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April 7, 2020

7_ Georg Kaser – Wir bleiben dran

Susanne Barta

Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. In einem zweiten Moment einige Monate später, werden sie ausführen, wie sich „Nach-Corona“ anfühlt und was sie nun beobachten. Begleitet werden die Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und dem für mich sehr passenden Zitat von Karl Valentin. 

 

Georg Kaser ist Professor für Klima- und Kryosphärenforschung und derzeit Dekan der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften an der Universität Innsbruck. Als Gletscherforscher hat er sich zuerst mit heimischen Gletschern beschäftigt und sich dann später den Gletschern in den Tropen zugewandt. Georg Kaser hat am 4. und 5. Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC mitgearbeitet und ist auch im laufenden 6. Berichtszyklus aktiv. Wir tauschen uns in dieser Zeit immer wieder aus, seinen Humor scheint es, können weder Klimawandel noch Corona-Krise erschüttern.

Georg Kaser Foto_2

Aufgezeichnet am 16. März 2020

„Social Distancing“ ist ein Begriff, den ich nicht mag. Man will ja Kontakte nicht abbrechen, sondern erreichen, dass die physische Nähe nicht stattfindet. Gespräche über den Wegrand oder in die Gärten hinein, wenn man vorbeigeht, über Balkone oder über den Platz sind einfach sehr wichtig. Manches scheint geradezu idyllisch von statten zu gehen, wobei das ein unpassender Begriff ist. 

Von Anfang an hat es mich interessiert, zu beobachten, was diese Zeit mit unserer Gesellschaft, mit den einzelnen Menschen macht. Wo läuft es gut, wo gibt es Reibungen? Und ich bin erstaunt, wie vernünftig die meisten Menschen mit den Einschränkungen umgehen. Das schürt natürlich auch meine Hoffnung als Klimaforscher. Wenn es gelingt, da etwas mitzunehmen, zu lernen, später neu aufzubauen, denn einiges wird sicher schwer beschädigt werden, dann haben wir jetzt die Chance dazu, ein nachhaltigeres Leben für die ganze Welt zu gestalten. Begriffe wie Optimismus und Pessimismus habe ich mir als Klimaforscher schon lange abgewöhnt, aber ich sehe große Möglichkeiten, sich aus der Corona-Krise heraus gegen die viel größeren Bedrohungen durch den Klimawandel vorzubereiten. Wenn ich mir die Bilder aus den Spitälern Norditaliens anschaue, denke ich allerdings im Augenblick nur, es wird schon irgendwie vorüber gehen.

Georg Kaser Foto_3 

Wir sind jetzt auf der Kurzstrecke, sind noch ohne Durchatmen unterwegs, wenn ich das mit einem Läufer vergleiche. Und da geht viel. Jeder sieht ein Ziel vor Augen. Dann kommt der schmerzhafte Umstieg auf die Mittelstrecke und das ist nicht einfach, das muss trainiert werden. Da wird sicher eine Krise durch unsere Gesellschaft gehen. Vermutlich haben wir eine Langstrecke vor uns. Vor allem, um den Aufbau nachher zu schaffen. Vor dieser langen Strecke fürchte ich mich ein bisschen. Das können wirklich nur Profis ohne einzubrechen. Und ich weiß nicht, ob unsere Gesellschaft das packt. Das kann schwierig werden. Existenziell und psychisch. 

Mit einer gewissen Begeisterung verfolge ich, wie die Demokratien erstarken, wie unsere Verfassungen funktionieren. Plötzlich verlassen sich Politiker auf Fachkompetenz. Wobei ich sagen muss, die Klimaforscher wissen mehr und besser, was kommen wird als die Mediziner. Die Politiker, die das jetzt gut machen, können gestärkt aus dieser Krise hervor gehen. Außer sie machen den Fehler, die unteren sozialen Schichten wieder links liegen zu lassen. Wenn diese Menschen weiterhin fallen gelassen werden und zu Schaden kommen, werden viele von ihnen in Massen zu den Populisten überlaufen. Da hoffe ich, dass man auf allen nur möglichen Skalen reagiert.

Georg Kaser

Interessant ist, dass es in Anleihe an die Klima-Leugner auch die Corona-Leugner gibt. Die Gruppe, die sich traditionell informiert über Fernsehen, Zeitungen, Radio, scheint den Ernst der Situation meist besser zu begreifen. Aber vor allem die „Facebook-Generation“, die auf den Social-Media-Plattformen unterwegs ist, neigt zum Leugnen. Manchmal braucht’s erst in der nahen Umgebung Tote, um zu begreifen. Wobei ich mir das natürlich nicht wünsche. Aber je näher so etwas kommt, desto eher könnte Umdenken stattfinden. Dabei geht es diesen Leuten vermutlich nur darum, dass ihre Freiheiten nicht eingeschränkt werden. Aber ich lerne für mich gerade, dass ich denen, die für mich nicht verständlich reagieren, zuallererst Angst zugestehe. Vielleicht ist das einfach eine Form mit der Angst umzugehen? 

Ich glaube schon, dass wir nach Corona in einer anderen Zeit sein werden. In einer anderen Welt. Die Frage ist, wie sehr man wieder versucht, die alte herzustellen. Ich glaube, die Welt ist reich genug, sich neu zu organisieren. Die Frage ist auch, ob eine kritische Menge an Menschen das begreift, Menschen, die an Entscheidungspunkten sitzen. Ich sehe jedenfalls Möglichkeiten. Ob sie eintreten, weiß ich nicht. Aber ich denke viel an die Zeit danach und wie wir uns auch im Kleinen darauf vorbereiten können. Wie wird das sein? Das wird ja in kleinen Schritten gehen. Wie können wir langsam ins Gefüge hineinkommen? Und wie können wir etwas mitnehmen? Ich möchte dann nicht nur warten, sondern auch selber aktiv werden.

Georg Kaser Foto_1

Die Klimawissenschaft ist durch Corona zwar etwas an den Rand gerückt worden, wird aber wieder zurückkommen ins öffentliche Bewusstsein. Wir Wissenschaftler tauschen uns intensiv aus, meine Kolleg_innen sind ja weltweit verstreut und wir diskutieren natürlich, wie und wann wir wieder auf den Klimaschutz drängen wollen. Wir werden die Entscheidungsträger daran erinnern, dass es hier viel zu tun gibt. Wir bleiben dran. 

Anmerkung 4. April 2020: Wir sind jetzt mitten drin in der Mittelstrecke, das Bild wird komplexer, komplizierter, die anfängliche Gelassenheit der Leute beginnt nachzulassen, es beginnt zu schmerzen und das gebannte tagelang an den Informationen Hängen weicht dem Platz für erstes Nachdenken. Auch der Blick auf die politischen Entscheidungsträger wird komplexer. Die meisten machen das Krisenmanagement immer noch sehr gut, aber die parlamentarische Kontrolle für Regierende muss auch in einer repräsentativen Demokratie weiter funktionieren. 

Zeichnung: Gabriela Oberkofler 
Fotos © Daniela Brugger 

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