiden?
Auf jeden Fall. Die Lebensdauer eines Produkts zu verlängern ist sehr wichtig. Weitergeben, verschenken, verkaufen, upcyclen. Aber Secondhand soll nicht dazu dienen, weiterhin genauso viel zu konsumieren. Leider wird auch die Qualität der Kleidungsstücke immer schlechter. Wenn Firsthand schon schlecht ist, ist Secondhand kaum mehr eine Alternative. Aber schön ist, dass Secondhand in den letzten Jahren Mainstream geworden ist.Nach welchen Kriterien wählt ihr die Brands aus für eure Directory?
Die Auswahl spiegelt unsere Einstellung zur Nachhaltigkeit wider. Wir glauben nicht, dass es möglich ist, 100 % nachhaltig zu sein. Oft wird Nachhaltigkeit mit Bio-Produkten oder teuren Zertifizierungen verwechselt, daran sind auch die Greenwashing-Kampagnen der großen Konzerne mit Schuld. Man vergisst dabei, dass es am Ende darum geht, weniger, dafür aber besser zu konsumieren. Die Langlebigkeit der Produkte hängt mit guten Materialien, hochwertiger Produktion, guter Aufbewahrung und gutem Design zusammen. Jeder Designer, Produzent oder Konsument setzt andere Prioritäten und wir schauen uns den jeweiligen Fokus genau an, um zu verstehen, ob das Endprodukt unseren Kriterien entspricht.
Wie wichtig ist dir Mode?
Früher war das ein größeres Thema für mich, heute bin ich da etwas weiter weg. Mich interessieren Themen wie Textilien in Verbindung mit Architektur und Einrichtung mehr. Heute bin ich auch viel funktionaler angezogen, ich experimentiere nicht mehr so viel. Bei meinen Student*innen aber sehe ich, dass sie vor allem über die Mode zur Beschäftigung mit Textilien kommen.Leider habe ich Lottozero noch nicht selbst besucht, das steht aber an. Ich bin sehr neugierig, mir diesen Ort anzuschauen. Ein großes Kompliment aber schon vorab für das, was Tessa, Arianna, Alessandra und Elena in diesen wenigen Jahren aufgebaut haben.
Fotos: (1–5) © Lottozero; (6) © Rachele Salvioli für Lottozero
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